# taz.de -- Landtagswahl in Sachsen: Mit Antifaschismus punkten | |
> Die Grünen wollen in Sachsen weiterregieren. Dafür müssen sie es aber in | |
> den Landtag schaffen. Unterwegs mit Spitzenkandidatin Katja Meier. | |
Leipzig taz | Das Publikum klatscht kurz, als Katja Meier, die | |
Spitzenkandidatin der Grünen, auf der Bühne beim Wahlforum in Dresden | |
sagt: „Ich will, dass sich die Menschen in Sachsen sicher fühlen, und die | |
größte Herausforderung ist hierbei der Rechtsextremismus.“ Es ist | |
Donnerstagabend Anfang August und die großen Regionalzeitungen in Sachsen | |
haben Spitzenkandidat:innen der Parteien auf die Bühne gebeten. | |
Nach anderthalb Stunden Rampenlicht sollen nun alle in 60 Sekunden ihre | |
Position zur inneren Sicherheit in Sachsen darlegen. Auffällig: Es geht um | |
Polizei, Migration, Überwachungskameras – aber nur Katja Meier nennt den | |
Rechtsextremismus beim Namen. Später sagt sie: „Das hat mich auch | |
überrascht.“ Zumindest von den Linken habe sie das erwartet. | |
[1][Katja Meier] ist seit fast fünf Jahren Sachsens Ministerin für Justiz, | |
Demokratie, Gleichstellung und Europa. Es passt, dass sie nun als eine von | |
drei Spitzenkandidat:innen der Grünen das Thema anspricht. Es ist | |
eins der zentralen Themen, mit denen die Grünen um Stimmen für die | |
Landtagswahl am 1. September werben. Schwerpunkte in ihrem Wahlkampf sind | |
auch Bildung und Wirtschaft. Derzeit stehen sie in den Umfragen bei sechs | |
Prozent. | |
Aber welches Wahlergebnis wünscht sich Meier? „Dass wir weiter in der | |
Koalition regieren können, um uns dabei für den Klimaschutz und den Kampf | |
gegen Rechtsextremismus einzusetzen“, sagt sie. Also weiter mit CDU und | |
SPD, obwohl dort [2][vor allem Konflikte] die vergangenen Monate prägten. | |
## Schwierige Koalition | |
Seit dem 20. Dezember 2019 regieren die drei Parteien in Sachsen. | |
Spätestens seit der Bundestagswahl zwei Jahre später kritisiert | |
CDU-Ministerpräsident Michael Kretschmer eigentlich niemanden lieber als | |
die Grünen – ob in Sachsen oder in der Bundesregierung. Sie seien | |
ideologisch, hätten die Wirtschaft nicht im Blick, die Koalition im | |
Freistaat mit ihnen sei schwierig. Nach der Wahl würde Kretschmer lieber | |
ohne sie regieren. | |
Jetzt, im Wahlkampf, kritisiert Katja Meier wacker zurück: den Politikstil | |
der CDU, wie die Konservativen das Thema Migration nutzen und dass sie in | |
den vergangenen 34 Jahren als Regierungspartei in Sachsen versäumt hätten, | |
den Menschen die Demokratie näherzubringen. Warum will sie dann weiter mit | |
Kretschmer regieren? „Trotz der Querelen konnten wir viel für Klimaschutz, | |
Gleichstellung und Bildung durchsetzen“, erklärt Meier. Und was sie nun | |
angefangen habe, wolle sie auch zu Ende bringen. | |
Gleichzeitig kam im ersten Halbjahr 2024 nur ein einziges Windrad in | |
Sachsen hinzu. Anfang des Jahres scheiterte die Verfassungsreform der | |
Koalitionsparteien, mit der unter anderem Klimaschutz in Sachsen gesichert | |
werden sollte. In den vergangenen Wochen demonstrierten Neonazis in Sachsen | |
selbstbewusst und zahlreich wie lange nicht. | |
Doch das zeige nur, wie notwendig eine demokratische Regierung sei, an der | |
sich die Grünen beteiligen. „Ohne uns würde es viele Maßnahmen wie die | |
Förderung der Zivilgesellschaft nicht mehr geben“, glaubt Meier. | |
## Im Osten geprägt | |
Dass sie mal in Sachsen Regierungsverantwortung übernehmen würde, hätte | |
sich Katja Meier als Teenager noch nicht vorstellen können. „Ich bin in | |
Zwickau aufgewachsen – Baseballschlägerjahre –, das hat mich politisiert.�… | |
Sie war zwölf Jahre alt, als bis zu 500 Menschen Unterkünfte von | |
Geflüchteten und Vertragsarbeiter:innen im sächsischen Hoyerswerda | |
angriffen. Unter anderem [3][das machte sie zu einem politischen Menschen], | |
so erzählt es Meier heute. Aber auch andere Erlebnisse, die viele Teenager | |
nach der Wende machten, prägten Meier. „Einer meiner Eltern war immer | |
arbeitslos.“ | |
Als Justizministerin und Spitzenkandidatin macht Meier aktuell zwei Jobs. | |
Meist hat sie erst abends Zeit für Podiumsdiskussionen oder | |
Wahlkampftermine. So auch an einem Mittwochabend Anfang August im Leipziger | |
Osten. Meier begleitet die dortige grüne Direktkandidatin Christin Melcher | |
zur Redaktion des „Female Explorer“, einem Reisemagazin für Frauen. | |
Auf dem Holztisch stehen Nüsse und Datteln, an den Wänden hängen die Cover | |
früherer Ausgaben. Nicole Barth und Leonore Herzog, die beiden Gründerinnen | |
des Reisemagazins, erzählen, wie „Female Explorer“ von einer spontanen Idee | |
zur GmbH in Leipzig wurde. Mittlerweile sind sie bei Heft Nummer acht. Es | |
ist allerdings die letzte gedruckte Ausgabe, zukünftig erscheint „Female | |
Explorer“ nur noch in der App. | |
Meier, als Ministerin auch für Gleichberechtigung verantwortlich, | |
interessiert sich vor allem die Perspektive auf die Frauen als | |
Gründerinnen. Was brauchen die? „Business und Mutter, das ist schon eine | |
krasse Doppelbelastung. Mehr Unterstützung wäre hilfreich“, sagt Herzog. | |
Das will sich Meier nochmal anschauen. „Wichtig ist, dass wir ein Netzwerk | |
unterstützen, in dem sich Frauen gegenseitig unter die Arme greifen“, sagt | |
sie. „Da rennen Sie bei uns offene Türen ein“, antwortet Nicole Berth und | |
alle vier Frauen am Tisch lachen. | |
## Ferne 16 Prozent | |
Junge Frauen gehören für die Grünen auch in Sachsen zu den wichtigsten | |
Wähler:innen. Keine andere Partei bekam bei der Landtagswahl 2019 so viele | |
Stimmen von Frauen zwischen 18 und 25 Jahren. Damals sah es allerdings auch | |
vor der Wahl besser für die Grünen aus. In den Umfragen standen sie | |
zweistellig bei bis zu 16 Prozent. Am Ende bekamen sie 8,6 Prozent der | |
Stimmen, immerhin noch das [4][beste grüne Ergebnis in Sachsen]. | |
Derzeit bekommt der sächsische Landesverband zwar stetig neue Mitglieder – | |
zum ersten Mal hat er seit diesem Jahr mehr als 4.000 – doch die | |
Umfragewerte und Wahlergebnisse bleiben bei 6 Prozent. So war es auch bei | |
der Europawahl im Juni. Schon dafür warben die Grünen auffällig mit den | |
Themen Demokratie und Antifaschismus. Kann es sein, dass das in Sachsen | |
eher Stimmen kostet als bringt? | |
Katja Meier stutzt bei der Frage. „Das sehe ich so nicht“, antwortet sie | |
der taz und denkt beim Sprechen nach. Also ja, im Wahlkampf höre sie schon | |
mal Sprüche. „Sie mit Ihrer Demokratie, was soll denn das überhaupt sein?�… | |
heiße es dann. „Da merkt man, dass es brodelt.“ Sie versuche, den Begriff | |
breit mit Themen zu füllen. „Demokratie, das heißt für mich, Kinder und | |
Jugendliche politisch beteiligen, Zivilgesellschaft stärken oder Frauen vor | |
Gewalt schützen.“ | |
Aus dem Europa- und Kommunalwahlkampf habe die grüne Partei in Sachsen | |
gelernt, mehr auf die Probleme einzugehen, die sich landespolitisch lösen | |
lassen. Doch immer wieder geht es im Wahlkampf auch um bundespolitische | |
Themen. Nach dem Austausch bei „Female Explorer“ ziehen Meier und Melcher | |
weiter in den nahegelegenen Lene-Voigt-Park. | |
## Tisch-Tennis statt Talk Show | |
Sie wollen Tischtennis spielen, um dabei mit Wähler:innen ins Gespräch | |
zu kommen. „Bei Podiumsdiskussionen kommen nicht mehr viele“, erklärt | |
Meier. Aber an diesem schwülen Abend ist auch im Park in Leipzig nicht mehr | |
viel los. Meier und Melcher spielen zunächst eine Runde für sich allein. | |
Insgesamt sei die Stimmung an den Wahlkampfständen unterschiedlich, | |
berichtet Meier. Manche kämen interessiert und erfreut auf die Grünen zu. | |
Andere seien eher weniger begeistert: „Da standen wir in Dresden am | |
Wahlkampfstand, als ein Auto vorbeifuhr und wir aus dem offenen Fenster | |
angepöbelt wurden.“ | |
Kritik entbrenne oft an Bundesthemen: Ukraine, Kriegstreiber, | |
Heizungsgesetz. „Da versuchen wir die Dinge einzuordnen. Wir wollen einen | |
Frieden in Sicherheit in der Ukraine“, sagt Meier. „Wenn sich Michael | |
Kretschmer etwa hinstellt und behauptet, die Energiewende sei gescheitert, | |
dann ist das die Energiewende, die CDU und SPD versucht haben umzusetzen.“ | |
Dass die Kommunikation der Ampelkoalition hätte besser laufen können, da | |
seien sich alle einig. Insgesamt sei die Kritik an den Grünen in der | |
Bundesregierung aber unehrlich, findet Meier. Die CDU war 16 Jahre in der | |
Verantwortung. Die Ampel noch nicht mal drei. | |
Im Lene-Voigt-Park dunkelt es schon, als Meier und ihr Team um 21 Uhr die | |
Tischtennisplatte zusammenklappen. Es geht zurück nach Dresden, wo aktuell, | |
zumindest das ist sicher, noch CDU, SPD und Grüne regieren. | |
21 Aug 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Saechsische-Justizministerin-Katja-Meier/!5649979 | |
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[4] /Gruene-nach-den-Landtagswahlen/!5622157 | |
## AUTOREN | |
David Muschenich | |
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klingeln. |