# taz.de -- Landtag in Thüringen konstituiert: Eine Fraktion gegen den König | |
> Nach dem Verfassungsurteil hat das Parlament zügig einen Präsidenten | |
> gewählt: Thadäus König (CDU). Doch die Sitzung zeigte, für ihn wird es | |
> schwer. | |
Bild: Nach der Eskalation am Donnerstag ging es ganz schnell: Alterspräsident … | |
Erfurt taz | Es war 10:54 Uhr, als der frisch gewählte Landtagspräsident | |
Thadäus König (CDU) zum allerersten Mal zur Glocke griff und sich klingelnd | |
Ruhe verschaffte. Dann begrüßte er die Anwesenden und bedankte sich für das | |
Vertrauen der Mehrheit im Thüringer Landtag. Von den 87 anwesenden | |
Abgeordneten stimmten an diesem Samstag 54 für ihn und 32 für die | |
AfD-Kandidatin Wiebke Muhsal. Ihre Fraktion nahm das Ergebnis auffällig | |
ruhig zur Kenntnis. | |
König erklärte, nach vorne zum Mikrofon gebeugt: „Es ist mir eine Freude | |
und Ehre, in den kommenden fünf Jahren der Präsident des Thüringer Landtags | |
zu sein.“ Er stehe nicht über den anderen Abgeordneten, sei einer von | |
ihnen, sagte der 42-Jährige. „Aus gegebenem Anlass möchte ich deutlich | |
betonen, der Präsident in diesem Saal muss den Austausch zwischen den | |
streitenden Abgeordneten unparteiisch sicherstellen.“ Beifall kam von CDU, | |
SPD, BSW und der Linken. Die AfD-Fraktion hörte hingegen ungerührt zu. | |
König erinnerte in seiner Rede auch an die Schrecken der NS-Diktatur, an | |
die mahnenden KZ-Gedenkstätten in Thüringen. „Ihnen gilt unser ehrendes | |
Andenken.“ Applaus von allen Fraktionen, außer der AfD. Als Thüringer sei | |
er außerdem denen dankbar, fährt König fort, die „die SED-Diktatur zum | |
Einsturz gebracht haben“. Auch da applaudiert nur die AfD nicht. | |
Immer wieder betonte der Landtagspräsident in seiner Antrittsrede, er wolle | |
vermitteln, ein Präsident für alle sein, Respekt vor einander fördern. Ein | |
hoher Anspruch – spätestens seit der turbulenten ersten Sitzung zwei Tage | |
zuvor. | |
## Verfassungsgerichtshof gibt CDU recht | |
Das erste Zusammentreten der neugewählten Abgeordneten am Donnerstag war | |
von wilden Wortgefechten geprägt. Es ging um Geschäftsordnungsanträge und | |
das Verhalten des Alterspräsidenten Jürgen Treutler (AfD). Als [1][ältester | |
Abgeordneter bekam der 73-Jährige das Amt] und leitete die Sitzung. Dabei | |
hielt er eine Rede, ganz im Sinne seiner Partei, entzog Abgeordneten das | |
Wort, und ließ Abstimmungen nicht zu. | |
Hintergrund des Konflikts: Laut der bis dahin gültigen Geschäftsordnung | |
durfte zunächst nur die größte Fraktion vorschlagen, wer | |
Landtagspräsident:in werden soll. Seit der letzten Landtagswahl am 1. | |
September ist das in Thüringen die AfD. | |
Allerdings: Die anderen Parteien hatten angekündigt, keine:n | |
Kandidat:in der rechtsextremen Fraktion zu wählen. Stattdessen reichten | |
CDU und BSW einen Antrag ein, um die Geschäftsordnung so zu ändern, dass | |
von Beginn an alle Fraktionen Vorschläge machen können. | |
Doch Jürgen Treutler ließ es nicht zur Abstimmung kommen. Er wehrte schon | |
vorher einen anderen Antrag ab, der auch die Geschäftsordnung ändern | |
sollte. Das dürfe der Landtag erst, behauptete Treutler mit kräftiger | |
Unterstützung der AfD-Fraktion, nachdem er eine:n | |
Landtagspräsident:in gewählt habe. Die anderen Fraktionen hielten | |
dagegen. | |
Nach vier Stunden kündigte die CDU an, vor den Thüringer | |
Verfassungsgerichtshof zu ziehen, weil der Alterspräsident die Rechte von | |
Abgeordneten, der Fraktionen und des Parlaments verletzt habe. Am späten | |
Freitagabend gab der Thüringer [2][Verfassungsgerichtshof der CDU | |
inhaltlich in allen Punkten] recht. | |
Zuvor hatte sich Björn Höcke, der Thüringer AfD-Chef, in einem kurzen Video | |
zuversichtlich gezeigt. Seine Partei müsse eigentlich recht bekommen. Doch | |
ob die Richter:innen unparteiisch urteilen würden, daran zweifle er. | |
Einen Tag später, als der Beschluss vorlag, kritisierte Höcke in einem | |
zweiten Video: Der Beschluss des Verfassungsgerichtshofs enthalte | |
Falschbehauptungen und breche mit der Tradition, aber die AfD werde ihn | |
akzeptieren. | |
Doch [3][trotz der Inszenierung Höckes]: überrascht hat es die AfD offenbar | |
nicht, dass die CDU den Verfassungsgerichtshof anrufen würde. In einem | |
kurzen Interview mit dem AfD-nahen Medium Deutschlandkurier gab | |
Alterspräsident Jürgen Treutler an, man wisse ja nie, wie Gerichte | |
entscheiden, „aber es war tatsächlich Strategie, dass die CDU nach Weimar | |
geht.“ Die AfD hatte mal wieder die Opferrolle anvisiert und ausgespielt. | |
Das zeigte sich auch am Tag nach dem Beschluss. | |
## AfD in der Opferrolle | |
Die Stimmung am Samstagmorgen, als der Thüringer Landtag seine | |
konstituierende Sitzung fortsetzte, war eine andere. Es war ruhiger. Wieder | |
saß Treutler vorne am Tisch der Sitzungsleitung, klingelte zur Eröffnung | |
und las sogleich vor, was der Verfassungsgerichtshof entschieden hatte. | |
Wort für Wort betonend, endete Treutler: „Ich werde mich an diesen | |
Beschluss halten.“ | |
Dann ging es ganz schnell. Treutler benannte Schriftführer:innen, die | |
zählten die Namen der 88 Abgeordneten auf, um festzustellen, ob der Landtag | |
beschlussfähig ist. Fast alle antworteten mit „Ja“ oder „Hier“. Nur Bo… | |
Ramelow (Linke), der bisherige Ministerpräsident, sagte „anwesend“ und ein | |
Abgeordneter war abwesend. Innerhalb von 45 Minuten beschloss der Landtag | |
die neue Wahlordnung, kurz darauf stand die Wahl an. | |
Wie Mitte September angekündigt, stellte die AfD Wiebke Muhsal auf. Die | |
38-Jährige hatte bei der Landtagswahl für Aufsehen gesorgt, weil sie im | |
Wahlkreis Saale-Holzland II mit 38,9 Prozent gegen den | |
CDU-Spitzenkandidaten Mario Voigt das Direktmandat gewonnen hat. Aber für | |
die demokratischen Fraktionen im Landtag war die Aufstellung von Muhsal aus | |
anderen Gründen eine Provokation. | |
Als Muhsal von 2014 bis 2019 das erste Mal Abgeordnete war, betrog sie den | |
Thüringer Landtag und wurde rechtskräftig zu einer Strafe von 8.000 Euro | |
verurteilt. Sie hatte einen Arbeitsvertrag vordatiert und so unrechtmäßig | |
Geld für eine Mitarbeiterin kassiert. | |
Für die CDU kandidierte Thadäus König. Er wurde 2019 Mitglied des | |
Parlaments und gewann zuletzt das Direktmandat im katholisch geprägten | |
Eichsfeld. Schon vor der konstituierenden Landtagssitzung hatten alle | |
Fraktionen außer der AfD bekundet, für ihn stimmen zu wollen. | |
Etwa zehn Minuten nach der Wahl gab dann Jürgen Treutler bekannt: Thadäus | |
König hat die Wahl gewonnen. „Nehmen Sie die Wahl an?“, fragte er und Kön… | |
antwortete: „Ja, sehr gerne.“ | |
Als erster gratulierte Bodo Ramelow mit einem Blumenstrauß, dann der | |
Alterspräsident Jürgen Treutler, dann Björn Höcke und Wiebke Muhsal. Erst | |
danach gab Mario Voigt, der CDU-Fraktionsvorsitzende, König die Hand und | |
für den CDU-Geschäftsführer Andreas Bühl gab es eine Umarmung. | |
Im Plenarsaal bildeten die Abgeordneten eine Schlange, um nacheinander den | |
neuen Landtagspräsidenten zu beglückwünschen. Thorben Braga, | |
parlamentarischer Geschäftsführer der AfD, reihte sich ganz hinten in die | |
Reihe ein und gratulierte als letzter. Die übrige AfD-Fraktion blieb | |
geschlossen sitzen. Warum? Auf taz-Anfrage antwortete Stefan Möller, | |
Co-Vorsitzender der AfD in Thüringen: „Ich kann niemandem gratulieren, der | |
meine Kollegen und mich demütigt und herabwürdigt.“ | |
Im weiteren Verlauf der Sitzung verharrte die AfD-Abgeordneten fast | |
regungslos auf ihren Plätzen. Vielleicht erzählt Jürgen Threutler demnächst | |
beim Deutschlandkurier, welche Strategie dahinter steckte. (Mitarbeit | |
Gareth Joswig) | |
28 Sep 2024 | |
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## AUTOREN | |
David Muschenich | |
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