| # taz.de -- Junge Wähler*innen in Templin: Jugend auf dem rechten Weg | |
| > Bei der U-16 Landtagswahl in Brandenburg hat die AfD am besten | |
| > abgeschnitten. Auch in Templin, einer Station des Projekts Demokratie | |
| > Tour Uckermark. | |
| Bild: Das Team der „Demokratie Tour Uckermark“ bei seinem Stopp am Templine… | |
| Vier orangefarbene Tafeln reihen sich auf dem Templiner Marktplatz | |
| aneinander. Dort prangen 38 Thesen. Ein analoger [1][Wahl-O-Mat für die | |
| Landtagswahl in Brandenburg] am 22. September. Eine ältere Frau empört | |
| sich: „Bitte, was? Die Grünen?“, als sie an der letzten Tafel ihre | |
| Wahl-O-Mat-Auswertung erhält. Eine andere Passantin, mit extravaganter | |
| burgunderroter Brille, fällt schier aus den Wolken, als bei ihr das BSW auf | |
| dem Zettel steht. | |
| Der Wahl-O-Mat zum Aufkleben ist eines der Angebote der „Demokratie Tour | |
| Uckermark“, die zum 21. September 2024 in Brandenburg unterwegs ist. Vor | |
| seinem Stopp auf dem Templiner Marktplatz in dieser Woche war das Projekt | |
| bereits in Angermünde, Prenzlau und Schwedt vor allem auf Schulhöfen | |
| anzutreffen. Denn die Hauptzielgruppe sind Jung- und Erstwähler*innen. Dort | |
| zeichnet sich, wie schon bei der Europawahl, ein Trend ab: [2][Sie wählen | |
| vielfach extrem rechts.] | |
| Bei der U-16 Landtagswahl konnte die AfD, deren brandenburgischen | |
| Landesverband der Verfassungsschutz als rechtsextremen Verdachtsfall | |
| einstuft, die meisten Stimmen verzeichnen. Sie erhielt 29,7 Prozent, | |
| gefolgt von der SPD mit 15,1 Prozent und der CDU mit 12,6 Prozent. Gewählt | |
| haben 4.736 Kinder und Jugendliche. Das Projekt ist eigentlich als U-18 | |
| Wahl bekannt. Da in Brandenburg aber wie neuerdings auch in Berlin schon | |
| 16-Jährige wählen dürfen, heißt es dort U-16 Wahl. | |
| ## Lage lässt sich nicht schön reden | |
| „Es fängt schon an, wenn wir mit unserem Anhänger auf den Schulhof fahren. | |
| Da steht Demokratie Tour drauf. Dann wird nur noch AfD gegröhlt oder auch | |
| Dritter Weg“, erzählt die 20-jährige Leoni Großgebauer. Sie hat ihre langen | |
| braunen Haare unter ein blaues Cap geschoben und sitzt lässig in einem | |
| hölzernen Liegestuhl im Schatten, als sie von ihren Erfahrungen als | |
| Projektassistenz bei der Tour erzählt. Eine Aufgabe der jeweils | |
| achtköpfigen Teams ist es, den Schüler*innen grundlegende | |
| Wahlinformationen zu vermitteln. | |
| Laut Großgebauer, die selbst in einem Dorf in der Nähe von Prenzlau | |
| aufgewachsen ist, lässt sich die Lage nicht schön reden. Die meisten Siebt- | |
| und Achtklässler würden nicht kritisch denken, sondern das wiedergeben, | |
| „was sie zu Hause hören und auf den Straßen sehen“. | |
| Eine andere Mitarbeiterin des Demokratie-Tour-Teams, die ihren Namen nicht | |
| in der Zeitung lesen will, gibt ein Beispiel für den Einfluss des | |
| Elternhauses auf Kinder und Jugendliche. Als ein Schüler bei seiner | |
| Wahl-O-Mat-Auswertung gesehen habe, dass bei ihm die AfD nicht vorne, | |
| sondern im Mittelfeld steht, soll er gesagt haben, dass er dafür zu Hause | |
| geschlagen werde. Über die Schülergruppe, die an diesem Vormittag zum | |
| Marktplatz gekommen ist, sagt Leoni Großgebauer nur schmunzelnd: „Die sind | |
| nicht repräsentativ gewesen. Die waren von der Naturschule.“ | |
| Ähnlich ist es beim 17-jährigen Tyler Weidner, der bei der Landtagswahl am | |
| Sonntag Erstwähler ist. Seine Schule und sein Umfeld seien schon eher | |
| links, „aber, wenn man zu anderen Schulen schaut, egal was für eine, da | |
| merkt man, dass viele Jugendliche dazu neigen, die AfD zu wählen“. Ihm ist | |
| wichtig zu betonen, dass die Wahlentscheidung nicht mit der Schulform | |
| zusammenhänge. Weidner ist selbst politisch aktiv – er ist Mitglied bei den | |
| Grünen und Vorsitzender des Jugendbeirats Templin. Ein anderer junger Mann | |
| auf dem Marktplatz bezeichnet ihn scherzhaft als „unseren Pressesprecher“. | |
| ## Warum kommt die AfD bei Jugendlichen an? | |
| Beim Reden sprudeln die Antworten nur so aus Tyler Weidner heraus. Mit | |
| wachsamem Blick im noch jugendlichen Gesicht erklärt er auf einer Bierbank | |
| sitzend, wieso er denkt, dass so viele Jugendliche die AfD wählen würden. | |
| Für sie habe es lange ein „politisches Loch“ gegeben. Die AfD habe früher | |
| als andere dieses „Vakuum“ gefüllt. | |
| „Die waren auf Tiktok, und es gab lange Zeit keine andere Partei, die da | |
| mitgemacht hat“, sagt er. Die AfD-Kandidaten würden sich im Netz als | |
| sympathisch verkaufen, das ziehe bei Jugendlichen, das fänden die lustig. | |
| Zudem würden sowohl die AfD als auch das BSW einfache Lösungen für komplexe | |
| Probleme bieten. Die würden zwar nicht nur Jugendliche ansprechen, aber sie | |
| seien besonders anfällig. | |
| Wenn er in Templin durch die Stadt schlendere, habe er immer vor Augen, | |
| dass jeder dritte AfD wählt. Die politische Situation in Templin bezeichnet | |
| Tyler Weidner dennoch als „privilegiert“. Im Gegensatz zu anderen Orten, | |
| wie dem knapp 40 Kilometer entfernten Angermünde oder dem sächsischen | |
| Bautzen, gebe es keine gefestigten Neonazistrukturen. „Ich habe einfach | |
| Angst, dass es zur Normalität wird, menschenverachtend zu wählen“, sagt der | |
| 17-Jährige. | |
| An den Wahl-O-Mat-Tafeln gibt es neues Interesse. Ein großer junger Mann, | |
| Ragna Paraknis, klebt hastig seine Sticker unter die Fragen; seine | |
| Begleitung, eine junge Frau mit blondgefärbten Haaren, macht nicht mit. | |
| Paraknis ist 20 Jahre alt und auf die Frage, was er vom Erfolg der AfD | |
| halte, sagt er: „Jedem das Seine. Also, ich mag kriminelle Ausländer auch | |
| nicht.“ Er selbst würde deswegen AfD wählen, weil er wolle, dass | |
| „kriminelle Ausländer abgeschoben werden“. Der Dritte Weg, eine | |
| Neonazipartei, sei ihm dann doch zu extrem, weil die nicht mal in | |
| Dönerläden gingen. | |
| Seine Begleitung, die 18-jährige Miria Gyenge kommentiert diese Sätze | |
| trocken so: „Die wählen die AfD alle nur wegen,Ausländer raus'“ Wissen, w… | |
| sonst im Wahlprogramm steht, würden sie nicht. Sie selbst fände eine | |
| neutrale Partei gut. Was neutral konkret bedeutet, sagt sie nicht. | |
| Im Gespräch wirken beide ungeduldig. Der junge Mann will zu einer weiteren | |
| Hasstirade gegen Migrant*innen ansetzen, blickt dann jedoch zu Boden auf | |
| seine weißen Nike-Sneaker und stapft davon. Ein paar Schritte weiter am | |
| Wahl-O-Mat brabbelt eine Frau mittleren Alters vor sich hin. „Was? | |
| Ausländische Pflegekräfte anwerben? Die deutschen Jugendlichen sollen erst | |
| mal mehr arbeiten“, sagt sie in Bezug auf eine der Thesen. | |
| ## Herausforderung für die Soziale Arbeit | |
| Ein Sozialarbeiter aus Templin, Rudi Ebert (Name von der Redaktion | |
| geändert), erklärt, was der Rechtsruck unter jungen Menschen für die offene | |
| Jugendsozialarbeit bedeutet. Es sei schwierig, auf lokaler Ebene zu | |
| agieren. „Das sind nicht nur die Jugendlichen, die da mit ihren | |
| Baseballschlägern und Springerstiefeln herumlungern wie in den | |
| Uckermark-90er-Jahren, sondern das findet zu Hause und in den sozialen | |
| Medien statt“, sagt er. Es sei wichtig, mit gezielten Angeboten eine | |
| Beziehung zu den Jugendlichen aufzubauen, damit man überhaupt mit ihnen | |
| reden könne und politische Bildungsarbeit eine Chance hat. Dafür brauche es | |
| aber auch Mittel. | |
| Nachdem in Templin junge Neonazis im Jahr 2008 einen Obdachlosen | |
| [3][ermordeten], sei das Problem erkannt worden und Geld geflossen. „Dann | |
| hat man das mit den vielen rechten Jugendlichen in den Griff bekommen, und | |
| dann war die Kohle schon wieder weg“, sagt der Sozialarbeiter. Zu dieser | |
| Zeit habe es in Templin acht Jugendeinrichtungen gegeben; jetzt seien es | |
| noch zwei. | |
| Ebert mahnt dennoch, trotz der Pro-AfD-Stimmung auf den Schulhöfen nicht zu | |
| vergessen, „dass wir immer noch 70 Prozent haben, die nicht AfD wählen | |
| würden“. Viele von denen würden sich außerdem engagieren und, wie Ebert es | |
| ausdrückt, „die Fahne hochhalten“. | |
| Auch das Team der Demokratie Tour scheint sich nicht unterkriegen zu | |
| lassen, informiert weiter, diskutiert, erklärt den Wahl-O-Mat. Teamleiterin | |
| Katja Neels blickt von einem Pavillon, der mit Broschüren zu Demokratie und | |
| zur Wahl bestückt ist, auf das Treiben auf dem Marktplatz: „Unsere | |
| uckermärkischen jungen Leute sind unser Geheimrezept.“ | |
| 20 Sep 2024 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Wahl-O-Mat-zur-Brandenburg-Wahl/!6029731 | |
| [2] /Jungwaehler-in-Deutschland/!6017042 | |
| [3] /Urteil-im-Fall-Templin/!5163556 | |
| ## AUTOREN | |
| Martha Blumenthaler | |
| ## TAGS | |
| Schwerpunkt Ostdeutschland | |
| Landtagswahl Brandenburg | |
| Uckermark | |
| Jugendliche | |
| Rechtsruck | |
| Schwerpunkt Stadtland | |
| Wahlen in Ostdeutschland 2024 | |
| Flüchtlinge | |
| Schwerpunkt AfD | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Stimmungslage in Brandenburg: Rechtsruck im Aufschwungsland | |
| Brandenburg ist das erfolgreichste Bundesland im Osten. Dennoch liegt die | |
| AfD in Umfragen vor der Wahl vorne. Warum das so ist? Eine Spurensuche. | |
| Landtagswahlen in Brandenburg: In Brandenburg ist alles offen | |
| Zieht die SPD von Dietmar Woidke am 22. September an der AfD vorbei? Und | |
| wer wird Brandenburg regieren? Sogar eine große Koalition scheint möglich. | |
| Brandenburger Flüchtlingsrat: „Symbolpolitik statt Problemlösung“ | |
| Die Migrations- und Flüchtlingspolitik in Brandenburg sei getrieben von | |
| populistischem Aktivismus, sagt Vincent da Silva vom Flüchtlingsrat. | |
| Jungwähler in Deutschland: Rechts ist jetzt en vogue | |
| Warum wählen viele junge Leute die AfD? Fragen wir sie doch mal, zum | |
| Beispiel in Ilmenau. |