# taz.de -- Sächsische Linke über Wahlkampf: „22 Angriffe auf mein Büro“ | |
> Die Spitzenkandidatin der Linkspartei in Sachsen, Susanne Schaper, | |
> entdeckt im Wahlkampf ihrer Partei Parallelen zu den 1930ern. | |
Bild: Susanne Schaper, Landesvorsitzende Die Linke Sachsen: „Uns rutscht jede… | |
taz: Frau Schaper, zu Beginn des Landtagswahlkampfs hat die Linkspartei im | |
ostsächsischen Sebnitz ein Wahlkampf-Camp veranstaltet. Sebnitz ist nicht | |
nur für seine hohen AfD-Wahlergebnisse, sondern auch für eine militante | |
Neonazi-Szene bekannt. Wieso hat sich die Linke ausgerechnet hier | |
versammelt? | |
Susanne Schaper: Wenn wir jetzt nicht mehr dort hingehen, ist das eine | |
Kapitulation. Wir wollen in der Fläche Präsenz zeigen, und ziehen uns da | |
nicht zurück. | |
taz: Denken Sie angesichts der Angriffe auf Linke denn nicht manchmal | |
daran, den Wahlkampf in der Peripherie lieber bleiben zu lassen? | |
Schaper: Wir sind keine Menschen, die schnell die Segel streichen. | |
Natürlich kommen einem manchmal diese Gedanken, aber die lassen wir auf | |
keinen Fall zu. Wir müssen natürlich versuchen, mit den Menschen zu reden. | |
Wir gehen auch dorthin, wo uns jetzt nicht gerade die Herzen zufliegen. Wir | |
wollen die Herzen natürlich wieder für uns gewinnen. Und das geht nicht, | |
wenn ich nur in Dresden oder Leipzig „Wohlfühlveranstaltungen“ mache. | |
taz: Angriffe auf linke Politiker*innen gibt es in Sachsen schon seit | |
den 1990ern, aber diese Intensität ist doch neu? | |
Schaper: Wir hatten in den frühen 90er-Jahren den offenen Antikommunismus, | |
und der ging dann über in teils offenen Faschismus. Seit damals bis heute | |
wird uns gesagt: „Dass ihr immer mal aufs Maul kriegt, das ist doch klar, | |
ihr seid Linke.“ Und die sogenannte bürgerliche Mitte versucht seit | |
Ministerpräsident Biedenkopf, der sagte: „Der Sachse ist immun gegen | |
Rechtsextremismus“, diese Auffassung zu bedienen. Das ist | |
demokratieschädigend, verhöhnt die Opfer dieser Angriffe und bestärkt die | |
Täter in dem Glauben, sie seien ja gar nicht rechts, sondern drückten einen | |
Konsens aus. Die CDU suggeriert, dass sie das kleinere Übel sei, die | |
sogenannte Brandmauer, dabei wächst das größere Übel aber. | |
taz: Auch Sie selbst mussten schon Angriffe auf Ihr Büro erfahren. Wie | |
macht man unter diesen Bedingungen Wahlkampf? | |
Schaper: Seit Pegida, also seit 2014, hat sich das für uns zugespitzt. In | |
dieser Zeit hatte ich 22 Angriffe auf mein Büro, das war bundesweit und | |
sogar bis hin zur Washington Post eine Meldung. 2015 gab es einen | |
Sprengstoffanschlag auf das Auto von Michael Richter, Linken-Stadtrat in | |
Freital. Erst kürzlich gab es einen Angriff auf unsere | |
Stadtratskandidierende Elisa Grobe in Limbach-Oberfrohna und einen Angriff | |
auf einen Wahlkampfhelfer in Leipzig, der ins Krankenhaus musste. Bei uns | |
gilt jetzt: Nicht allein plakatieren, einer bleibt im Auto, für den Notruf. | |
Bei größeren Veranstaltungen sagen wir der Polizei Bescheid. Uns rutscht | |
jedes Mal das Herz in die Hose, wenn wieder ein Anruf kommt, dass jemand | |
angegriffen wurde. Wir müssen aber auch feststellen, dass wir nicht die | |
Möglichkeit haben, den Wahlkampf so zu organisieren, dass alle beschützt | |
werden können. | |
taz: Glauben Sie, dass diese Angriffe System haben? | |
Schaper: Ich habe dieses Jahr zum 8. Mai, dem Tag der Befreiung, eine Rede | |
gehalten. Dafür bin ich ins Archiv gegangen und habe Zitate von einem | |
Chemnitzer SPD-Landtagsabgeordneten aus dem Jahr 1932 gefunden. Er schrieb, | |
dass sie während des Plakatierens in Einsiedel mit Schlagstöcken | |
angegriffen wurden. Man nahm ihnen das Papier, was sie verteilen wollten, | |
aus der Hand und zündete es an. Es fing genau so an, und deswegen | |
unterstelle ich, dass das System hat. Ich habe das Zitat von Václav Havel | |
nie verstanden, die Demokratie binde den Demokraten die Hände und den | |
Nichtdemokraten lässt sie freien Lauf. Aber genau das erleben wir gerade. | |
Sie schaffen es, dass die Demokratie sich gegen sich selbst richtet. Und | |
man merkt auch, dass sich Leute nicht mehr auf deine Seite stellen, weil | |
sie Angst haben. Die Lauten sind viel zu laut, und die Mitte hat viel zu | |
spät reagiert. | |
taz: Wie erleben Sie den Wahlkampf? | |
Schaper: Das ist schwierig zu beschreiben. Entweder erfahre ich Bestärkung | |
oder werde gar nicht mehr ernst genommen. Manche haben sich damit | |
abgefunden, dass es bald vielleicht nichts Linkes mehr geben wird, nur noch | |
rechts und rechts daneben. Das ist problematisch. Natürlich sind wir jetzt | |
nicht gerade vox populi, wie sollten wir auch? Aber wir haben auch einen | |
sehr motivierten und engagierten Wahlkampf, der unserem Wertekompass treu | |
bleibt. Und wir können feststellen, dass das viele Menschen honorieren. Wir | |
haben auch viele Neueintritte zu verzeichnen. | |
taz: Das klingt ja fast schon optimistisch. | |
Schaper: Gleichzeitig haben wir auch viele Verluste. Und wir müssen uns vor | |
allem an Wahlergebnissen messen lassen. Wenn wir von Neueintritten hören, | |
gibt einem das trotzdem Kraft. Ich nutze es aber nicht als argumentatives | |
Mittel nach außen. Ich bin der festen Überzeugung: Wenn es uns nicht mehr | |
gäbe, wäre das Land ärmer, weil wir Themen besetzen, die niemand anderes | |
besetzt. Und das sind genau die Themen, die für die ganz leisen Menschen | |
stehen, die überhaupt keine Chance haben, sich zur Wehr zu setzen. Es gibt | |
enorme soziale Unsicherheiten, für die sich sonst niemand interessiert. | |
taz: Aber wieso dringen Sie damit nicht durch, während etwa das Bündnis | |
Sahra Wagenknecht gerade mit ähnlichen Themen Erfolge feiert? | |
Schaper: Durch manch andere Gruppen, die so tun, als ob sie Rosa Luxemburg | |
noch persönlich kannten, werden wir diffamiert, dass wir uns nur auf | |
„Orchideenthemen“ begrenzen würden. Wir haben in der letzten Legislatur im | |
Landtag 600 Anträge eingebracht, davon hat sich keiner mit dem Thema | |
Gendern beschäftigt. Und dann höre ich immer noch – selbst aus linken | |
Kreisen – diese Chimäre, dass man mit der CDU das kleinere Übel gegen die | |
AfD wählt. Da muss ich sagen: What the fuck veranlasst linke Menschen, CDU | |
zu wählen? Am Ende habe ich unter Umständen eine rechtskonservative | |
Regierung – weil ich das nicht ausschließen kann –, und keine progressive | |
Partei mehr. Und dann sind wir wieder ein Stück näher an 1932. | |
24 Aug 2024 | |
## AUTOREN | |
Konstantin Nowotny | |
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