# taz.de -- AfD im Thüringer Landtag: Ein Eklat folgt auf den anderen | |
> Die erste Sitzung in Thüringen endet im Chaos. Weil der | |
> AfD-Alterspräsident die Verfassung gebrochen habe, ruft die CDU nun das | |
> Verfassungsgericht an. | |
Bild: In der zweiten Unterbrechung diskutierten die parlamentarischen Geschäft… | |
Erfurt taz | Es war laut im Thüringer Landtag. Ein Wortgefecht folgte auf | |
das nächste, dazwischen unterbrachen nur kurze Pausen die erste Sitzung des | |
Parlaments an diesem Donnerstag. Bis der CDU-Generalsekretär Andreas Bühl | |
nach vier Stunden verkündete, seine Fraktion wolle das Thüringer | |
Verfassungsgericht anrufen, weil der 73-jährige Alterspräsident Jürgen | |
Treutler (AfD) mehrfach die Verfassung gebrochen habe. Vom Gericht wird | |
eine schnelle Entscheidung erwartet. Die Konstituierung des Landtags soll | |
am Samstag um 9 Uhr fortgesetzt werden. | |
Für gewöhnlich sind solche Konstituierungen eher Formsache, die 88 | |
neugewählten Abgeordneten treffen sich und wählen eine:n | |
Landtagspräsident:in. Dieses Mal war es anders. Schon der erste Tagespunkt | |
zog sich über drei Stunden: die Rede des Alterspräsidenten Jürgen Treutler | |
von der AfD. Dabei folgte ein Eklat auf den anderen. | |
Neben der CDU warfen auch das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW), die SPD und | |
die Linke dem Alterspräsidenten vor, er beschränke ihre verfassungsmäßigen | |
Rechte als Abgeordnete. Er habe ihnen das Wort abgeschnitten, | |
Geschäftsordnungsanträge ignoriert und versucht, Debatten zu unterbinden. | |
Auch wenn Treutler behaupte, die Geschäftsordnung zu achten, ignoriere er | |
sie, so der Vorwurf. Mehrfach hatte Treutler zum Beispiel versucht, | |
Politiker:innen der anderen Fraktionen die Mikrofone abzustellen. „Sie | |
missachten unsere Rechte als Abgeordnete“, warf ihm Janine Merz (SPD) vor. | |
Mit seinem Agieren verhindere der AfD-Politiker die Selbstbestimmung des | |
Parlaments. „Sie erklären dieses Parlament für unmündig“, kritisierte zum | |
Beispiel BSW-Geschäftsführer Tilo Kummer. | |
## „Was Sie hier treiben, ist Machtergreifung“ | |
Was Treutler damit bezwecken wollte, hatte die AfD schon vor der Sitzung | |
öffentlich bekannt gegeben: Die AfD-Abgeordneten möchten den:die | |
Landtagspräsident:in stellen – mit allen Mitteln. Dafür wob der | |
Alterspräsident in seine Eröffnungsrede seine Interpretation der | |
Geschäftsordnung ein und erzeugte prompt lautstarken Widerspruch. | |
Der [1][Konflikt entzündete sich ursprünglich an einer Unklarheit in der | |
Geschäftsordnung]. Weil die AfD bei der Landtagswahl am 1. September den | |
höchsten Stimmenanteil bekam – und damit 32 Plätze – stellt sie die grö�… | |
Fraktion. Die bisherige Geschäftsordnung weist ihr deshalb das Recht zu, | |
eine:n Abgeordnete:n als Landtagspäsident:in vorzuschlagen. | |
Soweit ist das unstrittig. | |
Sollte dieser Vorschlag in zwei Wahlgängen keine Mehrheit bekommen, sind | |
andere Vorschläge erlaubt. Aber wer die einbringen kann, regelt die | |
Geschäftsordnung bisher nicht. Von der AfD heißt es, auch dann sei nur die | |
größte Fraktion berechtigt – also sie selbst –, Kandidat:innen | |
vorzuschlagen. So erklärte das auch Treutler in seiner Rede. Der | |
wissenschaftliche Dienst des Landtags geht hingegen nach Auslegung der | |
geltenden Geschäftsordnung davon aus, dass nach zwei durchgefallenen | |
Vorschlägen der AfD auch die übrigen Fraktionen Kandidat:innen | |
aufstellen können. Darauf berufen diese sich. | |
Doch in der Sitzung kam es noch zu einem zweiten Streitpunkt: Die CDU | |
wollte einen Geschäftsordnungsantrag stellen, bevor der Landtag eine:n | |
Präsident:in gewählt hat. So wollte sie wohl die Geschäftsordnung | |
dahingehend ändern, dass von Anfang an alle Fraktionen Vorschläge | |
einreichen können. Einen entsprechenden Antrag hatte die CDU-[2][Fraktion | |
gemeinsam mit dem BSW] eingereicht. Doch schon den ersten | |
Geschäftsordnungsantrag, die Beschlussfähigkeit des Landtags schnell | |
festzustellen, wollte Treutler nicht zulassen. | |
Immer wieder drängten ihn die Geschäftsführer:innen der anderen | |
Fraktionen dazu. Treutler bekam keine Ruhe in das Parlament. Was Treutler | |
mache, schade der Demokratie, weil er den Mehrheitswillen ignoriere, rief | |
Andreas Bühl zwei Stunden nach Sitzungsbeginn und fuhr lautstark fort: „Ich | |
verlange von Ihnen, die Geschäftsordnung anzuwenden.“ | |
Als sich BSW-Geschäftsführer Tilo Kummer einschaltete, verlor Björn Höcke, | |
der AfD-Chef, völlig die Fassung: „Herr Kummer, Sie können doch nicht | |
einfach das Wort ergreifen“, ergriff Höcke per Mikrofon einfach das Wort. | |
Auch Bühl schien völlig fassungslos, als der Alterspräsident anfing, ihn | |
und andere einfach zu ignorieren. „Was Sie hier treiben, ist | |
Machtergreifung.“ | |
## Viele Unterbrechungen | |
Treutler selbst wirkte mit der Situation insgesamt überfordert. Immer | |
wieder blickte er nach rechts, zu seiner Fraktion. Immer wieder eilten | |
Torben Braga, der AfD-Geschäftsführer, und Stefan Möller, der | |
AfD-Co-Vorsitzende, nach vorne, um sich mit Treutler zu besprechen. Nach | |
etwas mehr als drei Stunden, als die SPD weiterhin auf ihrem Recht bestand, | |
einen Geschäftsordnungsantrag einzubringen, sagte er in sein Mikrofon: „Ich | |
sehe, es kommt zu keiner Ruhe, ich unterbreche die Sitzung für fünf | |
Minuten.“ Allerdings: Die anderen Fraktionen folgten ihm nicht. | |
Schon stehend wiederholte Treutler: „Die Sitzung ist unterbrochen.“ Auch | |
Björn Höcke klemmte sich seine Mappe unter den Arm und ging, seine | |
AfD-Fraktion folgte zögerlich. Einzelne blieben sitzen. Genauso, wie alle | |
Abgeordneten der anderen Fraktionen. „Wir fordern den zweitältesten | |
Abgeordneten auf, die Sitzung fortzuführen“, meldete sich schließlich Bühl | |
zu Wort. Klopfen auf die Tische. Doch niemand regt sich. „Wir verlangen, | |
dass unsere verfassungsmäßigen Rechte gewahrt werden und die Sitzung | |
fortgesetzt wird“, schloss sich Katja Mitteldorf von der Linken an. | |
Sieben Minuten lang tat sich nichts. Dann erst setzte sich der | |
AfD-Alterspräsident wieder. Die Geschäftsführerin der Linken, Katja | |
Mitteldorf, klärte ihn auf: „Geschäftsordnungsanträge sind unverzüglich zu | |
beraten.“ Es sei „jetzt“ an der Zeit, endlich über den | |
Geschäftsordnungsantrag abzustimmen, der seit Stunden im Raum stehe. Die | |
Fraktionsvorsitzende des BSW, Katja Wolf, sagte anschließend zum | |
Alterspräsidenten Treutler: „Sie haben keine politische Legitimation, | |
eigene Geschäftsordnungsinterpretation vorzunehmen.“ Trotzdem wollte | |
Treutler einfach fortfahren. „Ich komme nun zur Ernennung von vorläufigen | |
Schriftführern …“ Da unterbrach ihn Janine Merz: „Einspruch! Wir sind | |
überhaupt nicht in der Tagesordnung, in der Sie gerade verfahren wollen.“ | |
Kurz darauf rief Treutler noch einmal die Geschäftsführer:innen der | |
Fraktionen zu sich. Der Plenarsaal beruhigte sich etwas und Katja | |
Mitteldorf bekam das Wort. Sie wolle für die Linke-Fraktion festhalten, | |
dass „der Alterspräsident seine Funktion, die nicht demokratisch | |
legitimiert ist, als Landtagspräsident missbrauchen möchte, obwohl er das | |
eben das nicht ist“. | |
Ähnlich äußerte sich danach die SPD, das BSW und die CDU. Nur Torben Braga | |
von der AfD nahm den Alterspräsidenten aus seiner Fraktion in Schutz. | |
Treutler ständen „die Maßnahmen zur Verfügung, die zur Aufrechterhaltung | |
der Ordnung im Sitzungsraum notwendig sind. Er wurde in seinen Ausführungen | |
mehrfach unterbrochen, ohne dass er das Wort erteilt hat.“ | |
Zudem wiederholte er nochmal, welches Rechtsverständnis die AfD bei der | |
Frage hat, wann Geschäftsordnungsanträge zu behandeln seien und welche | |
Fraktionen Vorschläge für das Amt der Landtagspräsident:in machen | |
darf. Nach einer weiteren Besprechung der Geschäftsführer:innen sagte | |
Treutler, seine Finger knetend: „Als Alterspräsident schließe ich mich der | |
Meinung von Torben Braga an.“ Dann gab er ein letztes Mal dem CDUler | |
Andreas Bühl das Wort. | |
Mehr als vier Stunden nach dem Beginn der konstituierenden Sitzung erklärte | |
der, seine Fraktion werde nun vor das Thüringer Verfassungsgericht ziehen, | |
weil Treutler in dieser ersten Sitzung mehrfach die Verfassung gebrochen | |
habe. Bis das Gericht entschieden hat, ist die Sitzung unterbrochen. | |
Es ist nur ein Vorspiel auf das, was die nächsten Monate bevorsteht. | |
26 Sep 2024 | |
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## AUTOREN | |
David Muschenich | |
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