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# taz.de -- SPD vor der Landtagswahl in Sachsen: Die Sachsen und der Frieden
> In Sachsen geht es vor der Wahl um Krieg und Frieden. Die
> SPD-Spitzenkandidatin Petra Köpping kämpft gegen den Absturz in die
> Bedeutungslosigkeit.
Bild: SPD-Spitzenkandidatin in Sachsen: Petra Köpping sagt über sich, sie sei…
Petra Köpping trägt eine auffällige Sonnenbrille, ein gelbes Kleid und hat
blendende Laune. [1][Die Spitzenkandidatin der SPD] in Sachsen tuckert auf
einem Boot über den Störmthaler See südlich von Leipzig. Zur Wendezeit war
sie hier Bürgermeisterin, später Landrätin. Damals klaffte, wo heute der
See ist, ein gigantisches Loch, Braunkohletagebau, und Köpping träumte von
dem Naherholungsgebiet, das es nun, nach der Flutung, auch wirklich gibt.
Eine Erfolgsgeschichte.
Besonders stolz ist die sächsische Sozialministerin auf eine schwimmende
Kirche auf dem See. Sie hatte dafür gesorgt, dass auf dem staubigen Boden
der Tagebaugrube ein Anker für einen Ponton fixiert wurde. Damals, sagt
sie, hielten viele das für eine Schnapsidee. Doch der See lief voll.
In der Vineta, dem schwimmenden kirchenähnlichen Aufbau, finden heute
Hochzeiten statt. Vineta erinnert auch an die Dutzenden verschwundenen
Dörfer und Kirchen, die dem Braunkohle-Fortschritt geopfert wurden. Der
geflutete Tagebau ist ein Symbol für den Umbau Ost von der Schwerindustrie-
zur Freizeit- und Dienstleistungsgesellschaft. Und für eine Verbindung von
Vergangenheit und Zukunft.
Das Ganze hat auch praktische Vorteile. „Früher hatten die Leute ein Haus
am Rand des Tagebaus, jetzt haben sie ein Haus am See“, sagt Köpping
fröhlich. Sie will „mehr Visionen, die die Leute begeistern“. Gegen die
finstere Regression der AfD helfen nur positive Ideen.
## Die SPD profitiert von der AfD
Die SPD in Sachsen befindet sich in einer seltsamen doppelten Bewegung. Bei
Wahlen ging es in letzter Zeit stetig bergab. Vor zehn Jahren bekam sie gut
12 Prozent, 2019 knapp 8, jetzt liegt sie in Umfragen bei 6 Prozent. Ihr
politischer Einfluss ist dabei eher gewachsen. In der schwarz-grün-roten
Regierung von CDU-Ministerpräsident Michael Kretschmer haben die
Sozialdemokraten die Gemeinschaftsschule und ein günstiges
Nahverkehrsticket für SchülerInnen durchgesetzt – nicht wenig für den
kleinsten Koalitionspartner.
Machtpolitisch profitiert die SPD auch von der starken AfD: Sie ist
unverzichtbarer Baustein jeder Anti-AfD-Regierung. „Stabile Regierungen nur
mit uns“, steht entsprechend auf den Flyern. Auf einem – allerdings nur ein
paarmal verwendeten – Wahlplakat sieht man Michael Kretschmer, an seiner
Seite Petra Köpping. Und den Satz: „Hinter dem Erfolg von diesem Mann
steckt eine Frau, die es kann.“ Mit diesem Plakat versucht die SPD ihre
Rolle als Mehrheitsbeschafferin für die CDU frech zu umspielen. Sie muss
verhindern, in dem horse race zwischen CDU und AfD um die Rolle der
stärksten Partei unterzugehen. Dass die SPD aus dem Landtag fliegt, ist
möglich, aber nicht wahrscheinlich.
Petra Köpping, 66, hat keine Angst vor Konfrontationen. Bis jetzt, sagt
sie, hat sie im Wahlkampf nichts Übles erlebt. Am Stand traten mal Gruppen
auf, die wegen Corona, Krieg oder wegen Migration motzten, aber nichts
Dramatisches. Seit Rechtsextreme 2021 einen Fackelzug vor ihrem Privathaus
veranstalteten, sind immer zwei Bodyguards an ihrer Seite. Unschön, aber
nicht zu ändern. Köpping beschwert sich nicht. Sie sei „immer positiv“,
sagt sie über sich selbst.
Auf einer Wahlkampfveranstaltung hat ein älterer Mann der Spitzengenossin
eine Frage gestellt, die Köpping beschäftigt: „Warum kämpft ihr nicht für
den Frieden?“ Die Waffenlieferungen an die Ukraine sehen viele in Sachsen
skeptisch, auch WählerInnen der SPD.
Dirk Panter, Fraktionsvorsitzender der SPD im sächsischen Landtag, sagt:
„Mein Eindruck ist, dass manche Menschen befürchten, Deutschland könnte
durch zusätzliche Waffenlieferungen in den Krieg gezogen werden.“ Und
weiter: „Viele haben das Gefühl, dass ihre Angst vor einem Krieg nicht
adressiert wird.“ Das Thema dominiert mittlerweile den Wahlkampf. Die
Sachsen-SPD fordert auf Plakaten tapfer mehr Geld für Schulen und 15 Euro
Mindestlohn. Doch das Thema Krieg und Frieden überwölbt alles. „Im
Wahlkampf spielen Landesthemen leider kaum eine Rolle“, sagt Panter.
Die offiziellen Beziehungen von Wirtschaftsverbänden und Universitäten sind
seit dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine auch in Ostdeutschland
beendet. Doch viele haben noch immer Kontakte und informelle Drähte nach
Russland – anders als im Westen. Auch deswegen sehen hier viele den Krieg
anders, Russland nicht als fernen, bösartigen Aggressor, sondern noch immer
als etwas Vertrautes.
In den Vordergrund drängt das Thema auch wegen der für 2026 geplanten
[2][Stationierung von US-Mittelstreckenraketen]. In Westdeutschland
unterstützt eine knappe Mehrheit die neuen Waffensysteme, in Ostdeutschland
sind drei Viertel der Befragten dagegen.
Das Thema hat für die SPD im Osten etwas Toxisches. Die SPD in Brandenburg
geht schon seit Längerem auf Distanz zur Linie der Ampel.
SPD-Ministerpräsident Dietmar Woidke fordert, nicht nur immer mehr Waffen
an Kyjiw zu liefern, sondern auch Verhandlungsinitiativen zu starten. Die
SPD in Sachsen verzichtet hingegen auf Distanzgesten Richtung Berlin und
Kanzler Scholz. Köpping trat im Wahlkampf mit Verteidigungsminister Boris
Pistorius auf, der die Republik bekanntlich kriegsfähig machen will.
Neuen Drive hat das Thema Krieg nicht nur wegen der US-Raketen bekommen.
Das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) setzt auf einen deutschnational
eingefärbten Pazifismus, kombiniert mit antiimperialistischen
Versatzstücken und Friedensrhetorik. Köpping glaubt, dass Wagenknecht etwas
verspreche, was sie nicht halten könne. Wagenknecht, sagt Köpping ungewohnt
scharf, solle „doch nach Moskau fahren und verhandeln“. Das Ergebnis werde
das gleiche sein wie bei Gerhard Schröder und Viktor Orbán – null.
Wagenknechts plumper Pazifismus werde nur zu einer „riesigen Enttäuschung
führen“.
Über den Frieden in der Ukraine, so predigen es SPD-Wahlkämpfer in Sachsen
und Thüringen, wird nicht im Landtag entschieden. Das ist zwar richtig,
nutzt aber nicht viel. Der SPD bläst der Wind in einem ungünstigen Moment
frontal ins Gesicht. Der Versuch der SPD, sich vor der Europawahl als
Friedenspartei zu inszenieren, ist gescheitert.
Die Wählerwanderung bei der Europawahl zeigte beunruhigenderweise, dass
auch sozialdemokratische Klientel empfänglich für den Platt-Pazifismus von
Wagenknecht ist. Dass deutsche Marder-Schützenpanzer bei der ukrainischen
Offensive auf russischem Gebiet operieren, ist Treibstoff für Wagenknechts
Kampagne. Ein SPD-Wahlkämpfer berichtet ernüchtert, er „kenne Leute, die
sagen: Ich würde euch wählen, aber nicht mit dieser Aufrüstung.“
SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert tourte kürzlich eine Woche durch
Thüringen. Dort ist die Lage der GenossInnen ähnlich wie in Sachsen. Sie
stehen in Umfragen stabil bei über 5 Prozent – aber Frieden und Raketen
sind schwieriges Terrain. Kühnert ermunterte die GenossInnen, zum Kanzler
und zur Stationierung zu stehen. Die SPD müsse erklären, dass Russland die
Abrüstungsverträge gebrochen habe und mit atomaren Kapazitäten Westeuropa
bedrohe. „Die Weltlage orientiert sich nicht daran, ob in deutschen
Bundesländern gerade Landtagswahlkampf ist“, sagt Kühnert. Das ist richtig,
hilft vor Ort aber nicht viel.
Die SPD-Spitze hat Anfang dieser Woche demonstrativ in einer Erklärung die
Raketenstationierung verteidigt. Das hat auch bei Georg Maier,
SPD-Spitzenkandidat in Thüringen, für Unmut gesorgt. Das sei derzeit „nicht
hilfreich“, befand er. „Der Wahlkampf ist schwierig, die Stimmung
aufgeheizt, mehr als 2019“, sagt der sächsische Fraktionschef Dirk
Panter. Die SPD findet in Thüringen und Sachsen gegen die Angststimmung
wenig brauchbare Instrumente.
In dieser fragilen Lage setzt die SPD zwischen Pirna und Leipzig auf Petra
Köpping. Henning Homann, Landeschef der SPD, berichtet, dass bei Köppings
Marktplatztour die Leute oft ihrem Ärger Luft machen. „Wenn Petra da ist,
dann regen sie sich auch schnell wieder ab“, weil die SPD-Sächsin den Sound
der Leute kenne.
Köpping hat 2018 „Integriert doch erst mal uns! Eine Streitschrift für
Ostdeutschland“ verfasst. Sie war zu DDR-Zeiten in der SED und sagt über
sich selbst, sie sei „volksnah“. Köppings kommunikatives Talent und ihre
Street-Credibility sollen die Sozialdemokraten vor dem Sturz in die
Bedeutungslosigkeit retten. Getreu dem Motto „Man muss die Leute gern
haben“ des österreichischen Sozialdemokraten Bruno Kreisky auch die mit
etwas schrägen politischen Ansichten.
Auf Distanz zur Ampel geht Köpping nicht bei Krieg und Frieden, sondern bei
Karl Lauterbachs Krankenhausreform. In Sachsen hätten sie von 130
Krankenhäusern schon fast die Hälfte dichtgemacht. Eine weitere
Zentralisierung mit noch weniger Krankenhäusern sei nicht nötig. „Wir haben
schon viele Reformen hinter uns, Karl“, sagt sie während eines Auftritts
mit Gesundheitsminister Lauterbach.
Man wird sehen, ob solche Ampelkritik light in Sachsen reicht.
19 Aug 2024
## LINKS
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[2] /Stationierung-von-Mittelstreckenraketen/!6026934
## AUTOREN
Stefan Reinecke
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