# taz.de -- Landtagswahlen im Osten: Wer wie was? Wieso weshalb warum? | |
> Sachsen und Thüringen wählen am 1. September neue Parlamente. Antworten | |
> auf die wichtigsten Fragen. | |
Bild: In Thüringen ist die Lage kompliziert: Höckes AfD führt in den Umfrage… | |
Werden Thüringen und Sachsen nach den Wahlen unregierbar? | |
Thüringen: Die Lage ist hier besonders kompliziert. Die AfD wird hier | |
vermutlich stärkste Kraft werden, in den Umfragen liegt derzeit die CDU mit | |
23 Prozent auf Platz 2, dicht gefolgt vom BSW, dem Bündnis Sahra | |
Wagenknecht. Viel spricht dafür, dass [1][CDU-Spitzenkandidat Mario Voigt] | |
versuchen wird, mit dem BSW und der SPD eine Koalition zu schmieden. Dabei | |
aber gibt es verschiedene Unwägbarkeiten: Was passiert, wenn sich das BSW | |
doch noch vor die CDU schiebt? Oder die SPD, die in den Umfragen bei 6 | |
Prozent liegt, den Wiedereinzug in den Landtag verpasst? Eins zumindest ist | |
klar: Solange der Landtag keinen neuen Ministerpräsidenten wählt, bleibt | |
Bodo Ramelow von der Linken geschäftsführend im Amt. So steht es in der | |
Landesverfassung. | |
Sachsen: Hier ist fast alles möglich, ein Landtag mit drei, vier, fünf oder | |
sechs Parteien. CDU, BSW und AfD werden drin sein, SPD, Grüne und | |
Linkspartei liegen in Umfragen knapp über und unter 5 Prozent. Das | |
verändert die Lage für taktische WählerInnen. 2019 machten auch | |
AnhängerInnen von Linken, Grünen und SPD ihr Kreuz bei der CDU – um zu | |
verhindern, dass Sachsen das erste Bundesland mit der AfD als stärkster | |
Partei geworden wäre. [2][Ungefähr 7 Prozent eher linker WählerInnen | |
entschlossen sich 2019 dazu, CDU zu wählen]. Diesmal ist es anders: Wer | |
eine Mitte-Regierung unter CDU-Ministerpräsident Michael Kretschmer will, | |
könnte auch SPD oder Grüne wählen, damit diese als mögliche | |
Koalitionspartner wieder in den Landtag kommen. | |
## Die CDU und das Wagenknecht-Bündnis, wie soll das denn funktionieren? | |
Thüringen: Einfach wird das nicht, aber die CDU wird vieles tun, um eine | |
Zusammenarbeit möglich zu machen. Weil sie laut Bundesparteitagsbeschluss | |
weder mit der AfD noch mit der Linken koalieren darf, ist das BSW ihr | |
einziger Weg an die Macht. Und an die Macht will CDU-Spitzenkandidat Mario | |
Voigt unbedingt. Inhaltliche Überschneidungen gibt es bei Themen wie | |
Migration und innere Sicherheit, die größte Differenz bei Fragen von Krieg | |
und Frieden. Die werden zwar nicht im Landtag beschlossen, aber Wagenknecht | |
nutzt sie bereits, um die CDU vor sich herzutreiben. Möglicherweise sieht | |
das die Thüringer Spitzenfrau Katja Wolf aber pragmatischer. Für die CDU | |
birgt ein Bündnis mit „den Erzkommunisten“ parteiintern allerdings einige | |
Sprengkraft. | |
Sachsen: Es kann sein, dass CDU-Ministerpräsident Kretschmer das BSW für | |
eine Mehrheit braucht, um eine Minderheitsregierung zu verhindern. | |
Landespolitisch gibt es keine hohen Hürden. Bei Migration sind beide für | |
einen härteren Kurs. Bei der Schulpolitik ist die CDU oldschool für das | |
dreigliedrige Schulsystem, das BSW für mehr gemeinsames Lernen und – ganz | |
wichtig – ein Handyverbot in Grundschulen. Das [3][BSW will einen höheren | |
Mindestlohn], die CDU hat gerade ein Gesetz versenkt, dass öffentliche | |
Vergaben an Mindestlöhne bindet. Aber das BSW macht nicht den Eindruck, für | |
das Thema sterben zu wollen. Dafür will es die Coronazeit aufarbeiten, auch | |
das ist machbar. Die Frage lautet: Will Sahra Wagenknecht regieren oder wie | |
immer nur recht haben? | |
## Ist auch ein Trump-Moment möglich? Droht ein AfD-Ministerpräsident? | |
Thüringen: Das ist extrem unwahrscheinlich, eine absolute Mehrheit wird die | |
Thüringer AfD mit Björn Höcke an der Spitze nicht erzielen. Alle anderen | |
Parteien haben die Bildung einer Koalition mit der AfD ausgeschlossen – und | |
sie dürften auch aus dem [4][Debakel rund um die Wahl des | |
Kurzzeit-Ministerpräsidenten Thomas Kemmerich] mit den Stimmen von AfD, CDU | |
und FDP im Februar 2020 gelernt haben. Viel größer ist die Gefahr, dass die | |
AfD, deren Landesverband der Verfassungsschutz bereits vor drei Jahren als | |
rechtsextrem eingestuft hat, ein Drittel der Landtagsmandate erzielt. Damit | |
könnte sie wichtige Entscheidungen blockieren, für die eine | |
Zweidrittelmehrheit im Landesparlament nötig ist, wie etwa die Berufung von | |
RichterInnen an das Landesverfassungsgericht. | |
Sachsen: Nein. Michael Kretschmer würde eher auf dem [5][CSD in Bautzen] | |
mittanzen, als mit der AfD zu regieren. Na ja, tanzen wäre vielleicht zu | |
viel verlangt. Aber eine Zusammenarbeit mit der AfD trotz aller | |
gegenteiligen Schwüre wäre politischer Selbstmord. | |
## Die SPD liegt in Sachsen und Thüringen aktuell bei 5 bis 7 Prozent, sie | |
könnte den Einzug ins Parlament verpassen. Wie konnte das denn passieren? | |
Thüringen: Das größte Problem für die SPD in Thüringen ist, dass der | |
bekannteste Sozialdemokrat keiner ist. Gemeint ist Ministerpräsident | |
[6][Bodo Ramelow, der zwar Linke-Mitglied ist, aber sozialdemokratische | |
Politik macht]. Als kleinerer Koalitionspartner ist es für die SPD da | |
schwer, Profil zu gewinnen. Hinzu kommt die Performance der Ampel im Bund. | |
Sachsen: Die SPD fristete nach 1990 ein Dasein im Schatten von | |
CDU-Ministerpräsident Kurt Biedenkopf, der vielen Sachsen wie ein | |
Königsersatz erschien. Auch dass die SPD anfangs keine Ex-SEDler aufnahm, | |
machte sie nicht populärer. So liegt die Partei seit 25 Jahren bei | |
Ergebnissen um die 10 Prozent. Dass es jetzt ganz eng werden kann, hat | |
allerdings Gründe jenseits von Dresden. Ampelstreit und die | |
US-Raketen-Stationierung kommen zwischen Pirna und Leipzig nicht gut an. | |
Noch nie ist eine Kanzlerpartei bei einer Landtagswahl an der | |
Fünfprozenthürde gescheitert. Das wäre dann auch ein Problem für Olaf | |
Scholz. | |
## Und was ist mit der Linkspartei? | |
Thüringen: Eigentlich hatte sich die Linke das so vorgestellt: Die | |
Landtagswahl wird zum Duell zwischen AfD-Spitzenkandidat Björn Höcke und | |
dem Linken Bodo Ramelow, der Ministerpräsidentenbonus zieht und – wumms – | |
sitzt Ramelow für weitere fünf Jahre in der Erfurter Staatskanzlei. Doch | |
dafür stehen die Chancen schlecht, trotz hoher Beliebtheitswerte für den | |
Amtsinhaber. Die Linke liegt in Umfragen zwischen 13 und 15 Prozent und | |
damit auf Platz 4 – und CDU-Mann Mario Voigt hat es recht erfolgreich | |
geschafft, sich zum Gegenspieler Höckes aufzubauen. Wichtigste Ursache für | |
das Tief der Linken ist die Gründung des BSW, hinzu kommt der schlechte | |
Zustand der Linkspartei insgesamt. Außerdem sind viele die rot-rot-grüne | |
Minderheitsregierung leid. | |
Sachsen: Die Linkspartei in Sachsen war mal ein stolzes Flaggschiff, ein | |
mitgliederstarker Verband mit starker Fraktion im Landtag. Der Weg nach | |
unten hat neben der Überalterung von Partei und Klientel zwei Gründe: erst | |
AfD, dann BSW. Warum die Oppositionspartei Linke wählen, wenn die CDU mit | |
der AfD um den ersten Platz ringt? Im Rennen der Großen als unwichtig zu | |
gelten, ist oft das Schicksal kleinerer Parteien. Und dann kam das BSW. Vor | |
ein paar Monaten lag die Linkspartei noch bei knapp 10 Prozent, jetzt bei | |
4. Die letzte Hoffnung ist, in Leipzig zwei Direktmandate zu holen und es | |
so irgendwie in den Landtag zu schaffen. | |
## Was heißt das alles für die Ampelregierung in Berlin? | |
Wenn es gut läuft, werden SPD, Grüne und FDP in Sachsen und Thüringen | |
jeweils 15 Prozent der Stimmen bekommen – zusammengenommen. So ein Ergebnis | |
hat es bei Landtagswahlen für die Parteien einer Bundesregierung noch nie | |
gegeben. | |
Diese Niederlagen werden auch in Berlin Wellen schlagen. Dabei wirkt die | |
Ampel sowieso gereizt und müde. Sogar die bislang äußerst disziplinierten | |
Grünen lassen inzwischen ihrem Frust freien Lauf und [7][haben die Ampel | |
ein Jahr vor der Wahl zu einer „Übergangsregierung“ erklärt]. 2025 tritt | |
also eine Regierung an, die nicht wiedergewählt werden will. Dass die | |
Protestwahl im Osten die Ampel vorfristig ausknipst, ist trotzdem | |
unwahrscheinlich. Denn schuld an Neuwahlen zu sein rechnet sich für keine | |
der drei Parteien. | |
Wo bleibt das Positive? Viele halten die Fünfprozenthürde für nicht mehr | |
angebracht, wenn damit bei Wahlen im Bund relevante, aber kleine Parteien | |
wie die Freien Wähler, die FDP oder die Linkspartei draußenbleiben müssen. | |
Das Bundesverfassungsgericht hatte die [8][Fünfprozentklausel kürzlich für | |
problematisch erklärt]. Vielleicht gewinnt die Debatte bei | |
SozialdemokratInnen, Grünen und Freien DemokratInnen nach dem 1. September | |
aus wohlverstandenem Eigeninteresse an Schwung. | |
23 Aug 2024 | |
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## AUTOREN | |
Sabine am Orde | |
Stefan Reinecke | |
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