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# taz.de -- Kinotipp der Woche: Vom Überlebenskampf
> Der Start des neuen Berliner Dokumentarfilmfestivals Dokumentale ist
> durchaus umstritten. Gute Filme zu Pressefreiheit und Empowerment laufen
> allemal.
Bild: Szene aus „Of Caravan and the Dogs“ (Askold Kurov and Anonymous 1, DE…
Bäng! Da ist es, das neue Festival für Dokumentarfilme, das schon vom Namen
nach zeigt, dass es hoch hinaus will. Bei Dokumentale denkt man schließlich
unweigerlich an das Kronjuwel der Berliner Filmfestivalszene, an die
Berlinale.
Und prompt gibt es auch Unmut über das vermeintliche Platzhirsch-Gebaren
des Neulings, worüber unter anderem der Tagesspiegel berichtet hat. Vor
allem über den Zeitraum, in dem sich die Dokumentale präsentiert, sind
demnach einige unglücklich. Der Oktober ist bereits voll mit diversen
Filmfestivals, heißt es, somit könnte eine Kannibalisierung drohen. Und so
wie die Dokumentale auftritt, könnte es tatsächlich gut sein, dass der
Oktober in Zukunft vor allem ihr gehört. Vom 10. bis zum 20. Oktober findet
sie statt, ist also ein vergleichsweise langes Filmfestival. Und es
verteilt sich nicht nur über zig Kinos in der Stadt, sondern bespielt auch
eher ungewöhnliche Orte, wie den Club Tresor oder das Zeiss-Planetarium.
Auch das [1][Human Rights Film Fest, das gerade noch läuft], soll nicht
besonders glücklich darüber sein, dass es eine neue Konkurrenz bekommen
hat. Schaut man sich etwa den Film „Of Caravan and the dogs“, den der
russische Regisseur Askold Kurov zusammen mit Anonymous drehte, an, kann
man die Bedenken auch gut verstehen. Der Film, der [2][oppositionelle
Medien wie Novaya Gazeta] und die Menschenrechtsorganisation Memorial beim
Überlebenskampf kurz vor und nach der Invasion der Ukraine durch den
russischen Imperator Putin zeigt, ist sicherlich astreiner Stoff für das
HRFF, nun zeigt ihn aber die Dokumentale.
Dadurch, dass der Film bereits Wochen vor dem Überfall der Ukraine in die
Schilderung der Ereignisse einsteigt, lässt sich noch einmal recht gut
rekapitulieren, wie rasend schnell Putin Russland in seinem Sinne
kriegstüchtig gemacht hat, was konkret bedeutet, dass er es in
Blitzgeschwindigkeit von einer Autokratie in eine Diktatur verwandelt hat.
[3][Dimitry Muratov], Chefredakteur der Novaya Gazeta, im Jahr 2022
frischgebackener Nobelpreisträger, versucht, seine Zeitung durch die Zeit
des großen Umbruchs in Russland zu manövrieren. Dass Putin die Ukraine noch
massiver als zuvor angreifen könnte, damit hatte man auch hier gerechnet.
Doch als es dann zur Invasion kommt, ist man auch hier geschockt.
Und dann geht alles ganz schnell. Das Wort „Krieg“ wird vom Staat auf den
Index gesetzt, fortan darf nur noch von der berüchtigten „Spezialoperation“
die Rede sein. Überhaupt muss die Zeitung gehörig aufpassen, was sie nun
druckt. Es wirkt schon fast komisch, wenn ein Redakteur den Text eines
Korrespondenten redigiert und dabei gut die Hälfte des Geschriebenen rot
einfärbt, weil er befürchtet, das könne Probleme mit der Staatsmacht
hervorrufen.
Am Ende hilft bekanntlich auch mehr Vorsicht nichts. Bald entern Polizisten
in Tarnfleck die Redaktion, schmieren „Z“ an die Wände und machen klar:
Putin zu kritisieren, geht im neuen Russland nicht mehr.
Den eigentlichen Ton der Dokumentale setzt aber wohl eher deren zwar auch
politischer, vor allem aber beschwingter Eröffnungsfilm „Sisterqueens“ von
Clara Stella Hüneke. Die Regisseurin hat für diesen die drei Berliner
Mädchen Jamila, Rachel und Faseeha eine Zeit lang begleitet, weitgehend
während der Corona-Pandemie.
Die drei nehmen als Hip-Hop-Crew an dem titelgebenden [4][Rap-Projekt für
Mädchhen* in Wedding] teil und wollen alle hoch hinaus. Astronautin,
Biologin, Schauspielerin, davon träumen sie und sicherlich nicht davon,
einfach möglichst bald einen Typen zu heiraten, wie sich das vielleicht
ihre Mütter wünschen.
Feministin, das bekommt man hier vermittelt, kann man nicht früh genug
werden. Den drei Mädchen geht es um gegenseitiges Empowern und um
Freundschaft. Jungs und Männer spielen hier kaum eine Rolle und sind den
ganzen Film über weitgehend abwesend. Girlpower geht viel besser ohne sie.
9 Oct 2024
## LINKS
[1] /Human-Rights-Film-Festival-Berlin/!6034852
[2] /Zum-Tag-der-Pressefreiheit-2024/!6004583
[3] /Friedensnobelpreis-fuer-Ressa-und-Muratow/!5807028
[4] /Leiterin-ueber-Rap-Workshop-fuer-Maedchen/!5748218
## AUTOREN
Andreas Hartmann
## TAGS
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Kino Berlin
Dokumentarfilm
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