| # taz.de -- Weiterbildung von Psychotherapeutinnen: Kein Geld für die Seele | |
| > Für die Weiterbildung von Psychotherapeutinnen fehlt es an Geld. Wenn | |
| > sich nichts ändert, könnte 2030 die erste Generation fehlen. | |
| Bild: Psychotherapeut:innen demonstrieren im Juni für eine Finanzierung der We… | |
| Wer einfach nicht mehr kann, kann zur Psychotherapeutin gehen. Egal, ob man | |
| sich vor Angst nicht mehr auf die Straße traut, sich immer wieder in die | |
| gleiche unglückliche Beziehung reinmanövriert, oder einfach keine Kraft | |
| mehr findet, aus dem Bett zu steigen. Wenn aber die Ampel ihre Lähmung | |
| nicht bald abschüttelt, könnte es in einer Zeit, in der immer mehr Menschen | |
| und besonders Kinder psychologische Hilfe suchen, bald nicht nur an | |
| Kassensitzen, sondern auch an Therapeutinnen fehlen. | |
| Der drohende Rückschritt wurde durch einen Fortschritt eingeleitet. Früher | |
| bekam man in der Ausbildung so wenig Vergütung, dass Therapeutin eigentlich | |
| nur werden konnte, wer entweder Geld hatte oder bereit war, einen dicken | |
| Kredit aufzunehmen. Um dieses Problem zu lösen, [1][ist 2020 das neue | |
| Psychotherapeutinnengesetz in Kraft getreten]. Damit wurde bundesweit ein | |
| eigener Master-Studiengang für Psychotherapie eingerichtet, in dem | |
| Verfahren von der Verhaltenstherapie bis zur Psychoanalyse gelehrt werden | |
| müssen. An dessen Ende erhalten die Studierenden anders als vorher bereits | |
| eine Arbeitserlaubnis. | |
| Um als selbstständige Psychotherapeutin Kassenpatienten abrechnen zu | |
| dürfen, müssen die Absolventinnen nach dem Master aber nach wie vor eine – | |
| mit der Reform auf fünf Jahre festgelegte – Weiterbildung machen. Laut dem | |
| neuen Gesetz müssen sie während dieser Zeit nach dem E-14 Tarif bezahlt | |
| werden, so wie Medizinerinnen während ihrer Facharztweiterbildung auch. Das | |
| Problem: [2][Wo das Geld herkommen soll, ist gesetzlich nicht geregelt]. | |
| „Wir können auf der bisher vorgesehenen Finanzierungsgrundlage der neuen | |
| Reform niemanden mehr weiterbilden“, warnt Günter Ruggaber, Geschäftsführer | |
| der Deutschen Gesellschaft für Verhaltenstherapie (DGVT). Die Institute, | |
| die bisher für die Ausbildung zuständig waren, stecken in der Zwickmühle. | |
| Auf der einen Seite sind sie jetzt gesetzlich dazu verpflichtet, den | |
| Weiterzubildenden ein angemessenes Gehalt zu zahlen, auf der anderen Seite | |
| nehmen die Weiterzubildenden mit ihrer Arbeit selbst nicht genug ein, damit | |
| die Institute sowohl ihr Gehalt als auch die Kosten ihrer Ausbildung decken | |
| können. | |
| ## Behandlung nicht in Vollzeit möglich | |
| Laut einer Berechnung der Bundesarbeitsgemeinschaft der | |
| Ausbildungsträgerverbände (BAG) müssten die Krankenkassen den Instituten | |
| pro Behandlungsstunde etwa dreißig Euro mehr zahlen als üblich, um die | |
| Finanzierungslücke zu schließen. Auf den Druck der Institute und | |
| Studierenden hin hat es bereits eine Änderung an dem neuen | |
| Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz (GVSG) gegeben. | |
| Die Institute sollen jetzt mit den Krankenkassen über die Vergütung | |
| verhandeln können. Dabei legt das Gesetz aber bisher fest, dass nur | |
| Leistungen, die direkt gegenüber den Versicherten erbracht werden, von den | |
| Krankenkassen bezahlt werden sollen. | |
| Wer die Ausbildung der Weiterzubildenden bezahlen soll, bleibt damit | |
| weiterhin offen. Denn im Unterschied zu Medizinerinnen können angehende | |
| Psychotherapeutinnen nicht in Vollzeit Patientinnen behandeln. Zur | |
| Weiterbildung gehören je nach Fachausrichtung mehrere Hundert Stunden | |
| Selbsterfahrung, Supervision und Theorievermittlung, in denen die | |
| Kandidatinnen sich auch mit ihrem eigenen Seelenleben auseinandersetzen. | |
| Das ist vor allem für die Patientinnen wichtig. Wer sich mit seinen ganzen | |
| Ängsten in die Hände einer Therapeutin gibt, muss sicher sein können, | |
| [3][dass die Therapeutin die eigenen Probleme nicht mit in die Therapie | |
| trägt]. Nicht nur, weil die Behandlung sonst nicht funktionieren kann, | |
| sondern auch, weil man sich in einer Therapie einem enormen Machtgefälle | |
| aussetzt. | |
| ## Warnung vor Kommerzialisierung | |
| Rupert Martin, Sprecher der BAG, warnt deshalb eindringlich davor, die | |
| Institute in eine Kommerzialisierung hineinzudrängen. Die Gefahr besteht, | |
| dass angesichts der fehlenden Finanzierung Kürzungen bei den Inhalten der | |
| Weiterbildung gemacht werden. Befugt wäre dazu nur der Deutsche | |
| Psychotherapeutentag (DPT: die Versammlung aus den Psychotherapeutenkammern | |
| der Länder), und der schließt diese Möglichkeit bislang aus. | |
| Aber das Schweigen der Regierung zur fehlenden Finanzierung kann durchaus | |
| als Druck aufgefasst werden, die Weiterbildung billiger zu gestalten. | |
| Martin fordert daher, gesetzlich festzuhalten, dass „alle Leistungen, die | |
| die Musterweiterbildungsverordnung vorsieht, bei der Kostenberechnung mit | |
| einbezogen werden“. | |
| Felix Kiunke ist einer der ersten Absolventen des neuen Masterstudiengangs. | |
| Bereits letztes Jahr [4][hat er eine Petition mit über 70.000 | |
| Unterschriften] an den Bundestag gerichtet. Gerade weil er fürchtet, dass | |
| die Qualität der Ausbildung leiden könnte, fordert auch er neben dem | |
| garantierten Tarif-Gehalt, dass alle Bestandteile der Weiterbildung, die | |
| der DPT festgelegt hat, finanziert werden. Größer ist bei den Studierenden | |
| aber noch die Sorge, dass die Weiterbildungsordnung zwar aufrechterhalten, | |
| die Kosten der Selbsterfahrung und Supervision aber wieder auf sie | |
| abgewälzt werden. | |
| ## 2030 könnte Generation fehlen | |
| Es besteht auch die Gefahr, dass im Falle einer Finanzierung Geld in | |
| private Taschen fließen könnte, denn einige der Ausbildungsstätten sind in | |
| privater Hand. Allerdings könnte der Gesetzgeber natürlich ausschließen, | |
| dass mit der Weiterbildung Profite erwirtschaftet werden, indem er zum | |
| Beispiel die Rechtsform der Institute festschreibt. So könnte er | |
| garantieren, dass alle Einnahmen an die Weiterzubildenden oder in die | |
| Weiterbildung selbst hineinfließen. | |
| Nächstes Jahr beginnt der letzte Jahrgang seine Ausbildung nach der alten | |
| Regelung. Wenn die Institute danach keine neuen Kandidatinnen mehr nehmen, | |
| wird bereits 2030 die erste Generation an Psychotherapeutinnen fehlen. Der | |
| fehlende Nachwuchs würde sich aber schon lange vorher bemerkbar machen, | |
| denn die Auszubildenden decken selbst einen wichtigen Teil des | |
| Versorgungsbedarfs ab. | |
| ## „Natürlich sind wir wütend“ | |
| „Natürlich sind wir wütend“, sagt Kiunke der taz. „Vor allem, weil das | |
| Problem seit mehr als fünf Jahren bekannt ist und jetzt ist es akut und wir | |
| haben immer noch keine Lösung.“ Wütend ist auch Lena Glade, Sprecherin des | |
| Forums Psychotherapeut*innen in Weiterbildung (PtW): „Bei uns löst | |
| die fehlende Regelung richtige Zukunftsängste aus.“ Zu Beginn ihres | |
| Studiums hatten sie nicht erwartet, am Ende vor verschlossenen Türen zu | |
| stehen. Jetzt haben sie einen Abschluss in der Hand, der ihnen überhaupt | |
| nichts bringt. | |
| Außer der AfD, deren gesundheitspolitischer Sprecher Sichert Martin eher | |
| davon ausgeht, dass der Bedarf an Psychotherapie bereits gedeckt sei, | |
| scheinen die Parteien das Problem ernst zu nehmen. Tino Sorge, | |
| gesundheitspolitischer Sprecher der CDU, mahnt: „Die offenen Fragen zur | |
| Finanzierung dürfen nicht zu einer faktischen Zugangsbeschränkung zur | |
| Versorgung werden.“ Und Kirsten Kappert-Gonther von den Grünen besteht der | |
| taz gegenüber sogar darauf, dass „Psychotherapeut*innen nicht selbst die | |
| Kosten für Theorie, Selbsterfahrung und Supervision tragen müssen“. | |
| Aber der Koalitionspartner, auf den es ankommt, gibt sich weiterhin | |
| unkonkret. Dirk Heidenblut, der zuständige Abgeordnete der SPD, meint zwar, | |
| dass auch Zeit, die für Weiterbildung benötigt wird, bezahlt werden soll. | |
| „Die konkreten Kosten etwa für Supervision sollen aber nicht von den Kassen | |
| übernommen werden.“ Von wem dann? Eine Beteiligung der Länder wäre denkbar, | |
| sagt Heidenblut. | |
| Am 16. Oktober haben Kiunke und Glade wieder vor dem Bundestag | |
| demonstriert. Ab nächstem Jahr werden jährlich etwa 2.000 neue | |
| Absolventinnen des Masters erwartet, die dann in genau derselben Situation | |
| sein werden, wie die beiden. Kiunke arbeitet übergangsweise in einem | |
| Bürojob. Glade hat ein Freisemester genommen. „So wie es aussieht, kann ich | |
| eh noch keine Weiterbildung machen, wenn ich fertig bin“, sagt sie | |
| frustriert. | |
| 17 Oct 2024 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Studiengang-Psychotherapie/!5577174 | |
| [2] /Ausbildung-von-Psychotherapeuten/!5950840 | |
| [3] /Psychotherapie/!5139357 | |
| [4] https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2023/kw27-pa-petitionen-46-si… | |
| ## AUTOREN | |
| Hanno Rehlinger | |
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