| # taz.de -- taz-Sommerserie „Berlin geht baden“ (3): Sommer, Sonne, Rost un… | |
| > Das Strandbad Wannsee ist an heißen Tagen ein verlässlicher Liebling der | |
| > Massen. Dass die Anlage in die Jahre gekommen ist, wird in Kauf genommen. | |
| Bild: Nicht ohne meinen Sonnenschirm: Das Strandbad Wannsee zieht jedes Jahr Hu… | |
| Berlin taz | Meerflair in Berlin – das geht nur im Strandbad Wannsee. Jedes | |
| Jahr strömen Hunderttausende in das größte Binnenseebad Europas mit seinem | |
| mehr als einen Kilometer langen Sandstrand, und das seit mehr als 100 | |
| Jahren. Zahlreiche Filme wurden hier gedreht, auch Schlager wurden dem | |
| Schwimmparadies schon gewidmet. | |
| „Keine andere Stadt hat so ein Strandbad“, sagt der Kulturhistoriker | |
| Matthias Oloew. Für den Strand- und Freibadkenner ist das Bad am Wannsee | |
| gerade aufgrund seiner Historie besonders. „Das Strandbad Wannsee war das | |
| erste wahre Volksbad“, erklärt er. | |
| Als am 8. Mai 1907 Ernst von Stubenrauch, der Landrat von Teltow – zu dem | |
| das Areal bis zur Eingemeindung nach Berlin 1920 gehörte –, die | |
| Badeverbotsschilder vom Havelufer entfernte, wusste er wohl nichts von der | |
| Revolution, die er gerade losgetreten hatte. | |
| Bis zu diesem Tag war das freie Baden in der Natur verboten und wurde mit | |
| drakonischen Strafen geahndet. Im spießigen Preußen habe es zwar Flussbäder | |
| gegeben, in diesen wurden die Badenden aber durch dicke Trennwände vom Rest | |
| der Bevölkerung abgeriegelt, so Oloew. Auch die Geschlechtertrennung | |
| kontrollierte die preußische Polizei penibel. | |
| ## Baderevolution im Berliner Südwesten | |
| „Es war eine Sensation“, sagt Oloew. „Arbeiterfamilien sammelten sich in | |
| Badeklubs und alles badete durcheinander.“ Wenngleich der „Sittenverfall“ | |
| für konservative Bevölkerungsteile ein Aufreger war, konnte die | |
| Baderevolution nicht gestoppt werden. [1][1929 begann nach Plänen des | |
| Architekten Richard Ermisch und unter der Leitung des sozialdemokratischen | |
| Stadtbaurats Martin Wagner der Bau der Strandbadanlage.] | |
| Auf dem weitläufigen, von Kiefern begrünten Abhang entstand ein besonderer | |
| Gebäudekomplex: vier zweigeschossige Hallen aus Stahl und ockerfarbenen | |
| Ziegeln im Stil der Neuen Sachlichkeit, davor ein weiß überdachter | |
| Wandelgang mit Blick auf den Wannsee. | |
| Bei der Anlage ging es auch und vor allem um das Flanieren und Beobachten | |
| der Menschen unten im Wasser und am Sandstrand. „Sehen und gesehen werden“ | |
| lautete das Motto der Architekten. „Eine bauliche Entsprechung der | |
| Kulturrevolution“, sagt Matthias Oloew. Denn im Volksbad stießen alle | |
| Schichten aufeinander. | |
| Die Badekultur als „klassenüberbrückende Tätigkeit“ stand bei den | |
| Sozialdemokrat*innen der Weimarer Republik hoch im Kurs. Sie sahen | |
| Bäder als Teil der Daseinsvorsorge. Körperliche Betätigung und Hygiene | |
| sollte allen Menschen zustehen, also auch denen, die oft auf engstem Raum | |
| in den Berliner Arbeitervierteln wohnten. In vielen Häusern gab es nicht | |
| einmal fließendes Wasser, sagt Oloew. | |
| ## Besucher*innen aus aller Welt und aus Hannover | |
| Das ist lange her. Trotzdem ist das Strandbad an diesem Werktag gut | |
| besucht: „Am Wochenende ist hier die Hölle los“, erzählt Imbissbetreiber | |
| Andi. Seinen Nachnamen will er nicht in der Zeitung lesen. Seit 35 Jahren | |
| kommen die Badegäste an seiner Imbissbude „Easy Rider“ vorbei, wenn sie vom | |
| S-Bahnhof Nikolassee zum Strandbad spazieren. Die Leute kämen „mit Kind und | |
| Kegel“ und „aus aller Welt“. | |
| Bis vor ungefähr 20 Jahren hätten sich die Strandbadgäste auch noch fast | |
| alle gekannt. Doch das ehemalige Stammpublikum gebe es nicht mehr. „Viele | |
| der Gäste waren ja schon auch antik“, sagt Andi. Inzwischen seien sie | |
| verstorben, andere kamen nach. | |
| Anders als viele andere Berliner Bäder zieht der Wannsee dabei auch | |
| Nicht-Berliner*innen an. Wie den 53-jährigen Peter aus Hannover – auch er | |
| will nur seinen Vornamen nennen –, der mit seiner 13-jährigen Tochter das | |
| Strandbad besucht. Sie sind extra um fünf Uhr morgens in den Zug gestiegen, | |
| um früh schwimmen zu gehen. | |
| Er sei glücklich, sagt Peter auf seinem Badetuch. „Schon als Kind wollte | |
| ich unbedingt mal ins Strandbad Wannsee.“ [2][Und dann war da eben noch | |
| dieser 50er-Jahre-Schlager, „Pack die Badehose ein“ von Conny Froboess, der | |
| hätte ihn auch noch Jahre später fasziniert.] | |
| ## Erinnerungen an die 60er Jahre | |
| Auch die in Kreuzberg aufgewachsene Ulla Klingbeil verbindet die Havel mit | |
| Musik, allerdings mit amerikanischer. Sie hat das Strandbad Wannsee in den | |
| 60er Jahren erlebt – oder besser: die Strandabschnitte daneben. „Damals | |
| konnte sich keiner den Eintritt leisten“, erzählt sie. Denn schon die | |
| Bahnfahrt nach Wannsee habe gekostet. „Nur um aufs Klo zu gehen, haben wir | |
| uns ins Strandbad eingeschlichen.“ | |
| Ab 1961 stand in Berlin die Mauer. Damit musste die Westberliner Jugend auf | |
| Wannsee und Havel ganz schön zusammenrücken. Denn die Zahl der | |
| Schwimmstellen war begrenzt und ein Urlaub für die meisten zu teuer, was | |
| blieb, war der Wannsee. | |
| Ulla Klingbeil sagt: „Die ganzen Playboys ankerten vor dem Strandbad und | |
| legten zwischen den Booten Bretter aus.“ Sie sei natürlich mit dabei | |
| gewesen: „Da wurde getanzt, gerockt, wir waren nicht zu bändigen.“ | |
| Seit den 70er Jahren wohnt Klingbeil selbst in Wannsee. Mit ihren drei | |
| Kindern besuche sie das Strandbad immer wieder: „Inzwischen springen sie | |
| aber lieber vom Tretboot aus ins Wasser“. Andere Anwohner*innen ziehen | |
| die kleinen, kostenlosen Badestellen an der Havel dem an Hitzetagen oft | |
| überfüllten Strandbad vor. | |
| ## Keine Schadensanalyse, kein Plan | |
| Die Besucher*innenzahlen des Bades nahmen in den 80er und 90er Jahren | |
| immer mehr ab. Langsam, aber sicher verfiel auch die Anlage bis zu ihrer | |
| Teilrenovierung in den Jahren 2005 bis 2007. [3][Danach ging es wieder | |
| aufwärts.] Aber auch heute erstrahlt keineswegs alles am Wannsee in Glanz | |
| und Gloria: Rost, Risse und Feuchtigkeitsschäden. | |
| Die Berliner Bäder-Betriebe verweisen auf eine gemeinsame Arbeitsgruppe mit | |
| der Innen- und Verkehrsverwaltung. Diese erstelle „sukzessive | |
| Bauzustandsanalysen der landeseigenen Bäder“. Für das Strandbad läge eine | |
| umfassende Analyse noch nicht vor. Daher könnten zur Renovierung des | |
| einstigen Volksbads keine validen Auskünfte erteilt werden. | |
| Maroder Zustand? Wen kümmert's? Die Badegäste, mit denen die taz gesprochen | |
| hat, jedenfalls nicht. „Ich bin ganz begeistert“, sagt eine Frau aus der | |
| Schweiz. Böse Zungen würden behaupten: Ist halt Berlin-Style. | |
| 12 Aug 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
| Klarissa Krause | |
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