# taz.de -- taz Panter Forum in Erfurt: „Ich gehöre zu Thüringen“ | |
> Die Zivilgesellschaft in Thüringen ist bedroht. Das berichtet unter | |
> anderem die Sozialarbeiterin Nour al Zoubi auf dem taz Panter Forum in | |
> Erfurt. | |
Bild: Vertreter:innen zivilgesellschaftlicher Organisation diskutieren über de… | |
Dieser Tage kann man kaum eine Zeitung aufschlagen, kaum eine Sendung | |
anschauen, ohne [1][das Wort „Brandmauer“] zu lesen. Sie müsse angesichts | |
der Bedrohung von rechts stehen, heißt es allenthalben. Doch gibt es diese | |
Brandmauer überhaupt? Und wenn ja, wie sieht sie aus? Das wollte die taz am | |
Sonntag in Erfurt wissen – im dortigen Kulturbahnhof hat sie zum Panter | |
Forum geladen, um mit Menschen aus Politik und Zivilgesellschaft über das | |
Leben und die politische Arbeit in Thüringen zu sprechen. Neben Gesprächen | |
auf der Bühne im alten Güterbahnhof können sich die Besucher:innen auch | |
unter den Sonnensegeln vor dem Gebäude einfach ein Mikro schnappen und | |
miteinander diskutieren. Oder einfach beim Plausch auf den Palettenbänken | |
ringsherum. | |
Die Brandmauer also, existiert die? [2][Felix Steiner, der die | |
rechtsextreme Szene in Thüringen erforscht], findet: Nein. Zumindest nicht, | |
wenn die rechtsextreme Björn-Höcke-AfD bei der Europawahl hier bei 30 | |
Prozent liegt. | |
Auch der [3][Leiter der Gedenkstätte Buchenwald und Mittelbau-Dora, | |
Jens-Christian Wagner], berichtet von einer fast schon unheimlichen | |
Begegnung. In einem Zug in Thüringen unterwegs habe er auf einmal einen | |
Mann gesehen, der dort ganz selbstverständlich in der Uniform der Waffen-SS | |
saß (das Hakenkreuz auf der Binde hatte er abgeklebt). Da niemand anderes | |
sich daran zu stören schien, habe Wagner den Mann schließlich auf seine | |
Uniform angesprochen. | |
Was also hält die Faschisten auf? Vielleicht der Rechtsstaat, die Gerichte? | |
Auch sie sind keine rettende Planke, sagt Maximilian Steinbeis vom | |
Verfassungsblog im Gespräch mit taz-Redakteurin Anne Fromm und Co-Moderator | |
Carsten Rose von Radio F.R.E.I.: Man könne die Verfassung nicht wasserdicht | |
gegen eine rechtsextreme Machtübernahme machen, sagt Steinbeis. Auch hier | |
also keine „Brandmauer“. Ist sie also mehr hoffnungsvoller Wunsch als | |
Wirklichkeit? | |
Deutlich wird an diesem Sonntag, dass es nach wie vor viele Engagierte | |
gibt, die durch ihr alltägliches Handeln ein anderes Thüringen erschaffen. | |
Da ist etwa die Sozialarbeiterin Nour al Zoubi, die in Syrien geboren | |
wurde, später nach Deutschland kam und jetzt für das Zeitungsprojekt „Neu | |
in Gera“ über ihre transkulturellen Erfahrungen schreibt. Al Zoubi erzählt | |
Moderator und taz-Redakteur Konrad Litschko, sie habe sich gefragt, ob es | |
nicht besser wäre, Gera und Thüringen zu verlassen. Sie aber hat sich | |
entschieden: „Ich gehöre zu Thüringen. Und Thüringen gehört zu mir.“ | |
Auch die [4][linke Landtagsabgeordnete Katharina König-Preuss] plädiert | |
fürs Bleiben. „Was ist denn mit denen, die hier bleiben müssen?“, fragt s… | |
und meint etwa die Geflüchteten in den Asylunterkünften, für die der Wegzug | |
keine Option ist. Angesichts der aktuellen politischen Rückschläge schwört | |
sie die Anwesenden auf Kämpfe ein, „die zehn, fünfzehn, zwanzig Jahre | |
dauern.“ | |
Bleibt die Frage, was Menschen antreibt, die AfD wählen. Linke betonen oft | |
die sozialen Verwerfungen in Ostdeutschland – doch für Autorin Grit Lemke | |
reicht das nicht. Sie ist in der Niederlausitz geboren, hat in Hoyerswerda | |
gelebt, über den Rassismus dort geschrieben. Jemand kann ein dickes Auto | |
vor der Tür haben, sagt Lemke, und trotzdem rechtsextrem denken. Sie | |
spricht von einer „Gesellschaft der Unglücklichen, die unglücklich wählen�… | |
Vor dem Kulturbahnhof erschallt derweil ein lautes Lachen. Es kommt aus | |
einer Gruppe von „Omas gegen Rechts“, die sich hier im Kulturbahnhof unter | |
die jüngeren Besucher:innen des Forums gemischt haben. Der Kampf gegen | |
Nazis muss ja nicht auch gleich die Laune verderben, das zeigt auch die | |
„Oma“ Gabriele Wölke-Rebhan, die auf der Bühne von ihrem Einsatz in Erfurt | |
erzählt. | |
Bei den Demos trifft sie gelegentlich auch auf Teilnehmer:innen der | |
Antifa. „Anfangs hatte ich da auch eine leichte Berührungsangst. Da laufen | |
dann so wilde, schwarz gekleidete junge Leute um mich rum“, sagt | |
Wölke-Rebhan. Aber als sie vor einigen Jahren am Rande eines | |
Höcke-Auftritts nicht wusste, wer für und wer gegen den AfD-Politiker | |
demonstriert, habe sie sich einfach zur Antifa gestellt. „Da wusste ich, | |
das sind die Richtigen.“ | |
Über den Tag hinweg zeichnet sich langsam ab, was die Zivilgesellschaft in | |
Thüringen braucht: unermüdliches Engagement, Humor – und vielleicht auch | |
ungewöhnliche Allianzen: Wölke-Rebhan erinnert sich an eine Kundgebung am | |
1. Mai, wo die Omas (und Opas) gegen Rechts auf einmal auch körperlich | |
bedrängt wurden. Da seien junge Leute von der Antifa gekommen und hätten | |
gefragt, ob sie helfen können. „Das muss man sich mal vorstellen: Das hat | |
noch nie jemand anderes gemacht.“ | |
Diese Mischung aus verschiedenen Initiativen macht dann vielleicht noch | |
keine undurchlässige „Brandmauer“, bietet keine absolute Sicherheit gegen | |
den politischen Gegner. Aber sie zeigt, dass es ein anderes, ein wehrhaftes | |
Thüringen gibt. | |
Die [5][taz Panter Foren] sind ein Kooperationsprojekt der taz-Redaktion | |
und der [6][taz Panter Stiftung]. | |
24 Jun 2024 | |
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## AUTOREN | |
Leon Holly | |
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