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# taz.de -- Stimmungslage in Brandenburg: Rechtsruck im Aufschwungsland
> Brandenburg ist das erfolgreichste Bundesland im Osten. Dennoch liegt die
> AfD in Umfragen vor der Wahl vorne. Warum das so ist? Eine Spurensuche.
Bild: Hoffnung auf den Aufschwung: Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woid…
Schon lange vor der heißen Phase des Wahlkampfs versuchte Dietmar Woidke
Zuversicht zu verbreiten. „Wir sind die attraktivste Wirtschaftsregion in
ganz Deutschland“, [1][sagte Brandenburgs SPD-Ministerpräsident im Februar]
und verwies auch auf den demografischen Aufwärtstrend. „Wir haben als
Flächenland wieder so viele Einwohnerinnen und Einwohner wie 1990, das ist
nicht selbstverständlich.“
Brandenburg wächst. Brandenburg boomt. Tesla hat weitere Neuansiedlungen
nach sich gezogen. In der Lausitz wird [2][der mit Milliarden geförderte
Strukturwandel] langsam sichtbar. Warum liegt dann noch immer die AfD in
den Umfragen für die Landtagswahl am 22. September vorne? Warum wird der
Aufschwung in der Mark von den Wählerinnen und Wählern nicht honoriert.
Eine richtige Antwort hat auch der 62-jährige Dietmar Woidke auf diese
Frage nicht. „Warum es diese Unzufriedenheit gibt, ist für mich schwer zu
fassen“, sagt er zehn Tage vor der Wahl. „Es enttäuscht und nervt mich,
dass hier permanent versucht wird, den Menschen schlechte Laune zu machen.“
## Wachstum im Osten
Im mit Türmchen verzierten Landratsamt in Beeskow hat Frank Steffen seinen
Sitz. Nur knapp hatte der SPD-Politiker im Mai 2023 die Stichwahl gegen
einen weitgehend unbekannten Bewerber der AfD gewonnen. Dabei ist [3][der
Landkreis Oder-Spree im Osten Brandenburgs] Tesla-Kreis. „Tesla war für uns
ein ganz wichtiger Impuls“, sagt Landrat Frank Steffen im Gespräch mit der
taz und erzählt die Geschichte der jüngsten Einbürgerungsveranstaltung.
„Von zehn Einzubürgernden arbeiteten fünf für Tesla.“
Der 180.000 Einwohner zählende Landkreis und seine Kreisstadt Beeskow
stehen gut da. Schon 2020 hat das Wirtschaftsforschungsinstitut [4][Prognos
den Landkreis Oder-Spree in die Top Ten der deutschen Landkreise mit den
besten Wachstumsaussichten bis 2030 befördert.] Nicht nur die Wirtschaft
boomt zwischen Erkner und Eisenhüttenstadt, auch die Bevölkerung wächst.
[5][2023 hatte LOS einen positiven Wanderungssaldo von 2.446 Personen].
Sind wachsende Regionen immuner gegen Rechtspopulismus als schrumpfende,
Herr Steffen? Der Landrat zögert, sagt dann, dass die AfD bei der Stichwahl
zur Landratswahl in den berlinnahen Gemeinden schlechter abgeschnitten habe
als weiter im Osten. „Dort sind die Leute eher bereit, populistischen
Parteien ihre Stimme zu geben, weil sie das Gefühl haben, dass sie nicht so
im Blick sind oder manchmal vergessen werden“, sagt Steffen.
Der SPD-Politiker setzt deshalb verstärkt auf eine Bürgerbeteiligung, die
zu konkreten Ergebnissen führe. „Wir machen das jetzt beim Fahrplan für die
[6][Busverkehrsgesellschaft], wo wir rausgehen und mit Schülerinnen und
Schülern ganz konkrete Probleme besprechen“, sagt er. „Warum fährt der Bus
nicht drei Minuten früher, damit ich den Regionalexpress erreiche?“
Frank Steffen weiß aber auch, dass frischer Wind guttut: „Es braucht
Impulse, also Leute, die moderne Themen hineintragen, aus einem anderen
Umfeld kommen und auch mal eine Dorfgemeinschaft im positiven Sinne
aufbrechen. Warum soll man die Dinge nicht auch anders machen?“, fragt er.
Solche Impulsgeber können Berlinerinnen und Berliner sein, die aufs Land
ziehen. „Aber auch Rückkehrer sind wichtig.“
## Gründe für den Rechtsruck
Wird die AfD bei den Landtagswahlen am 22. September in Brandenburg weniger
erfolgreich sein als in Sachsen oder Thüringen? [7][Folgt man der
Sozialwissenschaftlerin Katja Salomo vom Wissenschaftszentrum Berlin],
müsste die Antwort Ja lauten. Demokratieskeptische und fremdenfeindliche
Einstellungen, hat sie herausgefunden, sind nicht nur in wirtschaftlich
abgehängten Regionen besonders häufig anzutreffen, sondern auch in solchen
mit einer „prekären demografischen Entwicklung“.
„Menschen in Regionen, die geprägt sind von hoher Abwanderung und einer
starken Alterung“, sagt Salomo, „fühlen sich benachteiligt und haben Angst,
auf die Verliererseite des Lebens zu geraten – unabhängig von der konkreten
wirtschaftlichen Lage.“ Nicht nur eine gefühlte Abwärtsspirale sei das,
sondern auch eine ganze reale. „Bevölkerungsschwund senkt die Kaufkraft vor
Ort, Angebote für Einkauf und Freizeit verschwinden, Infrastruktur und
Verkehrsanbindungen zu größeren Zentren dünnen sich aus.“
Tatsächlich hat Brandenburg weniger mit Abwanderung zu kämpfen als Sachsen
oder Thüringen. Seit 2015 wurde in den meisten der 14 Landkreise und vier
kreisfreien Städte die negative Bevölkerungsentwicklung gestoppt,
Brandenburg wächst seitdem. Der Landkreis Dahme-Spreewald könnte
Bevölkerungsprognosen zufolge bis 2030 sogar an der Spitze der deutschen
Landkreise stehen. Zwar haben Sachsen und Thüringen mehr Großstädte, aber
Brandenburg hat Berlin.
Anders sieht es im Süden des Landes aus. In den an Sachsen grenzenden
Landkreisen Spree-Neiße, Oberspreewald-Lausitz und Elbe-Elster wird die
Bevölkerung noch zurückgehen. Wachstum gibt es dort nur beim
Wohnungsleerstand. Im Kreis Spree-Neiße, der rund um die Boomtown Cottbus
liegt, beträgt er bei kommunalen Wohnungsunternehmen 20,1 Prozent.
## Die Währung der Demokratie
Auch [8][Welzow] verzeichnet seit zwei Jahren wieder einen leichten
Bevölkerungsrückgang. 3.250 Menschen leben in der kleinen Stadt am Rande
des noch aktiven Tagebaus Welzow-Süd im Kreis Spree-Neiße. Für die bereits
stillgelegten Flächen hat die Stadt vor Jahren ein Beteiligungsverfahren
gestartet. Eine [9][„Neue Landschaft Welzow“] soll entstehen. „Doch der
Elan ist längst verpufft“, hat Bürgermeisterin Birgit Zuchold beobachtet.
„Wir wissen auch noch gar nicht, ob wir das als Stadt überhaupt betreiben
können.“
Welzow ist klamm. Von den Milliarden, die nach Cottbus fließen, kommt nur
wenig im ländlichen Raum an. Eine Zukunft nach der Kohle zu schaffen, muss
die Stadt nahezu alleine stemmen, zum Beispiel eine Genossenschaft
unterstützen, die Wohnraum für Zuzügler schaffen will. „Einen
Bürgerhaushalt kann sich die Stadt nicht leisten“, sagt Zuchold. Zu viel
Verwaltungsaufwand. Also fragt die Bürgermeisterin selbst bei den
Welzowerinnen und Welzowern, was sie sich wünschen. Vertrauen in die
Politik ist die Währung der Demokratie.
Und wenn die Mehrheit der Brandenburger am Sonntag die AfD wählt, Frau
Zuchold? „Wenn die Menschen eine Partei wählen, die nicht für etwas,
sondern nur gegen alles ist“, überlegt Birgit Zuchold, „muss man den
Wählerwillen dann nicht ernst nehmen?“ Warum soll sich eine
Minderheitsregierung der AfD nicht Mehrheiten suchen müssen? Zeigen, ob sie
überhaupt in der Lage ist, die politischen Aufgaben zu lösen? „Und wenn
nicht, dann muss es Neuwahlen geben.“
Andrea Wieloch sitzt im Garten des [10][Museums Utopie und Alltag] und
nippt am Kaffee. Auch Eisenhüttenstadt hat mit dem Strukturwandel zu
kämpfen. Weil es aber vom Stahl lebt und nicht von der Kohle, gibt es dafür
keine Mittel vom Bund oder vom Land.
Seit zwei Jahren leitet Wieloch das Museum. Zuvor hat die
Medienwissenschaftlerin am Brandenburg Museum in Potsdam die
[11][Ausstellung „Morgen in Brandenburg“] kuratiert. 30 Zukunftsprojekte
hat die Schau gezeigt, von der Akademie der Dorfhelden in Trebnitz im
Landkreis Märkisch-Oderland bis zur Villa Marx in Herzberg in Elbe-Elster,
wo ein „Ort der Partizipation und Begegnung“ entstehen soll.
Andrea Wieloch stammt aus der Nähe von Görlitz und fragt sich schon
deshalb, was den Unterschied zwischen Sachsen und Brandenburg ausmacht.
„Anders als Sachsen“, sagt sie dann, „hat Brandenburg das Thema
Rechtsextremismus in der Vergangenheit nicht verharmlost.“ Die Polizei habe
Nazikonzerte aufgelöst, das Bündnis Tolerantes Brandenburg wichtige
Aufklärungsarbeit und Vernetzung geleistet.
Ein gutes Drittel der Zukunftsprojekte, die Wieloch gezeigt hat, war im
Berliner Speckgürtel beheimatet. Für Wieloch ist das nicht unbedingt ein
Makel, sondern eher das Abbild eines Flächenlandes, in dem 40 Prozent der
Menschen am Berliner Stadtrand leben. „Der Unterschied zu Sachsen und
Thüringen“, sagt sie, „liegt unter anderem in den Austauschbeziehungen
zwischen der wachsenden Metropolregion und dem ländlichen Raum.“
Berlin, das ist nicht nur ein Magnet, der junge Leute aus der Prignitz, der
Uckermark oder der Lausitz anlockt. Berlin versorgt umgekehrt auch
Brandenburg mit neuen Ideen. „Wichtig ist, dass es einen Austausch ganz
verschiedener Menschen und Ansichten gibt“, sagt Wieloch. „Dass es Leute
gibt, die sagen, dieses und jenes könnte man auch mal anders machen.“
Zuwanderung ist also ein entscheidender Faktor für Brandenburg, auch die
aus dem Ausland. Die allerdings ist kein Selbstläufer, das weiß nicht nur
Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke, wenn er über den
Strukturwandel in der Lausitz spricht und die Willkommenskultur, die es
brauche, damit die Fachkräfte aus Deutschland und dem Ausland auch kommen.
Auch Landrat Frank Steffen weiß um das Thema. „Die zunehmend ablehnende
Haltung Fremden gegenüber ist sehr gefährlich“, sagt er. „Jemand, der aus
dem Ausland kommt und Arbeit sucht, guckt genau, wie das Mikroklima vor Ort
ist. Bin ich da willkommen? Werde ich da womöglich schräg angeguckt.“
21 Sep 2024
## LINKS
[1] https://www.inforadio.de/rubriken/interviews/2024/02/27/brandenburg-wirtsch…
[2] https://wirtschaftsregion-lausitz.de/
[3] https://www.landkreis-oder-spree.de/
[4] https://www.wfg-lds.de/fileadmin/user_upload/bilder/aktuelles/news/2020/Dok…
[5] https://www.statistik-berlin-brandenburg.de/a-i-4-a-v-2-j
[6] https://www.bos-fw.de/
[7] https://www.ipg-journal.de/interviews/artikel/its-the-demography-stupid-385…
[8] https://www.welzow.de/index.php/start.html
[9] https://neuelandschaft-welzow.de/
[10] https://www.utopieundalltag.de/
[11] /Ausstellung-Morgen-in-Brandenburg/!5833257
## AUTOREN
Uwe Rada
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