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# taz.de -- „Wanna See Wannsee?“: Noch gibt es Hoffnung
> Einst war es das modernste Binnenfreibad Europas, heute ist es im Verfall
> begriffen. Eine Ausstellung entwirft neue Visionen für das Strandbad
> Wannsee.
Bild: Wer den Blick vom Wannsee abwendet, bekommt Rostiges zu Gesicht
Weit, hell und glitzernd erscheint alles, wenn der Blick vom Strandbad
Wannsee über das Wasser gleitet und die nackten Zehen im Sand versinken.
Hier fällt es leicht, den Berliner Großstadtstress hinter sich zu lassen.
Aber nur, solange der Blick nicht in die andere Richtung geht, weg vom
Wannsee. Denn da ist es düster, rostig und trist. Jedenfalls für alle, die
in der Nähe der Schatten spendenden Trauerweiden auf der linken Seite des
Strandes sitzen.
Dort steht das denkmalgeschützte Gebäude des 1930 eröffneten und seit über
40 Jahren geschlossenen Lido-Restaurants. Oder besser gesagt, das, was
davon übrig ist. Noch etwa fünf Jahre, dann sei das Gebäude wohl „nicht
mehr zu retten“, sagt der Darmstädter Architektur-Professor Carsten
Gerhards vergangenen Freitagabend vor Pressevertretern im hufeisenförmig
geschwungenen Innenraum des Restaurants.
Hier blättert der Putz von den Wänden. Quadratmetergroße Löcher klaffen in
den Decken, an mehreren Stellen sind Wasserflecken sichtbar.
Auf diese Zustände macht jetzt die Ausstellung „Wanna See Wannsee“
aufmerksam. Mit einem Blick in eine mögliche Zukunft. Samstag wurde sie auf
der verwitterten Terrasse des Lido-Restaurants eröffnet. Studenten der TU
Darmstadt haben auf gut zwei Dutzend Bannern ihre Visionen für eine
Neunutzung von Teilen des ikonischen Strandbads als Lern- und
Ausbildungsort festgehalten.
Ort der Begegnung für Lernende und Gäste
Die Ideen reichen vom Umbau der Umkleiden in eine Bibliothek, zur Nutzung
leer stehender Räume als Werkstätten und Übernachtungsmöglichkeiten. Und
die Entwicklung des alten Lido-Restaurants in einen Ort der Begegnung für
Lernende und ihre Gäste. Befestigt sind die Ideen-Banner an einem
Stahlgerippe, das einst dem zeittypisch schlichten Wandelgang die nötige
Stabilität verlieh, der die gesamte Terrasse umgab.
Über allem aber schwebt die große Idee, das Strandbad Wannsee, dieses
Wahrzeichen Berlins, vor dem Verfall zu bewahren. Denn das berühmte Bad ist
mehr als nur eine institutionalisierte Badestelle. Schon seit seinen
Anfängen war es immer auch eine soziale Utopie.
[1][Ende der 1920er Jahre erteilte die Stadt Berlin den Architekten Martin
Wagner und Richard Ermisch den Auftrag], einen Entwurf für das Strandbad
Wannsee zu entwickeln. Die flachen, reedgedeckten Holzbauten, die den
Badenden bis dahin zur Verfügung standen, reichten für den Besucheransturm
nicht mehr aus.
1930 dann die Eröffnung: Über 500 Meter lang waren die sonnengelben
Backsteinbauten mit Strandpromenade, Umkleidekabinen, Sanitäranlagen und
großzügigen Treppenanlagen. Schlicht und funktional, ganz [2][im Sinne der
„Neuen Sachlichkeit“] gehalten. Den Abschluss am linken Rand bildete das
Restaurant Lido. Bis zu 2500 Gäste konnten im Restaurant und auf der
angrenzenden Terrasse bewirtet werden.
Populärer Naherholungsort
Es war das damals modernste und größte Binnenfreibad Europas. Und ein
echtes Volksbad. Bis zu anderthalb Millionen Badegäste pro Jahr besuchten
den populären Naherholungsort mit seinem über einem Kilometer langen
Sandstrand zu dieser Zeit.
Der Sozialdemokrat Hermann Clajus, von 1924 bis zur Machtergreifung der
Nationalsozialisten Strandbaddirektor, baute die Idee des Volksbads weiter
aus. Er organisierte Essensausgaben, medizinische Betreuung und Ferienlager
für Kinder aus den Mietskasernen der Arbeiterviertel. Aus Angst vor der
Verfolgung durch die Nazis nahm er sich 1933 das Leben.
Die Millionenmarke haben die jährlichen Besucherzahlen am Wannsee schon
lange nicht mehr geknackt. Inzwischen kommen nur noch um die 170.000 Gäste
pro Jahr. Und die Zahlen sind weiter rückläufig. Der marode Zustand des
Bades spiele hier sicher auch eine Rolle, sagt Steve Kleinschmager, Chef
des heutigen Strandbad Wannsee. Überall bröckelt es und ist nass. Viele
empfänden das Bad deshalb mittlerweile als „dreckig“.
Dabei wurde 2007 bereits saniert. Für 12,5 Millionen wurden die
Treppenanlagen ebenso wie der 480 Meter lange Wandelgang vor dem Strand,
die Hallen und die Umkleidehäuschen weitgehend wiederhergestellt.
Allerdings nicht sachgemäß. Die Sonnendecks und die oberen Wandelgänge
mussten schon wieder gesperrt werden.
Dringender Handlungsbedarf
Die Sanierung des Restaurants Lido wurde damals ausgespart. Zu teuer. Auch
die Suche nach einem privaten Investor war nicht erfolgreich. Da das Bad
abends geschlossen und im Winter komplett dicht ist, fand sich niemand, der
drei Millionen Euro investieren wollte.
Der Berliner Landeskonservator Christoph Rauhut sei bereits da gewesen,
sagt Architekturprofessor Gerhards in seiner Rede an die Eröffnungs-Gäste
von „Wanna See Wannsee“. Dass es dringenden Handlungsbedarf gibt, habe er
wohl erkannt. Nun sei demnächst ein runder Tisch zum Thema geplant.
Es gibt also Hoffnung. Und immerhin noch fünf Jahre Zeit.
5 Sep 2024
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## AUTOREN
Verena Harzer
## TAGS
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