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# taz.de -- Kinotipp der Woche: Film mit allen Sinnen
> Jay Leyda schoss Fotos, drehte Filme und erforschte die Geschichte des
> Kinos. Auch an der Widerentdeckung zahlreicher Werke war er beteiligt.
Bild: Szene aus „Hilde Warren und der Tod“ (Deutschland 1917), Regie führt…
Bevor die Kamera auszieht, um die Straßen der Bronx an einem sonnigen Tag
zu erkunden, huschen Formen vorüber: Brückenteile, Gleise, Gehwege, die zu
hellen Flächen verschwimmen, auf denen sich in dunklen Schatten Brücken und
Pfeiler niederschlagen. Dann reißen die Flächen auf und erste
Straßenfluchten werden erkennbar. Eine Straßenbahn fährt gen Horizont, ein
paar wenige Autos fahren auf den Straßen. „A Bronx Morning“, gedreht 1931
von dem späteren Filmhistoriker, Übersetzer und Autor Jay Leyda (1910–1988)
ist unverkennbar der Film eines Fotografen.
Kurz nach seinem ersten kurzen Film geht Leyda, 1910 in Detroit geboren,
1933 nach Moskau um bei Sergej Eisenstein zu studieren. Die vier Jahre bis
1936, die er in Moskau verbringt, werden ihn für den Rest seines Lebens
begleiten.
Leyda prägte die Filmgeschichtsschreibung, Filmarchivierung und Cinephilie
der Nachkriegszeit wie wenige andere. Vom 1. November an widmet der
Berliner [1][Kurator Tobias Hering] dem Filmhistoriker eine Retrospektive.
[2][„Jay Leyda: Witnessed Years“] zeichnet Leydas Leben anhand von Filmen
nach, an deren Wiederentdeckung er an zentraler Stelle beteiligt war oder
die ihn und seinen Blick auf die Filmgeschichte prägten.
1936 kehrt Leyda in die USA zurück und wird Assistant Curator an der
Filmabteilung des Museum of Modern Art. Mit anderen linken Filmemachern,
die er schon aus der Zeit vor Moskau kennt, gründet er die Gruppe Frontier
Films, die Dokumentarfilme zu aktuellen Fragen drehte. Einer der ersten
Filme („China Strikes Back“) widmete sich Kämpfen zwischen der Regierung
und kommunistischen Guerilla in China, ein weiterer („The People of the
Cumberland“) zeigt Versuche der Selbstorganisation in einem ehemaligen
Kohlerevier in Tennessee.
Ab Anfang der 1940er Jahre gibt Leyda Sammelbände mit Schriften Sergej
Eisensteins in englischer Übersetzung heraus. Kurz bevor er 1959 mit seiner
Frau, der karibisch-chinesischen Tänzerin Si-Lan Chen, in die Volksrepublik
China übersiedelt, entstehen zwei seiner prägendsten Bücher: Eines über die
Geschichte des russischen und sowjetischen Film, das die Stalinisierung des
sowjetischen Films aus der Perspektive eines Augenzeugen beschreibt und
eines über den Kompilationsfilm.
Wie 1936 in Moskau beweist Leyda auch bei seinem Aufenthalt in der
Volksrepublik ein Gespür für politische Großwetterlagen: zwei Jahre bevor
sich die Gewaltorgien der Mao’schen Kulturrevolution Bahn brechen, verlässt
Leyda 1964 China und geht – vermittelt über den stellvertretenden
Kulturminister der DDR, Hans Rodenberg, den er in den 1930er Jahren in
Moskau kennen gelernt hatte – nach Ost-Berlin und arbeitet am Staatlichen
Filmarchiv der DDR.
Die Reihe nähert sich Leydas Arbeitssituation in Ost-Berlin am 10. November
mit einem Programm mit dem Titel „Hans-Loch-Straße“. Während seiner Zeit …
Ost-Berlin ist Leyda vor allem daran gelegen, Werke des deutschen
Stummfilms wiederzuentdecken. Leyda ist an der Wiederentdeckung und
Rekonstruktion von Filmen wie Joe Mays „Hilde Warren und der Tod“ beteiligt
und setzt sich für Filme aus dem Umfeld des proletarischen Films der
Weimarer Republik wie Ernö Metzner „Polizeibericht Überfall“ von 1928 ein.
In zahlreichen Einführungen und Kontextualisierungen verschränkt die
Filmreihe biographische Elemente Leydas, mit einer Skizze seiner
Wirkungsgeschichte und den Geschichten, die sich hinter der internationalen
Filmüberlieferung verbergen, die es uns heute ermöglicht, Filme von vor 100
Jahren zu sehen.
30 Oct 2024
## LINKS
[1] https://www.arsenal-berlin.de/news/jay-leyda-eine-werkbiografische-skizze/
[2] https://www.arsenal-berlin.de/kino/filmreihe/jay-leyda-witnessed-years/
## AUTOREN
Fabian Tietke
## TAGS
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