# taz.de -- Dietmar Woidke vor der Landtagswahl: „Deutschland muss härter ag… | |
> Der SPD-Ministerpräsident Brandenburgs will schärfer gegen illegale | |
> Migration vorgehen, um die AfD zu schlagen. | |
Bild: Auch beim Strohballenfest in Lindow ist Dietmar Woidke (Mitte) mit Wähle… | |
taz: Herr Woidke, mögen Sie Glücksspiele? | |
Dietmar Woidke: Nicht sehr. Wenn ich in den Lostopf greife, ziehe ich | |
meistens eine Niete. Aber Sie wollen auf etwas anderes hinaus. | |
taz: Sie kündigen an: Wenn die SPD bei der Wahl am 22.9. hinter der AfD | |
liegt, sind Sie weg. So wie jemand, der beim Roulette alles auf Rot setzt. | |
Ist das nicht zu viel Risiko? | |
Woidke: Nein. Das ist die logische Zuspitzung unserer Kampagne. Es geht | |
darum, wer Brandenburg künftig führt. | |
taz: Weil die Brandenburger eher Personen als Parteien wählen? | |
Woidke: Parteien spielen eine große Rolle. Aber in den letzten Jahren hat | |
man bei Reiner Haseloff, Stefan Weil oder ganz aktuell bei Michael | |
Kretschmer gesehen, wie wichtig Personen bei Landtagswahlen sind. Wenn | |
Dinge komplexer und schwieriger zu durchschauen sind, fragen viele: Wem | |
kann ich vertrauen? Ich habe dazu eine ganz gute Basis: In Brandenburg | |
kennen mich mehr als 90 Prozent, gut 50 Prozent sind sehr zufrieden oder | |
zufrieden mit meiner Arbeit. Und über 50 Prozent würden mich nach einer | |
aktuellen Umfrage direkt zum Ministerpräsidenten wählen. | |
taz: War das Plakat „Wenn Glatze, dann Woidke“ Ihre Idee? | |
Woidke: Nein. Das hat mir jemand vorgeschlagen. Die Selbstironie fand ich | |
aber gut. | |
taz: Die Linkspartei wirft Ihnen vor, mit „Ich oder die AfD“ die Wähler zu | |
erpressen. | |
Woidke: Das ist keine Erpressung, das ist Demokratie. Und nicht | |
ungewöhnlich. Wer ist denn Ministerpräsident geblieben, nachdem er eine | |
Wahl verloren hatte? Wenn man verliert, ist es logisch, nicht | |
weiterzumachen. Ich trage seit elf Jahren Verantwortung für Brandenburg. | |
Wir liegen mittlerweile beim Wirtschaftswachstum vor den meisten anderen | |
Bundesländern. Es gibt einen Zweikampf zwischen der SPD und der AfD. Die | |
Zeit hat treffend geschrieben: „Wut oder Woidke“. Ich will mit aller Kraft | |
verhindern, dass die AfD stärkste Fraktion wird und unsere stolze | |
Brandenburger Flagge hässliche braune Flecken bekommt. Wir werden diese | |
Wahl gewinnen. | |
taz: Und was, wenn die AfD ein halbes Prozent vor der SPD liegt? | |
Woidke: Ich habe eine klare Ansage gemacht. Die gilt. | |
taz: Sie haben neulich mit den Brandenburger Landräten einen | |
Elf-Punkte-Plan zur Migration beschlossen. Hauptpunkte: Untergetauchte | |
abgelehnte Asylbewerber werden immer zur Fahndung ausgeschrieben. Es wird | |
ein Abschiebezentrum geben. Asylsuchende sollen an der Grenze von der | |
Bundespolizei zurückweisen werden können. Wo ist der Unterschied zu dem, | |
was Merz fordert? | |
Woidke: Für mich gilt: Bestehende Regeln müssen durchgesetzt werden. Nach | |
Solingen stellte sich die Frage: Warum akzeptiert eine Behörde, dass ein | |
Ausreisepflichtiger, der in diesem Fall nach Bulgarien ausgewiesen werden | |
konnte, nicht angetroffen wurde? Warum wurde er nicht zur Fahndung | |
ausgeschrieben? Um solche Fälle zu verhindern, brauchen wir einen | |
einheitlichen Vollzug in Brandenburg. Zweitens: Es ist uns gelungen, | |
irreguläre Migration mit Grenzkontrollen nach Polen deutlich zu senken. | |
Aber die Belastung ist auf kommunaler Ebene sehr hoch. Die Lage in Europa | |
hat sich verändert. Auch Länder wie Schweden oder Dänemark, die früher für | |
Liberalität bekannt waren, handeln anders. Deutschland ist gut beraten, | |
auch entsprechend härter zu agieren. | |
taz: Wollen Sie das Gleiche wie Merz? | |
Woidke: Wir müssen diese komplexen Fragestellungen gemeinsam lösen. Die | |
CDU/ CSU ist mitverantwortlich für einen großen Teil dieser Regeln. Sie | |
kann sich nicht berechnend-schmollend in die Ecke stellen. | |
taz: Merz will wegen der Überlastung der Kommunen eine Notlage erklären, | |
damit EU-Recht aushebeln, um an den Grenzen zurückweisen zu können. Gehen | |
Sie da mit? | |
Woidke: Diese Notlage zu erklären, wäre nur eine kurzfristige Hilfe. Das | |
System muss auf europäischer Ebene funktionieren und das dauerhaft. Die | |
Außengrenzen müssen gesichert werden. Ob jemand für Asylverfahren in Europa | |
infrage kommt, muss dort geklärt werden. Danach brauchen wir eine | |
solidarische Verteilung auf die Mitgliedsländer der EU. Die Erklärung einer | |
Notlage für Deutschland hilft auf Dauer nicht. | |
taz: Schüren Sie mit den Elf-Punkten nicht die Illusion, dass sich illegale | |
Migration verhindern lässt – und damit eine Erwartung, die enttäuscht | |
werden muss? | |
Woidke: Der erste Reflex bei dieser Debatte ist immer: Man kann illegale | |
Migration nicht eindämmen. Doch, kann man, wie die Grenzkontrollen seit | |
eineinhalb Jahren zeigen. Der zweite Reflex ist: Das ist ein Rechtsruck. | |
Nein, ist es nicht. Wir verbinden Humanität und Ordnung. | |
taz: Die Grünen, mit denen Sie in Brandenburg regieren, sagen: „Die SPD ist | |
kein Bollwerk mehr gegen die AfD.“ Was antworten Sie? | |
Woidke: Dass es nichts nutzt, den Kopf in den Sand zu stecken. Ich hätte | |
mir gewünscht, dass die Grünen in Brandenburg ihre Verantwortung | |
wahrgenommen hätten, mit Landräten und Oberbürgermeistern in der Potsdamer | |
Staatskanzlei zu sprechen. Leider ist die grüne Integrationsministerin | |
nicht gekommen. Die Realität nicht zur Kenntnis zu nehmen, war noch nie | |
gut. | |
taz: Über Migration wird nur noch negativ als Bedrohung geredet. Von der | |
AfD sowieso, und jetzt auch von der Union und SPD. Sehen Sie diese Gefahr | |
nicht? | |
Woidke: Nein, wir brauchen geordnete Migration, für unsere Wirtschaft und | |
unser Gesundheitssystem. Ich war in einem Brandenburger Krankenhaus. Da | |
kommt die Hälfte der Ärzte aus Ländern wie Syrien, Iran, auch EU-Staaten. | |
Viele in Brandenburg mit Migrationshintergrund sagen mir: In Deutschland | |
müssen Regeln gelten. Sie spüren, dass sich das Klima verändert. Deshalb | |
müssen wir Regeln durchsetzen. Und schnell dafür sorgen, dass Geflüchtete | |
Arbeit bekommen und integriert werden. | |
taz: Müssen nicht gerade Politiker der Mitte-Parteien jetzt lauter sagen: | |
Migration ist eine Erfolgsgeschichte? | |
Woidke: Das machen wir ja. Erst kürzlich war ich einem Logistikzentrum. Der | |
Chef hat mir gesagt: Ohne die engagierten Menschen aus vielen verschiedenen | |
Staaten, darunter viele Geflüchtete, könnte ich zumachen. Oder Tesla und | |
Rolls-Royce: Dort kommen die Beschäftigten aus über 50 Nationen. Aber | |
momentan läuft die Diskussion in eine andere Richtung. Wir müssen die Kraft | |
zur Korrektur haben, wenn sich die Lage in Europa und die Erwartungshaltung | |
der Bevölkerung verändern. Die Integrationsmöglichkeit auf der kommunalen | |
Ebene hat Grenzen. Auch Ehrenamtliche, die in der Flüchtlingshilfe | |
arbeiten, sagen mir: Wir müssen aufpassen, dass keine Welle über unserem | |
Kopf zusammenschlägt. | |
taz: Migration ist für die Wähler in Brandenburg derzeit laut Umfrage das | |
wichtigste Thema. Zahlt das bei der AfD ein? | |
Woidke: Nein. Nur wenn demokratische Parteien in den Augen vieler | |
Bürgerinnen und Bürger Probleme nicht lösen oder aus politischer | |
Korrektheit verschweigen, hilft das den Populisten. Das tun wir nicht. Man | |
muss sagen, was ist, und machen, was notwendig ist. | |
taz: In Sachsen und Thüringen hat die Mehrheit AfD und BSW gewählt. Im | |
Westen fragen manche: Was ist mit dem Osten los? Und vermuten, das sei ein | |
Effekt von Demokratiefeindschaft und der Diktaturerfahrung. | |
Woidke: Naja. Erstens bezweifele ich, dass es den Osten als kollektiven | |
Akteur gibt, den man unter Generalverdacht stellen kann. Zweitens: In | |
Bayern haben bei der letzten Landtagswahl gut 30 Prozent rechts von der CSU | |
gewählt. In Hessen hatte die AfD knapp 19 Prozent. Wir müssen uns also | |
überall überlegen, wie wir den Menschen zeigen, dass Demokratie gut | |
funktioniert. Das geht aber nicht im Wolkenkuckucksheim, sondern nur mit | |
den Menschen. | |
taz: CDU-Leute wie Ruprecht Polenz und Roderich Kiesewetter raten der CDU | |
in Thüringen, lieber eine AfD-Regierung zuzulassen, als selbst mit dem BSW | |
zu koalieren. Wie finden Sie das? | |
Woidke: Zwischen AfD und BSW würde ich schon mal einen deutlichen | |
Unterschied machen. Die deutsche Geschichte hat gezeigt, dass Rechtsextreme | |
keinesfalls an die Macht kommen dürfen. | |
taz: Neben Migration treibt viele der Ukraine-Krieg um. Wie nehmen Sie das | |
wahr? | |
Woidke: Ich höre teilweise hanebüchene Sachen. Die Ukraine sei selber | |
schuld, der Westen sei schuld oder die bösen Amerikaner. | |
taz: Kommt das vom BSW oder der AfD? | |
Woidke: Ich höre das von vielen. | |
taz: Was antworten Sie? | |
Woidke: Dass Putin öffentlich erklärt hat, dass Russland die Ukraine als | |
selbstständigen Staat vernichten will. Putin hat die Ukraine überfallen. | |
Deshalb haben wir die moralische Verpflichtung, die Ukraine zu | |
unterstützen. Und wir müssen dafür sorgen, dass es möglichst schnell wieder | |
Frieden in Europa geben kann. Dafür brauchen wir diplomatische Wege. | |
taz: Hat die Ampel zu viel über Waffen und zu wenig über Diplomatie | |
geredet? | |
Woidke: Ja. Ich hätte mir gewünscht, dass gerade Deutschland mit seiner | |
schwierigen Geschichte öfter deutlich macht, dass wir diplomatische | |
Lösungen unterstützen. Schweigen ist keine Lösung. Ich würde mich freuen, | |
wenn da klarere außenpolitische Signale kämen. | |
taz: Kanzler Scholz hat nun gesagt, man könne in der Ukraine „zügiger zum | |
Frieden kommen“. War das Unterstützung für Sie? | |
Woidke: Der Schlüssel zum Frieden liegt in Moskau und nirgendwo sonst. Das | |
hat Olaf Scholz deutlich gemacht. Wir brauchen diplomatische Klugheit und | |
militärische Stärke, um Russland zu Verhandlungen zu bewegen. Die Ukraine | |
muss an diesen Gesprächen beteiligt sein. | |
taz: Welche Rolle spielt die geplante Stationierung der | |
US-Mittelstreckenraketen im Wahlkampf? | |
Woidke: Die passt in das falsche Narrativ, dass der Westen schuld sei und | |
Russland umzingelt werde. Deswegen ist es wichtig, die Menschen bei solchen | |
Entscheidungen einzubeziehen. | |
taz: Das hat von Seiten der SPD nicht so gut geklappt. | |
Woidke: Stimmt. Da ist Luft nach oben. | |
taz: Bei der Nachrüstung 1979 hat die Nato Moskau einen doppelten Verzicht | |
auf Raketen mit angeboten. Jetzt nicht. Ist das ein Fehler? | |
Woidke: Ich glaube, so ein Angebot wäre gut. Man sollte militärische Stärke | |
immer mit kluger Diplomatie verbinden. Es ist wichtig, klar zu machen, dass | |
sich in Russland niemand vor uns fürchten muss. Deshalb sollten wir uns an | |
Gorbatschow erinnern. Er hat gesagt: „Wir wollen gemeinsam in einem | |
friedlichen Haus Europa leben.“ | |
13 Sep 2024 | |
## AUTOREN | |
Stefan Reinecke | |
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