| # taz.de -- Mark-Rothko-Ausstellung und -Buch: Unter Halunken | |
| > "Das Vermächtnis des Mark Rothko", ein Buch von Lee Seldes, beschreibt | |
| > das Verhältnis des Malers zum Kunsthändler. In München ist sein Werk zu | |
| > sehen. | |
| Bild: Mark Rothko: Ohne Titel (Pflaume, Orange, Gelb), 1947 (um 90 Grad gedreht… | |
| Die aktuelle Ausstellung der Hypo-Kunsthalle München ist ein Angebot, das | |
| man unmöglich ablehnen kann. Mit über 100 Gemälden und Papierarbeiten ist | |
| die Schau wahrscheinlich eine der letzten Gelegenheiten, das Werk Mark | |
| Rothkos in so umfassender Form zu sehen. Das liegt an den 73 Millionen | |
| Dollar, bei denen letztes Jahr bei Sothebys der Hammer für Rothkos "White | |
| Center" fiel. Mit solchen Preisen schießen auch die Versicherungssummen in | |
| die Höhe. Museen können es sich dann nicht mehr leisten, die Werke | |
| auszustellen. | |
| Dabei hatte sich Mark Rothko immer gewünscht, seine Arbeiten als | |
| Werkkomplexe in Museen und anderen öffentlichen Kunst- und | |
| Kulturinstitutionen zu zeigen. Noch 1960 kaufte er neun Wandgemälde zurück, | |
| eine Auftragsarbeit für das Four-Seasons-Restaurant in Mies van der Rohes | |
| Seagrams Building, "einem Schuppen", wie er sagte, "in dem die größten | |
| Scheißkerle von New York essen gehen und angeben". Dass seine Bilder ihnen | |
| die Laune verderben könnten, wie von ihm beabsichtigt, glaubte er zu dem | |
| Zeitpunkt nicht mehr. Er vermachte die Gemälde der Londoner Tate, die dem | |
| Ensemble einen eigenen Raum widmete. Damit diese ideale Öffentlichkeit für | |
| seine Kunst kein Einzelfall blieb, brauchte es einen langen Kampf. | |
| Denn die Frage, die das Auftreten mancher großer Galeristen hin und wieder | |
| aufwirft, nämlich, was, um Gottes willen, sie ihren berühmten Künstlern | |
| eigentlich zu bieten haben außer einem Nummernkonto in der Schweiz, spielt | |
| im Fall Mark Rothkos und seiner künstlerischen Hinterlassenschaft eine | |
| wichtige, ungeklärte Rolle. Nur dieses Schweizer Nummernkonto, mit dem Mark | |
| Rothko immer wieder prahlte, kann die ausbeuterischen Verträge erklären, | |
| die er mit Francis Kenneth Lloyd, einem der mächtigsten Männer des | |
| damaligen Kunstmarkts, eben einem der Scheißkerle aus dem Four Seasons, | |
| abschloss. Das ist die These der Journalistin Lee Seldes, die den sechs | |
| Jahre dauernden Prozess mitverfolgte, den Mark Rothkos Tochter Kate nach | |
| dessen Selbstmord am 25. Februar 1970 gegen die Nachlassverwalter ihres | |
| Vaters und gegen Lloyd, den Betreiber der weltweit operierenden Marlborough | |
| Gallery mit Geschäftssitz in Lichtenstein, anstrengte. | |
| Sie gewann, unter hohen Kosten. Das gegen ihn ergangene Urteil auf Rückgabe | |
| von 658 Bildern aus dem Nachlass und 9.252.000 Dollar Schadensersatz und | |
| Strafe wegen Insidergeschäften und Scheinverkäufen interessierte Lloyd | |
| nicht. Schließlich war er in Lichtenstein vor der amerikanischen | |
| Strafverfolgung in Sicherheit. Er schaffte die Bilder nach Kanada, um sie | |
| von dort nach Europa zu holen. Sein Plan ging nicht auf. Trotzdem gingen | |
| dabei wie durch seine weiteren Machenschaften, etwa Ringverkäufe, mit denen | |
| die Preise hochgetrieben wurden, viele Werke bis heute verloren. | |
| So interessant die Irrungen und Wirrungen des Prozesses sind, den Kate | |
| Rothko mit Hilfe der New Yorker Generalstaatsanwaltschaft gewann, die als | |
| Nebenkläger für Rothkos gemeinnützige Stiftung auftrat, wirklich | |
| aufschlussreich ist Seldes Bericht hinsichtlich der Gepflogenheiten des | |
| internationalen Kunstmarkts und seiner Klientel. Ihnen galten lukrative | |
| Seilschaften und geteilte Loyalitäten als völlig normal, selbst die | |
| gegnerischen Anwälte waren darin verstrickt. Auffälligerweise wirkten sie | |
| sich stets zugunsten von Lloyd aus. Die Erklärung lieferte Gerald Dickler | |
| mit seiner freimütigen Bemerkung, er habe eben "für Halunken etwas übrig". | |
| Dickler vertrat eben nicht nur Rothkos Sohn Christopher, er vertrat auch | |
| das Selbstverständnis der herrschenden Klasse. | |
| Hier mag man nicht nur die Halunken, sondern sucht sich ganz | |
| selbstverständlich als der größte Bastard hervorzutun, der mit geschickt | |
| gehandhabten betrügerischen Methoden - an deren vorderster Stelle | |
| Insidergeschäfte rangieren - Gewinne erzielt, die unter korrekten Umständen | |
| undenkbar sind. Die Kunstszene, schreibt Lee Seldes, war sich einig, "dass | |
| Kunsthändler sich eben Freiheiten herausnehmen". In the long run kam Lloyd | |
| damit durch. Er verdiente mehr an Rothko, als er aufgrund der gegen ihn | |
| ergangenen Urteile verlor. | |
| Vor diesem Hintergrund wird München zu einem weiteren Angebot, das man | |
| nicht ablehnen sollte: in den Gemälden nicht die bekannten kryptosakralen | |
| Sensibilitäten zu suchen, mit denen der Kunstmarkt seine Geschäfte macht, | |
| indem er behauptet, sie seien nur in exklusiver Versenkung erfahrbar. Was | |
| dann 73 Millionen kostet. Stattdessen gilt es die profanen Erfahrungen des | |
| depressiven Kettenrauchers und Alkoholikers Mark Rothko in ihnen zu | |
| entdecken. Seine Empörung, Arroganz und Anmaßung im Wechsel mit Kleinmut | |
| und Niedergeschlagenheit, seine Rachefantasien und seine Siegesgewissheit, | |
| die ihn antrieben, nicht locker zu lassen und die Wucht der Farben zu | |
| steigern, bis sie zornig oder auch triumphal im Bildraum heraufzogen. | |
| 6 Mar 2008 | |
| ## AUTOREN | |
| Brigitte Werneburg | |
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