# taz.de -- Taiwanischer Film „Millennium Mambo“: Die Gegenwart auf Abstand… | |
> Spiegelung aus dem Nirgendwo: In Hou Hsiao-hsiens „Millennium Mambo“ | |
> bewegt sich eine junge Frau zwischen zwei Männern hin und her. | |
Bild: Szene aus dem Film Millennium Mambo | |
Die Zeit ist aus den Fugen, und die Erzählhaltung ist es auch. Eine junge | |
Frau, von hinten gefilmt, geht wie in einer Art Trance einen Gang hinab, es | |
könnte sein, dass sie auf dem Weg in die Vergangenheit ist. Einmal wendet | |
sie den Kopf und blickt uns so an. Eine sanfte Stimme erzählt von dieser | |
jungen Frau namens Vicky (Shu Qi), sie tut es in der dritten Person, dabei | |
scheint Vicky selbst es zu sein, die hier spricht. | |
Später wird der Abstand der Zeit in eine Zahl gefasst, mit zehn Jahren | |
Abstand blickt diese Erzählerin auf das Geschehen um die Jahrtausendwende | |
zurück. | |
So ist das, was man sieht, so sind die Räume und die Zeiten, in die man mit | |
und nach diesem Beginn rettungslos eintauchen wird, also aus der Zukunft | |
erzählt, denn der Film selbst, „Millennium Mambo“, ist von 2001, auch wenn | |
er im vergangenen Jahr erst seinen sehr verspäteten und sehr kleinen | |
deutschen Kinostart hatte, als Vorbereitung von DVD und BluRay, die nun | |
erscheinen. | |
Vicky lebt in einer kleinen Wohnung in Taipeh, zusammen mit einem jungen | |
Mann namens Hao-hao (Chun-hao Tuan), dessen Ehrgeiz sich auf das Färben | |
seiner Haare und ein Dasein als Zuhause-DJ beschränkt. Man sieht ihn wieder | |
und wieder mit Kopfhörern an den Turntables stehen, versunken in die Musik, | |
deren Rhythmen einzig er hört, Vicky ist im Nebenraum, aber sein Publikum | |
ist sie nicht. | |
Sie kommen einander körperlich nahe, aber was Hao-Hao da macht, mit Händen | |
und Mund, ist weder lüstern noch zärtlich, eher ist es, als wolle er sie | |
beschnüffeln, vielleicht auf der Suche nach dem Geruch eines anderen | |
Mannes. Sie wehrt sich und wehrt sich dann auch wieder nicht. Jedenfalls | |
bleibt sie. Oder sie geht und kehrt wieder zurück. Allgemeiner gesagt ist | |
sie ziemlich lost. | |
## Seine Anziehungskraft ist nicht groß genug | |
Da ist ein anderer Mann namens Jack, Vicky hat ihn in den Nachtclubs | |
kennengelernt, in denen sie zwischendurch als Hostess ihr Geld verdient. Er | |
scheint besser für sie, aber seine Anziehungskraft ist nicht groß genug, | |
als dass Vicky sich mit seiner Hilfe aus ihrer toxischen Beziehung mit | |
Hao-Hao befreit. Und dann ist Jack seinerseits in undurchsichtige, dunkle | |
Machenschaften verstrickt. Er verschwindet nach Japan, und auch in der | |
Erzählzukunft zehn Jahre später ward nicht mehr von ihm gehört. | |
Dafür ist Vicky am Ende ihrerseits in eine traumhafte Schneelandschaft in | |
Yubari, ganz im Norden Japans, geraten, wo wegen eines Festivals alles | |
voller Filmplakate hängt, da sind, neben dem japanischen Klassiker | |
Tora-San, auch Delon und Gabin. | |
Mancher Zusammenhang bleibt in diesem Film unklar, und das muss auch so | |
sein. Er springt aus der Rille, verliert sich, springt wieder zurück, dazu | |
pulsiert die meiste Zeit wie durch eine Wand, nie im Vordergrund, | |
elektronische Indie-Musik, die Kamera gleitet durch Räume, die | |
zweidimensional scheinen, manchmal nur [1][Rothko-Farbflächen] aus Rot und | |
Blau, oder ein gelber Fleck als Spiegelung aus einem Nirgendwo insistiert, | |
Bilder, die nicht auf Darstellung sinnen, sondern darauf, dass alle, die | |
Figuren, die Zuschauerin, der Film selbst in Räumen und Zeiten versinken. | |
Legendär ist Hou Hsiao-Hsiens Kameramann Mark Lee Ping-Bing, er hatte kurz | |
zuvor mit Wong Kar-Wai „In the Mood for Love“ gedreht, eine Art | |
romantisches Geschwister des nicht minder schönen „Millennium Mambo“. | |
[2][Regisseur Hou Hsiao-Hsien ist einer der Großen des Weltkinos der | |
letzten Jahrzehnte,] zuletzt las man, er sei an Alzheimer erkrankt und | |
könne keine Filme mehr drehen. Er ist berühmter für Werke, die | |
Vergangenheiten beschwören; kein Zufall, dass auch die akute Gegenwart in | |
diesem Film durch den Blick aus der Zukunft auf Abstand gerückt wird: So | |
ist man immersiv mitten drin in etwas, das zugleich schon für immer vorbei | |
ist. | |
19 Apr 2024 | |
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## AUTOREN | |
Ekkehard Knörer | |
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