# taz.de -- CDU im sächsischen Wahlkampf: Abstrampeln gegen die AfD | |
> Conrad Clemens will für die CDU einen Wahlkreis im Landkreis Görlitz von | |
> der AfD zurückholen. Er setzt auf direkten Kontakt zu den Bürgern. | |
Bild: CDU-Wahlkampf in Leipzig, Sachsen: Man muss die Menschen gewinnen und bis… | |
Obercunnersdorf, Eibau und Dresden taz | „Dorfliebe“ heißt die Tour, zu der | |
die CDU-nahe Konrad-Adenauer-Stiftung derzeit in Sachsen einlädt. Auf dem | |
Land sollen Bürger*innen untereinander und mit Politiker*innen | |
darüber ins Gespräch kommen, was die Menschen [1][vor Ort] bewegt. Das soll | |
die Distanz zur Politik verringern. | |
An einem Donnerstagnachmittag Mitte Juli steht Christdemokrat Conrad | |
Clemens im Café Brumme in Obercunnersdorf im Landkreis Görlitz in | |
Ostsachsen. Die Grenze zur Tschechischen Republik ist nicht weit. Gut 30 | |
Leute sind gekommen, die Gaststube mit den fünf Tischen ist voll. In der | |
Vitrine stehen große runde Bauernkuchen, Stachelbeer mit Baiser, Himbeer | |
und Birne, Mohn. Die Kaffemaschine zischt. | |
Conrad Clemens, mit 41 Jahren mit Abstand einer der jüngsten im Raum, ist | |
ein groß gewachsener Mann mit Jungengesicht. Er spricht über die | |
Traditionen der Oberlausitz, bald aber ist er bei der Politik. Bei der | |
Bundesstraße 178, die an die Autobahn angebunden werden muss. Dem | |
Krankenhaus im nahen Ebersdorf, das erhalten bleiben soll. | |
Die Kellnerin schleppt Teller mit Kuchenstücken durch den Raum, es | |
scheppert und klirrt. Clemens spricht lauter, er will ein paar Ideen | |
loswerden. Gegen den hohen Unterrichtsausfall an Schulen will er | |
Lehramtsstudenten einsetzen und sich dafür stark machen, dass kleine | |
Vereine jedes Jahr pro Mitglied einen Euro vom Land bekommen, damit das | |
Dorfleben erhalten bleibt. | |
## Ein Kopf-an-Kopf-Rennen | |
Für Clemens ist der Kaffeeklatsch im Café Brumme ein Wahlkampftermin, einer | |
von vielen. Der CDU-Mann will den Wahlkreis Görlitz III, zu dem | |
Obercunnersdorf gehört, bei der Landtagswahl am ersten September für seine | |
Partei zurückgewinnen. Jahrzehntelang ging der quasi naturmäßig an die CDU, | |
bis die AfD 2019 gewann. | |
Glaubt man den Umfragen, werden sich die beiden Parteien bei der | |
Landtagswahl ein enges Rennen um Platz eins liefern – vielerorts auch im | |
Kampf um die Direktmandate. Deshalb reist CDU-Ministerpräsident Michael | |
Kretschmer unentwegt durchs Land, schüttelt Hände, trinkt Bier und spricht | |
mit den Menschen, manche sagen auch, er rede ihnen nach dem Mund. | |
Deshalb tritt auch Conrad Clemens an, zum ersten Mal. Clemens ist in | |
Sachsen-Anhalt geboren und in Lateinamerika und im Böhmischen Dorf in | |
Berlin-Neukölln aufgewachsen, wo sein Vater als Pfarrer gearbeitet hat. Der | |
Betriebswirt hat bei einer großen Wirtschaftsprüfungsgesellschaft | |
gearbeitet und als Büroleiter eines Bundestagsabgeordneten, er war | |
Bundesgeschäftsführer der Jungen Union und Landesgeschäftsführer der | |
sächsischen CDU – und damit mitverantwortlich für den Landtagswahlkampf | |
2019, die CDU verlor gut sieben Prozent. 84.000 Wähler*innen wanderten | |
damals von den Konservativen [2][zu den extrem Rechten.] | |
In Ostdeutschland ist die Parteienbindung geringer als im Westen, der | |
Wechsel fällt leichter. Zumal es in fast jeder Familie und jedem | |
Freundeskreis inzwischen einen AfD-Wähler gibt. | |
## Wahlkampf vor 30 Leuten | |
Als Staatssekretär leitete Clemens die sächsische Landesvertretung in | |
Berlin, vor vier Wochen wechselte er als Chef der Staatskanzlei nach | |
Dresden. Er ist jetzt Minister und bleibt das wohl auch, wenn Kretschmer | |
wieder Ministerpräsident wird. Ein Landtagsmandat braucht er also | |
eigentlich nicht. | |
„Ich habe da einen emotionalen Bezug“, sagt Clemens Anfang August in seinem | |
Dresdener Büro. „Ich habe mich geärgert vor fünf Jahren, als die [3][AfD] | |
in Ostsachsen und auch in der Oberlausitz, wo ich lebe, quasi einen | |
Erdrutschsieg erzielt hat. Und mich entschieden, Zeit und Ideen dafür | |
einzusetzen, dass das nicht wieder passiert.“ | |
Eine seiner Ideen: In kleinen Formaten mit den Menschen direkt ins Gespräch | |
kommen, vor Ort präsent und ansprechbar sein, sich um Lösungen kümmern. | |
Deshalb sitzt er jetzt mit gerade mal 30 potentiellen Wähler*innen vor | |
einem Stück Kuchen in Obercunnersdorf. Besonders originell ist diese | |
Strategie nicht. Vielerorts versuchen Politiker*innen | |
unterschiedlicher Couleur derzeit, wieder mehr mit den Bürger*innen ins | |
Gespräch zu kommen und sie an die Demokratie zu binden. | |
## Keine billigen Punkte machen | |
Im Café klagt ein Mann über die desolate Lage der Kommunalfinanzen, ein | |
anderer beschwert sich über das Gendern, eine Frau versteht nicht, warum | |
man heute „Mohrenkopf“ und „Zigeunerschnitzel“ nicht mehr sagen soll. | |
Clemens könnte jetzt ein paar billige Punkte machen, so mancher aus seiner | |
Partei würde das tun. | |
Man wäge seine Worte doch, gibt er aber zu bedenken, und wenn es Menschen | |
verletze, „dann nennt man diese Soße eben anders“. Von Gendern in | |
offiziellen Dokumenten halte er nichts. Aber dass die weibliche Form wie | |
bei Lehrerinnen und Lehrern in die Sprache aufgenommen wird, das sei doch | |
völlig in Ordnung. „Und dann gibt’s auch eine Gruppe von Menschen, die sich | |
weder dort oder dort zugehörig fühlen“, sagt Clemens noch, obwohl danach | |
niemand gefragt hatte. Das sei auch okay, jeder solle nach seiner Façon | |
glücklich werden. | |
Der Mann gehört zu den Smarten in der sächsischen CDU, möglicherweise weiß | |
er, dass zu viel Kulturkampf für die CDU letztlich nach hinten losgeht. In | |
Berlin hat Clemens sich den Ruf erarbeitet, offen zu sein. Kritische | |
Beobachter aber meinen, jetzt müsse er erst mal bewiesen, dass dies nach | |
seiner Rückkehr nach Sachsen so bleibt. | |
## Das Migrationsthema selbst bespielen | |
Von Populismus fern aber hält er sich nicht. Landtagspräsident Matthias | |
Rößler hat er zur Wahlkampfunterstützung eingeladen, der einst mit der | |
rechtslastigen Werteunion flirtete und eine Duldung durch die AfD nicht | |
ausschloss. Claus Weselsky, Chef der Lokführer-Gewerkschaft GdL, kommt. | |
CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt. Und Politikwissenschaftler Werner | |
Patzelt, der früher mit viel Verständnis den Aufstieg der AfD kommentierte | |
und inzwischen für einen rechten Thinktank arbeitet, der Viktor Orbán | |
nahesteht. Kretschmer war schon da, CDU-Chef Friedrich Merz kommt noch zum | |
Wandern. | |
„Die Ablehnung illegaler Migration ist groß und wir werden das Thema nicht | |
der AfD überlassen“, sagt Clemens in seinem Dresdener Büro. Die CDU müsse | |
hier Lösungen anbieten. „Bei der Bezahlkarte und den Grenzkontrollen haben | |
auch viele gesagt, das geht nicht, ist viel zu kompliziert. Aber es geht, | |
wenn man will. So ist das auch mit den Zurückweisungen an der Grenze und | |
Asylverfahren in Drittstaaten. Ich halte das alles für möglich.“ | |
Beim Kaffeeklatsch in Obercunnerdorf fragt danach niemand, worüber sie hier | |
reden wollen, ist der Krieg in der Ukraine. Ein Mann bezweifelt, ob | |
Waffenlieferungen an die Ukraine wirklich richtig sind und kritisiert, dass | |
die CDU diese unterstütze. Eine Frau meint, dass bald deutsche Soldaten in | |
die Ukraine müssten. „Deutsche Soldaten haben nichts, aber auch gar nichts | |
an der Ostfront verloren“, sagt sie erregt. „Frieden schaffen mit immer | |
mehr Waffen, ich glaube das nicht,“ meint ein älterer Herr mit leiser | |
Stimme. | |
## Die Kriegsfrage ist heikel | |
Clemens antwortet vorsichtig, das ist heikles Terrain. Viele | |
Wähler*innen wenden sich hier auch wegen der Kriegsfrage von der CDU ab, | |
obwohl Ministerpräsident Kretschmer sich immer wieder für eine | |
diplomatische Lösung stark macht und inzwischen sogar fordert, bei den | |
Waffenlieferungen an die Ukraine zu kürzen. Clemens erzählt von seinem | |
Vater, der bei der DDR-Friedensbewegung „Schwerter zu Pflugscharen“ dabei | |
gewesen sei, spricht von einem Störgefühl, wenn er an deutsche Panzer | |
denke, die sich gegen Russen richten, und sagt, dass er Kretschmer schon | |
verstehe. Er sagt aber auch: „Ich finde es richtig, dass wir die Ukraine | |
unterstützen gegen den Angriffskrieg von Putin, der gegen das Völkerrecht | |
verstößt.“ Da klatschen zwei der Besucher. | |
In Dresden, in seinem Büro, erzählt Clemens, dass er seinen Gegenkandidaten | |
von der AfD selten treffe. „Das ist ein bisschen wie bei Hase und Igel. Man | |
läuft und strampelt, und hat so ein bisschen das Gefühl, der andere könnte | |
schon im Ziel sein.“ Der Hauptunterschied zwischen Ost und West sei, dass | |
die AfD hier als eine „relativ normale Partei“ wahrgenommen werde. „Desha… | |
funktioniert es nicht, zu sagen, das sind alles Nazis und jetzt kommt 33 | |
zurück. Das sehen die Menschen nicht. Das ist der AfD gelungen.“ Man müsse | |
einen anderen Umgang finden. | |
Was Clemens nicht sagt: Dass seine Partei und ihr Ministerpräsident, der | |
lange mit allen geredet und immer wieder Diskurse der AfD aufgegriffen hat, | |
einen Anteil an dieser Normalisierung hat. Inzwischen immerhin hat der | |
sächsische Verfassungsschutz den AfD-Landesverband als erwiesen | |
rechtsextrem eingestuft. | |
Clemens setzt darauf, dass die Bürger*innen bei einer Landtagswahl | |
anders abstimmen als zuletzt bei der Wahl zum europäischen Parlament, die | |
die AfD in Sachsen klar für sich entschieden hatte. „Wir müssen den Leuten | |
klar machen, dass es am 1. September nicht um Brüssel oder Berlin geht, | |
nicht um ein Ventil. Sondern darum, wer hier ganz konkret in Sachsen | |
regiert. Willst du, dass die AfD tatsächlich in Dresden in die | |
Staatskanzlei einzieht und sich um die Schule, die Straßen und deine | |
Gesundheit kümmert?“ | |
## Wer könnte Koalitionspartner sein? | |
Eine Zusammenarbeit mit der AfD schließt die CDU klar aus. Nach der Wahl | |
aber könnte es kompliziert werden. „Eine Besonderheit in diesem Wahlkampf | |
ist, dass uns die Koalitionspartner drohen, abhanden zu kommen“, sagt | |
Clemens. Bislang regiert die CDU mit SPD und Grünen, was manchmal in | |
Vergessenheit gerät, weil Kretschmer so hart gegen die Grünen polemisiert. | |
Laut Umfragen liegen die beiden Koalitionspartner zwischen fünf und sieben | |
Prozent, sie könnten also an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern. | |
Viel spricht dafür, dass die Linke den Sprung in den Landtag nicht schafft. | |
Bleibt das Bündnis Sahra Wagenknecht, kurz BSW, worüber man in der CDU vor | |
der Wahl nicht gerne spricht. „Es gibt Szenarien, wo wir nicht anders | |
können, als uns mit dem BSW zusammen zu setzen. Das entscheidet der | |
Wähler“, räumt Clemens zumindest ein. Das heißt aber auch: Die Bündnisfra… | |
könnte für die CDU zur Zerreißprobe werden. | |
Über Obercunnersdorf sind inzwischen dunkle Wolken aufgezogen. Als Clemens | |
sich für das Kommen bedankt, leert sich das Café schnell. Eine Frau sagt im | |
Rausgehen, dass Clemens doch wirklich sympathisch sei. Aber auch, dass sie | |
schon immer CDU gewählt habe. Dann prasselt draußen der Regen los. | |
11 Aug 2024 | |
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## AUTOREN | |
Sabine am Orde | |
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