# taz.de -- Neue queere Filme: Geteiltes Leid, geteilte Freude | |
> Die Saison der Queerfilm-Festivals startet. Ein Blick auf die dort | |
> laufenden Filme „Asog“, „Valoa, Valoa, Valoa“ und „Baldiga – Ents… | |
> Herz“. | |
Bild: Szene aus dem Film „Asog“, in dem es um eine Reise zum „Miss-Pagean… | |
Am Dienstag beginnt in Norddeutschland die Saison der Queerfilmfestivals. | |
Bis in den November hinein werden in Hamburg, Hannover, [1][Bremen], | |
Bremerhaven und [2][Oldenburg] Filme für ein queeres Publikum gezeigt. Ein | |
Grund für diese Häufung besteht darin, dass sich inzwischen 24 unabhängige | |
Filmfestivals in Deutschland zur Kooperative „queerscope“ zusammengetan | |
haben. So können sie gemeinsam Filme bestellen und Gäste einladen. Das | |
stärkt die Verhandlungsposition und reduziert die Ausgaben für die | |
einzelnen Festivals. | |
Der eigenen Profilbildung schadet das nicht: Vor allem in Hamburg wird eine | |
ganze Reihe Publikumsawards in unterschiedlichsten Kategorien verliehen und | |
zum Abschluss „Lesvia“ gezeigt, für den die griechische Regisseurin Tzeli | |
Hadjidimitriou den Queerscope-Debütfilmpreis erhält. Gleichzeitig führt das | |
dazu, dass einige Filme des [3][Hamburg International Queer Film Festivals] | |
auch anderswo laufen, wie „Asog“, der Eröffnungsfilm. | |
Der wird gut 14 Tage nach der heutigen Deutschland-Premiere auf Kampnagel | |
im November auch in [4][Hannover] gezeigt. Der Spielfilm aus den | |
Philippinen belegt eindrucksvoll, dass auf diesen Festivals Diversität | |
gleich auf mehreren Ebenen gepflegt wird. | |
Denn Jaya, der*die die Geschichte aus der eigenen Perspektive erzählt, ist | |
zwar eine non-binäre Drag-Queen, aber dies wird als selbstverständlich | |
vorausgesetzt und ist nicht etwa das Hauptthema des Films. Gedreht wurde | |
auf verschiedenen philippinischen Inseln, die der Taifun Yolanda im Jahr | |
2013 verwüstet hat. Alle Darsteller*innen leben auf diesen Inseln und | |
spielen sich selbst – so auch Ray Jaya Aclao mit einer mitreißenden Energie | |
und Intensität in der Hauptrolle. | |
An der Oberfläche ist „Asog“ ein [5][Roadmovie], in dem Jaya sich auf eine | |
Reise zu einer Insel macht, um dort am „Miss-Pageant-Contest“ teilzunehmen. | |
Doch diese Spielfilmhandlung ist nur der Rahmen für eine Mischung aus | |
Fiktion und Realität, in dem diese Lebenswelt im Mittelpunkt steht, die | |
durch eine Naturkatastrophe extrem geschädigt wurde. | |
Da stehen Dokumentaraufnahmen von der extremen Zerstörung auf den Inseln | |
neben Animationssequenzen, in denen etwa ein riesiger Frosch einen Security | |
Guard verschluckt. Dieser bewacht eine Hotelanlage, die auf der Insel | |
Sicogon auf Land erbaut wurde, das den indigenen Inselbewohnern nach der | |
Katastrophe weggenommen wurde. Diese wurde direkt nach dem Sturm und der | |
Flutwelle von einem australischen Konzern mit Hilfsgütern versorgt, sollten | |
aber dafür Verträge unterschreiben, in denen sie ihr Land abtraten. | |
Im Film kommen die Menschen zu Wort, die auf der Insel blieben und sich bis | |
heute gegen diese Landvertreibung wehren. Der kanadische Filmemacher und | |
Komiker Sean Devlin erzählt diese Geschichten von der | |
[6][Klimakatastrophe], einem Aufstand von Geschädigten gegen einen | |
mächtigen internationalen Konzern und der Homophobie in einer konservativen | |
Gesellschaft in einem flirrend wilden Stil, der all diese Elemente | |
mitreißend, originell und oft sehr komisch unter einen Hut bringt. | |
Eine andere Umweltkatastrophe verleiht dem finnischen Spielfilm „Valoa, | |
Valoa, Valoa“, der auch in Bremerhaven und Oldenburg zu sehen ist, eine | |
unheilvolle Grundstimmung. Denn hier wird zwar eine Sommergeschichte von | |
der Liebe zwischen zwei Schülerinnen in einem finnischen Dorf erzählt, aber | |
diese entwickelt sich in den Tagen nach Tschernobyl. Und die radioaktiven | |
Wolken vergiften auch die Beziehungen zwischen den Menschen. | |
„Licht, Licht, Licht“ (so die Übersetzung des kryptischen Titels) ist | |
sowohl ein Coming-Of-Age-Movie als auch ein Coming-Out-Film, und beide | |
Genres sind in der Regel optimistisch. Doch die Filmemacherin Inari Niemi | |
erzählt hier von einer unmöglichen Liebe. Nicht etwa, weil eine lesbische | |
Liebe in der finnischen Provinz in den 1980er-Jahren nicht toleriert wurde, | |
sondern weil eine der Liebenden nicht weiterleben konnte und wollte. Der | |
mit viel Einfühlungsvermögen inszenierte Film beweist einmal mehr, dass die | |
besten Liebesgeschichten traurig sind. | |
[7][„Baldiga – Entsichertes Herz“], ist das Porträt von Jürgen Baldiga.… | |
den 1980er-Jahren wurde der Multikünstler für seine provokanten Auftritte | |
in der schwulen Subkultur von Berlin gefeiert. Nach dem Ausbruch seiner | |
Aids-Erkrankung dokumentierte er sein Leben mit Fotografien und | |
Tagebuchnotizen. Da er ein extremer Selbstdarsteller war, gibt es eine | |
Fülle von Bildern, Videoaufnahmen und Texten von ihm, die Regisseur Markus | |
Stein durch Interviews mit Zeitzeugen aus der damaligen queeren Szene von | |
Berlin ergänzte. | |
So authentisch und radikal wie hier wurde selten von der verheerenden | |
Wirkung von Aids erzählt, denn für Baldiga waren weder Krankheitsbilder, | |
Sexualpraktiken und Körperausscheidungen noch die verzweifelten Texte über | |
Angst und Schmerzen ein Tabu. Die erste Einstellung von „Asog“ ist eine | |
Triggerwarnung. Aber die ist bei „Baldiga – Entsichertes Herz“ viel | |
nötiger. | |
15 Oct 2024 | |
## LINKS | |
[1] https://www.queerfilm.de/ | |
[2] https://queerscope.de/festival/oldenburg/ | |
[3] https://www.hiqff.de/ | |
[4] https://queerscope.de/festival/hannover/ | |
[5] /Roadmovie/!t5032483 | |
[6] /Schwerpunkt-Klimawandel/!t5008262 | |
[7] /Berlinale-Doku-Baldiga/!5993951 | |
## AUTOREN | |
Wilfried Hippen | |
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