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# taz.de -- Retrospektive Regisseur Edward Yang: Taipeh ist die Hauptfigur
> Der früh verstorbene Regisseur Edward Yang ist ein zentraler Vertreter
> des taiwanischen neuen Kinos. Das Berliner Zeughauskino erinnert an ihn.
Bild: Die Stadt ist immer da: Szene aus „Taipeh Story“ (1985) von Edward Ya…
Die Hölle ist für die junge Yueh-hua die heimische Mustertapete. Kaum
betritt sie die Wohnung, in der sie mit ihrer Mutter und ihrer jüngeren
Schwester wohnt, beginnt ihre Mutter zu schimpfen. Und wenn sie damit
fertig ist, geht für die junge Frau ein endloser Kreislauf von Hausarbeiten
los. Die Welt kommt im Leben von Yueh-hua nur im Fernsehen vor.
Das Regiedebüt des taiwanischen Filmemachers Edward Yang „Floating Weeds“
von 1981 ereignete sich ebenda – im staatlichen Fernsehen. Und so ist es
eine Werbeunterbrechung, die Yueh-hua aus der Provinz nach Taipeh bringt.
Die erste Einstellung aus der Stadt zeigt ein Gewimmel von Bussen und
Autos, Hochhäusern und Baustellen. Aus diesem Chaos schält sich ein Taxi,
das Yueh-hua vor der Wohnung ihrer Kindheitsfreundin Yin-chun entlässt. Mit
einem Mal scheint die Welt der jungen Frau offenzustehen.
Edward Yang ist neben [1][Hou Hsiao-Hsien] einer der zentralen Vertreter
des taiwanischen neuen Kinos der 1980er Jahre. Doch während Hou Hsiao-Hsien
([2][zuletzt „The Assassin“ 2015]) auch in Europa bis heute ein Begriff
ist, ist Yang seit seinem frühen Tod 2007 mit nur 59 Jahren in
Vergessenheit geraten. Nun ehrt das Berliner Zeughauskino den Regisseur mit
einer Werkschau, die alle sieben Kinofilme umfasst, die Yang realisieren
konnte.
## Hou Hsiao-Hsien, Edward Yang und Hirokazu Kore-eda
Ergänzt werden sie durch eben sein Fernsehdebüt, die Drehbucharbeit für Yu
Wei-Chengs „The Winter of 1905“, das dokumentarische Doppelporträt Hou
Hsiao-Hsiens und Edward Yangs durch [3][Hirokazu Kore-eda] in „When Cinema
Reflects the Time“ und den Omnibusfilm „In Our Time“ von 1982, der als
Gründungsfilm des neuen taiwanischen Kinos gilt.
Politisch ist das „neue Kino“, mit dem taiwanische Regisseure Anfang der
1980er Jahre auf sich aufmerksam machten, der filmische Niederschlag jener
Liberalisierung, die sich in Taiwan nach dem Tod Chiang Kai-sheks 1975
allmählich anbahnte. Unter seinem Sohn Chiang Ching-kuo, der ihm 1978 als
Staatspräsident nachfolgte, wurden erstmals Parteien jenseits der
Kuomintang zugelassen.
Filmisch sind die Filme und die Filmkultur, aus denen sie hervorgingen, als
Reaktion auf die Erfolge der Hongkonger Filmpolitik zu verstehen. Nachdem
in Hongkong Mitte der 1970er Jahre in dichter Folge Filmzeitschriften, das
Hongkong Film Festival und das Filmarchiv entstanden waren, zog der
Inselstaat Taiwan mit wenigen Jahren Abstand nach.
## Konflikt zwischen Tradition und Erneuerung
Inhaltlich sind die Filme des neuen Kinos Bestandsaufnahmen der
Konfliktlinien, die sich in den Jahrzehnten nach der Flucht der Kuomintang
und Chiang Kai-sheks auf die Inselgruppen am Ende des Zweiten Weltkriegs in
der Gesellschaft ausgebildet haben. In ihnen wird der Konflikt zwischen
Tradition und Erneuerung, Rückbesinnung auf nationale Eigenheiten und
Öffnung zur Welt, der vor allem die Jugend der 1980er Jahre prägte, mit
neuer Offenheit thematisiert.
Yang selbst setzte sein Studium als Elektroingenieur in den USA fort,
machte einen kurzen Versuch eines Filmstudiums, den er schnell wieder
abbrach. Noch in den USA kam Yang mit europäischem Arthouse-Kino (vor allem
Werner Herzog und Michelangelo Antonioni) in Kontakt, bevor er 1980 nach
Taiwan zurückkehrte. Nicht zufällig handeln viele von Yangs Filmen von der
Rückkehr seiner Figuren aus dem Ausland nach Taiwan und den Konflikten, die
sich zwischen Weltläufigkeit und lokaler Tradition ergeben.
Doch die Protagonistin im Gesamtwerk von Yang ist Taipeh. Die Stadt ist
Schauplatz für ebenjene Konflikte zwischen Moderne und Tradition – und sie
ist ein Sehnsuchtsort. Es ist daher nur folgerichtig, dass die Reihe, die
Jendrik Walendy für das Zeughauskino kuratiert hat, am Freitag mit „Taipeh
Stories“ von 1985 eröffnet wird. Bei der Eröffnung wird Kaili Peng, die
Witwe Edward Yangs, anwesend sein.
Der Film beginnt mit einem Möglichkeitsraum: Lung, ein ehemaliger
Baseballspieler, gespielt von Yangs Regiekollegen Hou Hsiao-Hsien, und
seine Partnerin Ah-Chin besichtigen eine Wohnung.
Während sie durch die leeren Räume gehen, richtet Ah-Chin – ganz
Immobilienunternehmerin – die Wohnung in Gedanken schon ein. Während Lung
nachdenklich an einem nicht funktionierenden Lichtschalter herumschaltet,
verplant Ah-Chin schon die anstehende Gehaltserhöhung für die Renovierung
der Wohnung.
## Wirtschaftlicher Boom von Taiwan
Der Film spielt mitten im wirtschaftlichen Boom des Inselstaats. Mit der
Beziehung zwischen der Geschäftsfrau und dem ehemaligen Sportler, der das
Unternehmen seiner Eltern übernehmen soll, schafft Yang einen narrativen
Mikrokosmos für sein „in glasklaren Kompositionen gehaltenes Porträt einer
individuellen und gesellschaftlichen Vergletscherung im modernen Taiwan“,
wie der Programmtext treffend formuliert.
In der Zusammenschau verdichten sich die Filme Edward Yangs zu einer
Geschichte Taiwans und seiner Hauptstadt Taipeh.
28 Oct 2024
## LINKS
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## AUTOREN
Fabian Tietke
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