| # taz.de -- Dokumentarfilm über Wünsdorf: Öko-City statt Truppenübungsplatz | |
| > Wie kann man ehemalige Militäranlagen friedlich nutzen? Elfi Mikeschs | |
| > Dokumentarfilm „Krieg oder Frieden“ versucht sich am Beispiel Wünsdorf. | |
| Bild: Wünsdorf: Hier treffen sich sowjetische Vergangenheit und die deutsche G… | |
| In Fetzen blättert die Farbe von der Wand. Unter der Farbe des Wandgemäldes | |
| haben Leerstand und Witterung die Fliesen wieder zum Vorschein kommen | |
| lassen. Das Bild zeigt Industrielandschaften und Landwirtschaft | |
| nebeneinander. Die Wand, von der das Bild herunterblättert, gehört zum Haus | |
| der Offiziere, dem Kernstück der Militäranlagen, die im Laufe des 20. | |
| Jahrhunderts im brandenburgischen Wünsdorf südlich von Berlin entstanden | |
| sind. | |
| Das im Kaiserreich als Heeressportschule errichtete Gebäude steht seit dem | |
| Abzug der ehemaligen sowjetischen Armee 1994, drei Jahre nach der Auflösung | |
| der Sowjetunion, leer. Es ist zum lokalen Symbol für die Schwierigkeiten | |
| einer friedlichen Nachnutzung von ehemaligen Militäranlagen geworden. Als | |
| solches greift auch die Dokumentarfilmerin Elfi Mikesch es in ihrem Film | |
| „Krieg oder Frieden“ auf. | |
| Im Zentrum von Mikeschs Film steht die Frage, wie sich ehemalige | |
| Militärstandorte für eine friedliche Nutzung umwandeln lassen. Als Beispiel | |
| für Wünsdorf greift sie das Konzept des [1][Architekten Ekhart Hahn] auf, | |
| eines Pionies des ökologischen Städtebaus. | |
| Hahn hat schon vor knapp zehn Jahren für Teile der militärischen Anlagen | |
| das Konzept einer Eco City entwickelt, einer CO2-neutralen Modellstadt, die | |
| zugleich Wohn- und Ausbildungsort für Menschen aus aller Welt sein soll, | |
| die nachhaltiges Bauen erlernen. Doch von Beginn an fehlte das Geld, um das | |
| Konzept umzusetzen. Und so reihen sich Hahns Entwürfe bisher in die lange | |
| Reihe von nicht realisierten Ideen für eine Umnutzung ein. | |
| Schon weit vor Hahns Konzept wurden schon in den 1990er Jahren einige | |
| wenige Gebäude umgenutzt – von unten. Eine Gruppe Künstler zog in einige | |
| der Häuser und baute sie in Eigenregie um und archiviert bis heute in den | |
| eigenen Räumen Fundstücke von damals. Aus einem Kinosaal etwa wurde ein | |
| Schlafzimmer. Auch Elfi Mikesch selbst drehte schon in den 1990er Jahren in | |
| Wünsdorf im Zuge der Kurzfilmreihe „Gefährliche Orte“, die von verlassenen | |
| Militärstandorten im Berliner Umland aus Verbindungslinien zur Geschichte | |
| des Zweiten Weltkriegs zieht. | |
| ## Die Zeit der sowjetischen Präsenz in Wünsdorf | |
| Begonnen hatte die 1940 in der Steiermark geborene Mikesch als Fotografin. | |
| In den 1960er Jahren publizierte sie gemeinsam mit Rosa von Praunheim den | |
| Fotoroman „Oh Muvie“, ab den 1970er Jahren wirkte sie in verschiedenen | |
| Rollen an Filmen von Werner Schroeter mit, arbeitete als Kamerafrau für von | |
| Praunheim, Peter Lilienthal und Monika Treut. 1978 drehte sie in der | |
| Gropiusstadt ihren zeitübergreifend umwerfenden Film „Ich denke oft an | |
| Hawaii“ über die Wünsche und Sehnsüchte von Carmen, einer jungen Frau, die | |
| sich aus der engen Wohnung herausträumt. | |
| „Krieg oder Frieden“ verwebt die Geschichte der zivilen Konversion der | |
| militärischen Anlagen in Wünsdorf mit einer Geschichte des Ortes und einer | |
| allgemeinen Reflexion über Krieg und Frieden. Die Darstellung der | |
| Geschichte beschränkt sich im Wesentlichen auf die Zeit der sowjetischen | |
| Präsenz in Wünsdorf, also von dem Moment, als der Stab General Schukows von | |
| Wünsdorf aus die Schlacht um Berlin plante, bis zum Abzug der dann schon | |
| ehemals sowjetischen Armee im Jahr 1994. | |
| Die Zeit davor – von der Heeressportschule bis zur Errichtung eines | |
| Führungsbunkers der Wehrmacht mit einer der ersten Selbstwählanlagen | |
| Deutschlands – bleibt weitgehend ausgespart. Wiederholt greift Mikesch den | |
| militärischen Teil der Geschichte Wünsdorfs auf. Sie zeigt Ausschnitte aus | |
| ihren eigenen Kurzfilmen zu den „Gefährlichen Orten“ und greift [2][Philip | |
| Scheffners Dokumentarfilm „The Halfmoon Files“ (2007)] auf, der die | |
| Geschichte eines Kriegsgefangenenlagers für muslimische Soldaten der | |
| Entente während des Ersten Weltkriegs zum Ausgangspunkt hat. | |
| ## Die Bürder der Argumentation lastet auf Eva Mattes | |
| Bedauerlicherweise findet der Film gerade für sein zentrales Anliegen – die | |
| konkreten Versuche einer zivilen Nutzung der militärischen Gebäude in | |
| Wünsdorf mit einem Nachdenken über die Möglichkeit dauerhaften Friedens – | |
| keine Form. Der Großteil dieses Filmabschnitts lastet auf der | |
| [3][Schauspielerin Eva Mattes], die lesend in den Film einführt, die Hahns | |
| Planungen lauscht und die im Gespräch mit ihm klug und lehrreich über | |
| Krieg, Pazifismus und die Notwendigkeit von Waffenlieferungen an die | |
| Ukraine diskutiert. | |
| Eva Mattes macht seit Jahrzehnten verlässlich jeden Film besser, an dem sie | |
| mitwirkt – nur hat man bei diesem keine Ahnung, warum sie in dem Film ist | |
| und noch dazu die Last von dessen Argumentationsführung tragen muss. | |
| Letztlich überfordert schon der Titel mit der großen Frage nach „Krieg oder | |
| Frieden“ den Film. Mikesch setzt der großen Frage viele kleine Begegnungen | |
| und Fundstücke entgegen. Der Film hat so viele Elemente, die sich nur mit | |
| mehr Selbstdisziplin in der Struktur in einen einzigen Film zusammen hätten | |
| zwingen lassen. | |
| Eben dieser Lösung aber widersetzt sich Elfi Mikesch beharrlich und | |
| grundsympathisch mit einer nie versiegenden Neugier auf die unendlichen | |
| Seitenzweige, die sich beim Kreisen um Wünsdorf und das Haus der Offiziere | |
| eröffnen. Und trotz aller kleineren Bedenken folgt man der Regisseurin und | |
| ihrem Film gern auf diesem Streifzug. | |
| 16 Oct 2024 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Zukunftsvisionen/!5619275 | |
| [2] /Dokumentarfilmer-im-Stream/!5736257 | |
| [3] /Herausragender-Tatort-aus-Hessen/!5966004 | |
| ## AUTOREN | |
| Fabian Tietke | |
| ## TAGS | |
| DDR | |
| Rote Armee | |
| Dokumentarfilm | |
| GNS | |
| Brandenburg | |
| Filmgeschichte | |
| Filmreihe | |
| Sowjetunion | |
| taz Plan | |
| Akademie der Künste Berlin | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Kinotipp der Woche: Film mit allen Sinnen | |
| Jay Leyda schoss Fotos, drehte Filme und erforschte die Geschichte des | |
| Kinos. Auch an der Widerentdeckung zahlreicher Werke war er beteiligt. | |
| Kinoempfehlungen für Berlin: Die Bewahrung bewegter Bilder | |
| Die Deutsche Kinemathek feiert das letzte Filmerbe-Festival vor dem Umzug, | |
| das Filmmuseum Potsdam begeht den ersten Welttag des audiovisuellen Erbes. | |
| Abzug sowjetischer Truppen: In Russland als Niederlage erachtet | |
| Vor 30 Jahren endete der Abzug sowjetischer Truppen aus Brandenburg. Ein | |
| Interview mit der Militär-Forscherin Małgorzata Popiołek-Roßkamp. | |
| Die Kunst der Woche: Die Rabenkinder | |
| Explodierendes Archiv: „Exzentrische 80er“ im Kunstverein Tiergarten zeigt | |
| Arbeiten von Tabea Blumenschein, Hilka Nordhausen und Rabe perplexum. | |
| Ausstellung in der Akadamie der Künste: Vergangenes und Jetzt verknüpfen | |
| In einer Schau der Akadamie der Künste geht es um Freundschaft – die | |
| zwischen Elfi Mikesch, Rosa von Praunheim und Werner Schroeter. |