| # taz.de -- Queer in Thüringen: „Gleich kommt ein Spruch“ | |
| > In Thüringen sind in den letzten Jahren unter Rot-rot-grün viele queere | |
| > Initiativen entstanden. Viel wäre noch zu tun. Was kommt nach der Wahl? | |
| Bild: In welcher Form es das Queere Zentrum in Erfurt weiterhin geben wird, ist… | |
| Erfurt/taz | Eifriges Gewusel im queeren Zentrum Erfurt. Während die ersten | |
| Besucher:innen eintreffen, laufen noch die letzten Vorbereitungen. Der | |
| Reis ist alle! Es muss noch eingekauft werden, damit später alle mitessen | |
| können beim Begegnungscafé, das hier zwei Mal im Monat stattfindet. | |
| Es ist Juli, noch ein paar Wochen bis zur Landtagswahl. Sina sitzt auf | |
| einer Couch neben der kleinen queeren Bibliothek und lächelt: „Ich bin neu | |
| hier, aber alle sind sehr freundlich“, sagt er. Sina kam im Oktober letzten | |
| Jahres nach Thüringen. In Jena, wo er lebt, habe er sich einsam gefühlt. | |
| Doch im queeren Zentrum Erfurt habe er eine Gemeinschaft gefunden. | |
| Eine weitere Besucherin des Lesecafés ist Sam. Beide wollen nur mit ihrem | |
| Vornamen genannt werden. Sam ist Erzieherin an einer Gesamtschule und | |
| erzählt, welchen Stellenwert das queere Zentrum für sie hat: „Ich bin 35 | |
| Jahre alt und habe hier viel über mich selbst gelernt.“ Aber auch für | |
| Jugendliche, die überlegten, ob sie vielleicht queer seien, wäre das | |
| Zentrum wichtig: „Bei queeren Orten geht auch viel darum, mal nicht zu | |
| besprechen, was man ist, sondern man selbst sein zu dürfen.“ | |
| Doch ob und in welcher Form es das queere Zentrum in Erfurt weiterhin geben | |
| wird, ist ungewiss. Das Zentrum wird aus Mitteln der thüringischen | |
| Staatskanzlei finanziert. | |
| ## „Gleich kommt ein Spruch“ | |
| Luna Karsubke ist die Koordinatorin des Queeren Zentrums Erfurt. Sie | |
| berichtet von Alltagsdiskriminierung, die sie als trans Frau erlebt. „Wenn | |
| ich durch die Innenstadt laufe, gibt es jetzt eine Tendenz in zwei | |
| Richtungen, und die wird immer deutlicher. Früher war es Indifferenz. | |
| Mittlerweile gebe es wohlgesonnene Menschen, die immer akzeptierender | |
| werden. „Und auf der anderen Seite die Menschen, die mich hassend | |
| anblicken. Wo man weiß, aus der Gruppe kommt gleich mindestens ein Spruch.“ | |
| Karsubke beobachtet: „Erkennbare Neonazis sind im Stadtbild akzeptierter | |
| als queere Menschen.“ | |
| Dabei hat es in den vergangenen Jahren durchaus Fortschritte gegeben: Auch | |
| im ländlichen Raum sind viele queere Initiativen entstanden, etwa ein | |
| queerer Stammtisch in Nordhausen, der sich neu gegründet hat. | |
| Und auch landespolitisch hat sich etwas getan: Seit 2018 gibt es [1][das | |
| Landesprogramm Akzeptanz und Vielfalt], für die Unterstützung queeren | |
| Lebens und die Bekämpfung von Diskriminierung. Bisher wurde es aber nur in | |
| Teilen umgesetzt. Laura Wahl, queerpolitische Sprecherin der Grünen, die | |
| Teil der Landesregierung sind, hat im Landtag eine kleine Anfrage zur | |
| Umsetzung des Programms gestellt. Die Antwort der Regierung: Bisher wurden | |
| von 228 Maßnahmen 91 umgesetzt, weitere befänden sich „in Umsetzung“. Dazu | |
| zählt die Eröffnung des Queeren Zentrums 2021 sowie die Einrichtung einer | |
| Koordinierungsstelle für LSBTIQ* (Lesben, Schwule, bisexuelle, trans- und | |
| intergeschlechtliche und queere Menschen). Schutzräume für von Gewalt | |
| betroffene oder bedrohte LSBTIQ* Personen und auch mobile Beratungsangebote | |
| für den ländlichen Raum sind bisher nicht vorhanden. | |
| Die Staatskanzlei erklärt, dass beim Thema geschlechtliche Vielfalt das | |
| Bewusstsein als Querschnittsthema fehle. Laura Wahl vermutet auch | |
| mangelnden politischen Willen, um zum Beispiel die Koordinierungsstelle | |
| besser auszustatten. „Das Thema Queerpolitik spielt in Thüringen, wenn | |
| überhaupt, eine Nischenrolle im Landtag“, sagt die Grünen-Politikerin der | |
| taz. Man sei „leider fast schon froh, wenn es nicht für Kulturkampf“ | |
| missbraucht werde. | |
| ## Manche Angebote sind nicht erwünscht | |
| In der LSBTIQ*-Koordinierungsstelle für Thüringen arbeitet Matthias Gothe. | |
| Die Umsetzung des Maßnahmenkatalogs sei eine „Mammutaufgabe“, die eine | |
| Zusammenarbeit mit vielen lokalen Akteuren erfordere, sagt Gothe. Doch in | |
| der Koordinierungsstelle arbeiten nur drei Personen mit Teilzeitstellen, | |
| die sich zunächst durch das Behördendickicht kämpfen müssen. In den | |
| Ministerien und in den lokalen Ämtern sei oft nicht klar, wer für queere | |
| Angelegenheiten zuständig sei, das Team der Koordinierungsstelle müsse | |
| oftmals „das Organigramm einmal durchtelefonieren“, berichtet Gothe. | |
| Gleichstellungsbeauftragte seien gesetzlich nur für die Gleichstellung von | |
| Mann und Frau zuständig und deswegen nicht direkt für queere Themen | |
| ansprechbar. | |
| Die Reaktion der Behörden sei unterschiedlich. Sie reiche von unterstützend | |
| „bis hin zu einzelnen Fällen, in denen uns klargemacht worden ist, dass an | |
| dieser Stelle keine Umsetzung gewünscht ist,“ so Gothe. Das sei unter | |
| anderem bei einem Jugendamt im ländlichen Raum der Fall gewesen, wo ein | |
| Sozialarbeiter Angebote zu queeren Themen machen wollte. | |
| Luna Karsubke von Queeren Zentrum Erfurt kritisiert, dass queere | |
| Diskriminierung „ziemlich unsichtbar“ sei. Anders als in anderen | |
| Bundesländern wie Berlin gibt es keine zentrale Stelle, die | |
| Diskriminierungsfälle erfasst. In Thüringen erfasst die Beratungsstelle | |
| [2][ezra zwar Fälle von rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt]. | |
| Beleidigungen und andere Formen der Diskriminierung werden jedoch nicht | |
| erfasst. | |
| Im Jahr 2023 zählte ezra sechs Fälle queerfeindlicher Gewalt, drei | |
| Bedrohungen und drei Körperverletzungen. Bei ezra geht man aber von einer | |
| hohen Dunkelziffer aus. „Ich glaube, viele Leute wissen nicht, dass wir als | |
| Beratungsstelle für Betroffene rechter Gewalt auch für Queerfeindlichkeit | |
| zuständig sind und auch in diesem Feld Beratung und Unterstützung | |
| anbieten“, so Theresa Lauß von ezra. Außerdem sei in Thüringen, vor allem | |
| auf dem Land, die Anzeigebereitschaft unter Betroffenen gering. „Vorfälle | |
| wie Anfeindungen und Beleidigungen sind alltäglich“, so Lauß. | |
| Blick auf die Landtagswahl | |
| Und nach der Landtagswahl? Hört man sich in der queeren Szene um, hört man | |
| immer wieder Menschen, die darüber nachdenken, Thüringen zu verlassen. Das | |
| sei „traurig, aber nachvollziehbar“, sagt auch Theresa Lauß von der | |
| Beratungsstelle ezra. | |
| Luna Karsubke vom Queeren Zentrum hat bereits einen „Notfallplan“. Sie | |
| würde Thüringen möglichst schnell verlassen, wenn die gesellschaftliche | |
| Stimmung kippe. „Ich bin die Projektkoordination im Queeren Zentrum. Ich | |
| weiß, dass mich das in besonderem Maße angreifbar macht.“ Trotzdem will sie | |
| sich weiter öffentlich einmischen. „Wir haben nicht erst durch die | |
| Landtagswahlen eine unsichere Lage, in der die wenigsten queeren Menschen | |
| sich akzeptiert genug fühlen, um mit Klarnamen und ihrem Gesicht | |
| aufzutauchen. Und dann leihe ich diesen Leuten mein Gesicht, meine Stimme, | |
| denn ich bin eine der sichtbaren Personen.“ | |
| Auch bei der LSBTIQ*-Koordinierungsstelle versucht Matthias Gothe, „nicht | |
| komplett pessimistisch“ zu werden. Gothe sagt aber auch: „Wir machen uns | |
| große Sorgen“, vor allem im Hinblick auf rechte Parteien. Die letzten Jahre | |
| hätten gezeigt, [3][wie viel Potential es in Thüringen gebe,] wie viele | |
| queere Orte und Initiativen entstanden seien. Aber die Unsicherheit beim | |
| Blick auf die Landtagswahlen, die koste „sehr viel Kraft.“ | |
| 31 Aug 2024 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://thueringen.de/arbeitsfelder/akzeptanz-und-vielfalt | |
| [2] /Rechte-Gewalt-in-Thueringen/!6033323 | |
| [3] /Queeres-Leben-in-Thueringen/!6020626 | |
| ## AUTOREN | |
| Alexandra Kehm | |
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