# taz.de -- Sächsische Linke bangt um Landtagseinzug: Ein Haustürwahlkampf um… | |
> Die Linke könnte in Sachsen aus dem Landtag fliegen. Einer, der dagegen | |
> kämpft, ist der Leipziger Nam Duy Nguyen. Er will an 30.000 Wohnungen | |
> klingeln. | |
Bild: Nam Duy Nguyen unterwegs in Leipzig: Kampf um jede Stimme | |
Leipzig taz | Als Nam Duy Nguyen an diesem Dienstagnachmittag im Juli durch | |
die Tür eines Mehrfamilienhauses im Südosten Leipzigs geht, hat er einen | |
einfachen und klaren Plan: In allen zehn Stockwerken bei wirklich jeder | |
Wohnung klingeln. Und vier Wochen später bei der Landtagswahl das | |
Direktmandat im Wahlkreis gewinnen. | |
Der 28-Jährige nimmt den Aufzug nach ganz oben, um dann nach unten | |
durchzugehen. „Hier ist die Linke“, steht in weißen Lettern auf seiner | |
roten Warnweste. Er tritt zum ersten Mal für die Partei als Direktkandidat | |
an. | |
Nguyen klingelt. Durch das dunkle Treppenhaus hallt das Gebell eines | |
Hundes. Während draußen an diesem späten Dienstagnachmittag mehr als 30 | |
Grad herrschen, ist es drinnen fast kalt. Die Tür vor Nguyen bleibt zu. Er | |
dreht sich um zur nächsten. Die geht schnell auf. „Hallo, ich bin Nam Duy | |
Nguyen und trete für die Landtagswahl an“, begrüßt der Linkenpolitiker mit | |
sanfter Stimme die Frau in der Tür. Doch sie winkt ab, keine Zeit, sie | |
erwarte Besuch. „Alles klar, dann noch einen schönen Nachmittag.“ Auf zur | |
nächsten Tür, ein Stockwerk tiefer. | |
An Haustüren um Stimmen zu werben ist ein altbekanntes Mittel. Doch Nam Duy | |
Nguyen hat sich ein überdurchschnittlich hohes Ziel gesetzt: Zusammen mit | |
seinen mehr als hundert Unterstützer:innen im Wahlkreis Leipzig 1 will | |
er an 30.000 Wohnungen klingeln. Bereits im April haben sie damit begonnen, | |
in der ersten Augustwoche hatten sie schon mehr als 27.000 Wohnungen | |
erreicht. | |
## 2.000 Wahlzusagen hat Nguyen schon | |
Anfangs sei es vor allem darum gegangen, die Themen der Wähler:innen im | |
Wahlkreis zu analysieren, um daraus die eigenen politischen Ziele | |
abzuleiten, erzählt Nguyen. Herausgekommen ist ein klassisch linkes Profil: | |
Mieten senken, Löhne steigern, Leben in Sachsen bezahlbar machen und den | |
ÖPNV stärken. | |
Die Gespräche sollen Wähler:innen motivieren, im September ihre | |
Erststimme Nguyen zu geben. Im Haustürwahlkampf zählt sein Team, wie viele | |
Wahlzusagen sie bekommen. Anfang August hatten sie etwa 2.000, insgesamt | |
wollen sie 3.000 erhalten. | |
Nguyen wohnt seit zehn Jahren im Leipziger Osten, pendelte zeitweise zum | |
Studium nach Jena. Davor lebte er in Riesa, wo seine Eltern bis heute ein | |
kleines Geschäft betreiben. Sie stammen aus Vietnam, sein Vater kam als | |
Vertragsarbeiter in die DDR. Laut eigener Aussage ist Nguyen selbst in | |
Armut aufgewachsen, kennt Ausgrenzung. Sollte er gewählt werden, wäre er | |
der erste sächsische Landtagsabgeordnete mit vietnamesischen Wurzeln. | |
Allerdings geht es Nguyen nicht nur um sein eigenes Direktmandat. Sein | |
Wahlkampfeinsatz ist auch einer für den Wiedereinzug der Linken in den | |
Landtag – denn [1][die steht in Sachsen so schlecht da wie noch nie]. In | |
Umfragen liegt sie nicht nur unter den 10,4 Prozent, die die Linke bei der | |
vergangenen Landtagswahl 2019 bekam. Während das [2][Bündnis Sahra | |
Wagenknecht nach seiner Abspaltung in Sachsen bei bis zu 15 Prozent | |
angelangt ist], wollten zuletzt nur noch 4 Prozent der Befragten ihre | |
Stimme der Linkspartei geben. | |
## Direktmandatsklausel könnte die Linke retten | |
Zwar traten laut Partei seit Anfang des Jahres rund 500 neue Mitglieder in | |
Sachsen ein – manche auch, weil Wagenknecht nicht mehr in der Partei ist. | |
Aber insgesamt kämpft die Linke in Sachsen ums Überleben. Darum visiert sie | |
jetzt auch einen Weg an, der um die Fünfprozenthürde herumführt: die | |
Direktmandatsklausel. Wenn mindestens zwei Kandidat:innen einer Partei | |
in ihrem Wahlkreis den höchsten Stimmanteil gewinnen, zieht die Partei | |
auch dann in den Landtag ein, wenn sie insgesamt unter den 5 Prozent | |
bleibt. Eine analoge Regel hat der Linken schon bei der Bundestagswahl den | |
Einzug ins Parlament gerettet. | |
Und tatsächlich: In drei Wahlkreisen in Leipzig hat die Linke reale Chancen | |
auf das Direktmandat – in einem davon tritt Nguyen an. Bei der vergangenen | |
Wahl 2019, als er noch nicht dabei war, gewann Christin Melcher von den | |
Grünen das Mandat. Aber: Bei der Bundestagswahl und bei der Kommunalwahl | |
bekam die Linke auf dem Gebiet des Kreises mehr Stimmen als die Grünen. Und | |
die kämpfen selbst mit niedrigen Umfragewerten. | |
Im Hochhaus ist Nguyen mittlerweile in der 4. Etage angekommen. Bisher | |
blieben die meisten Türen zu. Eine Frau musste zurück an den | |
Homeoffice-Schreibtisch, eine andere schwärmte kurz von der Sowjetunion und | |
frage Nguyen nach Wagenknecht, hatte dann aber auch keine Zeit. „Das wäre | |
bestimmt spannend geworden“, glaubt Nguyen. Immer wieder geht das Licht im | |
Treppenhaus aus und lässt ihn im Dunkeln zurück. | |
Aber dann bleibt eine junge Frau mit Dalmatiner an der Leine auf dem Weg | |
nach draußen stehen. „Was machen Sie hier eigentlich?“, fragt sie Nguyen. | |
Er lehnt sich gegen das Treppengeländer, reicht ihr einen Flyer und stellt | |
sich vor. „Wir sprechen seit Wochen an den Haustüren mit Leuten darüber, | |
welche Probleme sie bewegen“, erzählt er. Die Themen, die dabei aufkommen, | |
wolle er mit in den Landtag nehmen. „Beschäftigt Sie etwas?“, fragt Nguyen | |
zurück. | |
Die Frau überlegt kurz, greift in eine Bauchtasche und erkauft sich mit | |
einem Leckerchen beim Dalmatiner etwas Geduld. Sie mache sich Gedanken über | |
Radwege: dass sowohl Autos als auch Fahrradfahrer:innen selbst bei | |
durchgezogener Linie überholen. Nguyen wirft ein, dass ein stärkerer ÖPNV | |
gut wäre. Die Dalmatinerbesitzerin entgegnet, dass aber in den | |
Straßenbahnen eine angespannte Stimmung herrsche. Nach ein paar Minuten | |
Gespräch fragt er dann: „Können Sie sich denn vorstellen, mich zu wählen?�… | |
Sie lächelt. „Na ja, eher links als rechts.“ Dann steckt sie den Flyer in | |
die Hosentasche. Keine Wahlzusage. Aber sie drücke ihm die Daumen. Mehr | |
bekommt Nguyen in dem Haus nicht. | |
## Große Zahl an Helfer:innen für Nguyen | |
Draußen vor der Tür warten vier seiner Unterstützer:innen, ebenfalls in | |
roten Warnwesten. Sie haben in den Nachbarhäusern geklingelt. Eine von | |
ihnen ist Jessica Sommer. Gemeinsam mit Nguyen geht sie ins nächste Haus. | |
Er macht die unteren fünf Etagen, sie übernimmt die fünf darüber. Sommer | |
erzählt: Von einer Tür zur nächsten, viel warten, meistens abgewiesen | |
werden, das sei ziemlich anstrengend. Sie ist seit Juni dabei. Selbst die | |
längeren Gespräche „die am Ende den Unterschied machen“, seien ermüdend. | |
Warum macht sie dann mit? Es fühle sich richtig an, mit den Leuten zu | |
sprechen und „vor allem zuzuhören, anstatt wie sonst meistens politische | |
Botschaften in einen leeren Raum zu rufen“. | |
Sommer ist seit einem Jahr Mitglied der Linken. Nicht unbedingt, weil ihr | |
die Partei so gefalle, wie sie ist. Zuvor kam sie über die Klimabewegung | |
zum parteinahen Sozialistisch-Demokratischen Studierendenverband (SDS), war | |
dort zeitweise im Bundesvorstand. Aus dieser Zeit kennt sie auch Nguyen. | |
Ihm traue sie zu, dass er die Linke mitverändere, damit sich linke | |
Bewegungen und Arbeitskämpfe über die Partei organisieren können. Nicht nur | |
im Parlament sei die Linke wichtig, findet Sommer. | |
Im vierten Stockwerk des zweiten Hauses sieht das ein Mann offenbar anders. | |
Er hat die Tür kaum einen Spalt geöffnet, da schüttelt er den Kopf: „Nein�… | |
Nguyen fragt gelassen: „Nicht Ihre Partei?“ Die Tür geht wieder ein | |
bisschen auf. Genau, sagt der Mann. Die Linke trage Mitschuld an der | |
schlechten Gesamtlage. Statt um höhere Löhne kümmere sie sich ums Gendern. | |
„Aber das schließt sich doch nicht aus“, sagt Nguyen. Doch, tut es, | |
entgegnet der Mann. Die beiden diskutieren ein paar Minuten. Die Tür öffnet | |
sich dabei immer mehr, obwohl sie bei mehreren Themen nicht auf einen | |
Nenner kommen. Dann sagt der Mann, er wolle essen. Er nimmt einen Flyer, | |
verspricht ihn zu lesen und schließt mit einem kurzen Winken die Tür. | |
Wieder keine Wahlzusage. | |
Im ländlichen Raum Sachsens wirbt seit Wochen auch die | |
[3][Linke-Landeschefin Susanne Schaper] um Stimmen. Die Partei versuche | |
trotz der Umfragewerte über die Fünfprozenthürde zu kommen, sagt sie. Und | |
wie soll das klappen? „Wir müssen Vertrauen zurückgewinnen“, glaubt | |
Schaper. Dazu sei ein selbstkritischer Umgang in der Partei nötig. | |
„Natürlich kam es nicht gut an, dass prominente Parteimitglieder ihren | |
Streit in den Medien austrugen.“ | |
Aber an der parlamentarischen Arbeit liege es nicht, betont Schaper. Auch | |
nicht am Themenfokus der Partei. Woran dann? Schaper höre in den Gesprächen | |
an Wahlkampfständen das, was die Linke schon seit Jahren kritisiere. „Die | |
Leute haben Angst davor, keinen Hausarzt mehr zu erreichen, dass Sachsen | |
die Lehrer ausgehen und dass natürlich alles immer teurer wird.“ Dass die | |
Linke eine der „Altparteien“ sei, höre Schaper auch. Das Wort hat die AfD | |
geprägt. „Andere übernehmen den BSW-Sprech und sagen, ihr kümmert euch nur | |
ums Gendern.“ Wieder andere erklärten, sie wollten die CDU wählen, damit | |
die AfD nicht zur größten Fraktion wird. | |
In Leipzig hat Nam Duy Nguyen an diesem Dienstag den Haustürwahlkampf | |
eingestellt. Auf einer Bierbank vor seinem Parteibüro im Osten geht er noch | |
mal die Begegnungen der letzten Stunden durch. Er sagt, er sei zufrieden | |
mit den Gesprächen. Auch wenn es wenige waren. Mit dem Mann hätte er sich | |
gerne noch mal zu einem Bier hingesetzt. Der habe gute Punkte angesprochen | |
und gleichzeitig ein paar Schlüsselbegriffe verwendet, bei denen Nam Duy | |
Nguyen nachhaken wolle. „Genderideologie“ zum Beispiel. Aber das sei | |
zwischen Tür und Angel nicht zu lösen. Dafür brauche es Zeit. | |
Während des Gesprächs mit der taz schlendert ein Mann mit Fahrrad und Joint | |
vorbei. Vor der Bierbank bleibt er stehen, grüßt kurz und fragt, ob hier | |
ein Parteibüro der Linken entstehe. Nguyen unterbricht umstandslos das | |
Interview und erzählt dem Interessierten vom Wahlprojekt, dass sie an | |
30.000 Türen klingeln wollen und er für das Direktmandat antritt. „Ja, ich | |
hab dich schon erkannt“, antwortet der Mann lachend. „Meine Stimme habt ihr | |
auf jeden Fall.“ Da ist sie doch noch, die Wahlzusage. | |
Hinweis: In einer früheren Version des Artikels hieß es, die Linke habe | |
Chancen auf Direktmandate in Chemnitz und Dresden. Das trifft nach den | |
aktuellen Daten nicht zu. Die Linke behandelt dort einzelne Wahlkreise | |
lediglich als strategisch wichtig. Wir haben die Stelle korrigiert. | |
14 Aug 2024 | |
## LINKS | |
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## AUTOREN | |
David Muschenich | |
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