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# taz.de -- Psychotherapie für trans Personen: Abgeschmetterte Gefühle
> Für geschlechtsangleichende Maßnahmen müssen trans Personen eine Therapie
> machen. Dabei erfahren sie oft Diskriminierung durch Therapeut*innen.
Bild: Auf vielen Demonstrationen, wie hier am Internationalen Frauentag in Ovie…
Tom* ist 17, als er in psychiatrische Behandlung muss, weil er sich selbst
verletzt. Er kommt auf die Kinder- und Jugendstation einer Tagesklinik in
Ostdeutschland. Tom trägt zu diesem Zeitpunkt noch einen anderen Namen.
Einen für Mädchen, den ihm seine Eltern bei seiner Geburt gegeben haben.
Doch Tom fühlt sich als Junge, seit er zwölf Jahre alt ist. Während seiner
Pubertät verstärkt sich das Gefühl, nicht richtig in den eigenen Körper zu
passen.
In der Klinik habe er schon früh gesagt, dass er sich als Junge besser
fühlen würde, gerne Tom genannt werden möchte, so erzählt er es neun Jahre
später der taz. Die Therapeutin habe seine Bitte ignoriert. Und dann mit
einer Antwort reagiert, die sich in sein Gedächtnis einbrennt: Sein Drang
zum männlichen Geschlecht wirke sehr sexistisch, als hätte er einen großen
Hass auf Frauen. Ob sein Problem mit Frauen etwas mit seinem schwierigen
Verhältnis zu seiner Mutter zu tun hätte, habe ihn die Therapeutin gefragt.
Das Klinikpersonal habe weiter seinen alten Namen genutzt. „Entweder hat
meine Therapeutin mit niemandem darüber geredet, dass ich trans bin, oder
sie hat darüber geredet und es war allen kollektiv egal“, mutmaßt er. Die
Klinik habe dem 17-Jährigen eine seltene Persönlichkeitsstörung
diagnostiziert und ihm erklärt, dass er sich infolgedessen seine
Geschlechtsidentität ausdenke. So, als sei seine Identität eine Reaktion
auf das Trauma. „Mein Gefühl, ein Junge zu sein, wurde in der Klinik
einfach abgeschmettert“, sagt Tom heute.
In der Psychotherapie sind trans Personen oft in einer besonders prekären
Situation: Um geschlechtsangleichende Maßnahmen von den Krankenkassen
bewilligt zu bekommen, müssen sie eine Therapie machen. Die
Patient*innen sind auf ihre Therapeut*innen angewiesen, um weitere
Behandlungen wahrnehmen zu können. Umfassende Studien zu den Erfahrungen
von trans Personen in der Psychotherapie gibt es nicht. Aber Betroffene,
Therapeut*innen und Ärzt*innen berichten: [1][Diskriminierung von
trans Personen] in Psychiatrien und Psychotherapiepraxen ist gängig.
Betroffene tauschen sich im Netz aus – in öffentliche Foren und Räumen, zu
denen nur Eingeladene Zugriff haben. Der Zugang zu ihnen wird durch
Mund-zu-Mund-Propaganda weitergegeben. Hier berichten Therapiesuchende von
ihren Erlebnissen – guten und schlechten. Eine trans Frau erzählt etwa, ein
Therapeut habe sie bei ihrem zweiten Termin gefragt, ob es sie errege,
Frauenkleider zu tragen. Zudem habe er ihr herablassende Fragen zu ihren
Genitalien gestellt.
## „Transidentität ist keine psychische Erkrankung“
Sven Lehmann, der Queerbeauftragte der Bundesregierung, erklärte gegenüber
der Krankenkasse AOK: „LSBTIQ* können nicht sicher sein, dass ihnen in
Praxen oder Krankenhäusern vorurteilsfrei begegnet wird.“
Dabei dürfte eigentlich längst nicht mehr vorkommen, was Tom passiert ist:
„Stand der Wissenschaft ist, dass Transidentität keine psychische
Erkrankung ist“, erklärt Sabine Maur, Vizevorsitzende der
Bundespsychotherapeutenkammer. Zwar gebe es in der Psychotherapie eine
jahrzehntelange Geschichte der Pathologisierung von Homosexualität und
Transidentität. „Modelle, die eine psychologische Ursache für
Transidentität und Homosexualität suchen, sind aber schlicht falsch“, so
Maur.
Erst wenn aus dem Gefühl, einem anderen Geschlecht zugehörig zu sein,
Leidensdruck entsteht, ist das ein medizinisches Problem.
Geschlechtsdysphorie heißt das in der Fachsprache. Zu ihrer Behandlung hat
eine Expertenkommission Leitlinien erarbeitet. „Wenn Transidentität
diagnostiziert wurde, empfiehlt die Leitlinie, auf Augenhöhe mit Patienten
zusammen zu entscheiden, was der beste Weg für diese Person ist“, erklärt
Sabine Maur. Psychotherapie komme als unterstützende Maßnahme infrage –
aber nie mit dem Ziel, Menschen ihre Identität auszureden. Seit 2018 gilt
die Leitlinie für Erwachsene.
Für trans Kinder und Jugendliche wurde 2024 eine neue Leitlinie
vorgestellt. In Kraft getreten ist sie aber noch nicht. Hauptanliegen des
Entwurfs sei, die Jugendlichen bei ihrer Selbstfindung und bei der Abwägung
von medizinischen Maßnahmen gemeinsam mit ihren Eltern zu unterstützen,
sagt Dagmar Pauli, Chefärztin der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie
und Psychotherapie an der psychiatrischen Universitätsklinik Zürich. Wie
Sabine Maur hat auch sie an der Leitlinie gearbeitet.
Doch der Entwurf wurde öffentlich scharf kritisiert. Der Bundesärztetag
forderte in einem Beschluss, trans Jugendliche nur im Rahmen von
medizinischen Studien [2][mit Pubertätsblockern zu versorgen] und wendete
sich damit gegen eine der wichtigsten Empfehlungen der neuen Leitlinie. Die
Begründung des Bundesärztetages: Die Beweislage zeige, dass
Pubertätsblocker und andere geschlechtsangleichende Maßnahmen die
Beschwerden von Minderjährigen nicht verbessern würden.
## Gesellschaftliche Kräfte haben sich auf trans Menschen eingeschossen
Die Deutsche Gesellschaft für Trans*- und Inter*geschlechtlichkeit
kritisierte die Beschlüsse. Sie seien „der politisch motivierte und
fachlich irreführende Versuch“, der Veröffentlichung der neuen Leitlinie
zuvorzukommen. Der Verband verweist seinerseits auf Studien, die eine
Besserung der psychischen Gesundheit unter Einsatz der Medikamente belegen.
Auch Sabine Maur hat kein Verständnis für die Debatte: In der Fachwelt gebe
es eigentlich keine Differenz. Die Leitlinie sei über sieben Jahre von 26
Fachgesellschaften erarbeitet worden. „Unsachgemäße Kritik kommt vor allem
von Menschen, die mit diesem Fachgebiet überhaupt nichts zu tun haben“, so
Maur. „Ich kann mir das nur so erklären, dass bestimmte gesellschaftliche
Kräfte sich auf trans Menschen eingeschossen haben.“
Tom verließ damals die Tagesklinik nach der Mindestaufenthaltsdauer von
drei Monaten wieder. Besser sei es ihm nicht gegangen, sogar schlechter. Er
habe immer daran denken müssen, was seine Therapeutin ihm gesagt habe: Dass
er Frauen hassen würde, wenn er trans ist. Wenig später versucht er, sich
das Leben zu nehmen. An seinem 18. Geburtstag wird er deshalb im selben
Krankenhaus aufgenommen, allerdings auf einer anderen Station. „Da habe ich
nicht erwähnt, dass ich trans bin, für meine eigene Sicherheit“, erinnert
sich Tom. Erst mit 21, drei Jahre und mehrere Therapien später, beschließt
Tom endgültig, dass er Tom ist. Er beginnt, Hormone zu nehmen und [3][outet
sich als trans].
Seine Erlebnisse aus der Klinik möchte Tom anderen jungen Menschen gerne
ersparen. Er spielt schon lange mit dem Gedanken, eine Beschwerde gegen
seine ehemalige Therapeutin einzureichen. Patient*innen können der für
alle neuen Bundesländer zuständigen Ostdeutschen Psychotherapeutenkammer in
einem Formular ihre Erlebnisse schildern, daraufhin bittet die Kammer
den*die betroffene*n Psychotherapeut*in um Stellungnahme. Dann
entscheidet sie, ob der*die Therapeut*in gegen die Berufsordnung
verstoßen hat. Diese schreibt in Ostdeutschland unter anderem vor, dass
Psychotherapeut*innen die Würde und das Selbstbestimmungsrecht ihrer
Patient*innen unabhängig von Geschlecht und sexueller Orientierung
achten müssen.
„Wenn nachweislich eine falsche Verhaltensweise des Therapeuten besteht,
dann können wir rechtlich prüfen“, sagt Gregor Peikert, Präsident der
Ostdeutschen Psychotherapeutenkammer. „Wenn es aber nur einzelne Äußerungen
sind, die jemand als diskriminierend empfindet, dann würde ein
berufsrechtliches Verfahren nicht greifen.“ In therapeutischen Beziehungen
komme es vor, dass Erwartungen der Patient*innen enttäuscht und
negative Emotionen ausgelöst würden. Diskriminierende Aussagen und normale
Konflikte seien im Einzelfall nur schwer auseinanderzuhalten, glaubt
Peikert. Maßnahmen seien nur möglich, wenn es Beweise für ein Fehlverhalten
gebe: „Wenn Wort gegen Wort steht, müssen wir das Verfahren einstellen.“
Die Beweislast liegt bei den Betroffenen.
## Verbesserungspotenzial im Beschwerdeverfahren
„Es passiert viel, das überhaupt nicht in Ordnung ist, den Kollegen aber
nicht nachgewiesen werden kann“, sagt eine Therapeutin, die Beschwerden in
einer Psychotherapeutenkammer bearbeitet. Im Text will sie anonym bleiben,
ihr Name ist der Redaktion bekannt. Der Ausgang von Beschwerdeverfahren
hänge von den Personen ab, die sie bearbeiten. Davon, wie diese Menschen
die Berufsordnung auslegen. „Aus gutem Grund müssen handfeste Beweise
vorliegen, bevor rechtliche Schritte gegen einen Kollegen eingeleitet
werden“, findet die Therapeutin. „Aber dadurch fällt eben auch viel durchs
Raster.“
„Die Beschwerdeverfahren sind in erster Linie berufsrechtliche Verfahren“,
erklärt die Therapeutin weiter. Sie sind also nicht für Betroffene gemacht,
sondern vor allem ein juristisches Werkzeug, um schwere Verstöße zu ahnden.
„Es bräuchte aber eine Stelle, die die Erlebnisse von Patienten einordnet,
sie dabei unterstützt, ihre eigene Position zu vertreten.“
Auch Sabine Maur sieht Verbesserungspotenzial: „Die Kammern müssen besser
darin werden, transparent zu kommunizieren, dass man sich überhaupt bei
ihnen beschweren kann.“ Für diejenigen, die sich für eine Beschwerde
entscheiden, wünscht sie sich zudem Beratungsangebote.
Manche Kammern haben bereits solche Angebote eingerichtet. In Berlin,
Bremen und Rheinland-Pfalz etwa können sich Patient*innen unabhängig
von einem Beschwerdeverfahren beraten lassen. Die Ostdeutsche
Psychotherapeutenkammer hat eine solche Stelle nicht. Die Verfahren rund um
die Beschwerde zu ändern, das sei auch nicht geplant, so Präsident Peikert:
„Bis jetzt funktioniert das Verfahren gut.“ Hochgerechnet auf die vielen
Mitglieder der Kammer gebe es sehr wenige Beschwerdefälle.
Tom will eine Beschwerde einreichen, wenn er sich emotional bereit fühlt.
Besonders der Vorwurf seiner Therapeutin, dass er Frauen hasse, verfolgt
ihn noch immer. „Ich möchte verstehen, was da im Kopf der Therapeutin
vorgegangen ist, was sie zu diesem Urteil gebracht hat“, sagt er.
Tom hat seinen Suizidversuch überlebt. Seit er vor drei Jahren begonnen
hat, Hormone zu nehmen, geht es ihm besser. Die [4][rechtliche Änderung
seines Namens] und seines Geschlechts hat er schon beantragt. Mittlerweile
hat er einen Therapeuten gefunden, bei dem er sich wohl fühlt, sagt Tom. Es
ist sein vierter. Aber der erste, der ihn Tom nennt.
*Tom heißt eigentlich anders, aber möchte in diesem Text Tom genannt
werden. Sein echter Name ist der Redaktion bekannt.
5 Oct 2024
## LINKS
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[2] /Umgang-mit-Trans-Menschen/!5997826
[3] /Sensibilisierung-fuer-den-Alltag/!5916083
[4] /Selbstbestimmungsgesetz/!6029062
## AUTOREN
Niklas Pfeiffer
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