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# taz.de -- taz-Sommerserie „Berlin geht baden“ (4): Im Schatten mit Sonnen…
> Gebräunt sein ist nach wie vor ein Statussymbol, obwohl die Zahl der
> Hautkrebs-Kranken steigt. Im Sommerbad denkt unsere Autorin über den
> Trend nach.
Bild: Die Liegewiese im Sommerbad Humboldthain ist von Schatten geflutet
Berlin taz | Mit angewinkelten Beinen, einer blauen Speedo-Badehose und
Sonnenbrille liegt ein Mann um 11.29 Uhr auf der Wiese im Sommerbad
Humboldthain. Später sollen es 31 Grad werden. Er liegt in der prallen
Sonne, sieht aus wie ausgeknockt. Die Arme hat er hinter dem Kopf
verschränkt, seine Augen sind geschlossen. Was bei ihm nach Genuss
aussieht, ist mein Albtraum.
Er und ich, wir repräsentieren die zwei Extreme des sommerlichen Spektrums.
Während er dort drüben in der Sonne brutzelt, werde ich in den kommenden
Stunden um jeden Preis ausschließlich im Schatten bleiben. Während er
später vermutlich einfach so, wie er da liegt, ins Becken hüpfen wird,
ziehe ich mir ein türkises Neoprenshirt, das mir bis zum Ellbogen reicht,
über den Bikini. Dazu trage ich eine Kappe und Sonnencreme, die sich später
im Wasser wie eine Ölspur hinter mir herziehen wird.
Es ist nicht so, als hätte ich nie versucht, braun zu werden. Aber es gibt
für mich nur einen Weg, es zu erreichen: Sonnenbrand. Und selbst wenn der
abgeklungen ist, bin ich im Vergleich zu allen anderen nur dunkelblass.
Weil das schmerzhaft und wenig effektiv ist, habe ich beschlossen, im
Bräunungs-Zölibat zu leben. Schon in der Schulzeit lag ich am Seeufer immer
drei Meter neben meinen Freundinnen, im Sommerurlaub schütze ich mich mit
einem zweckentfremdeten Regenschirm und selbst im Winter creme ich mein
Gesicht jeden Tag mit Faktor 50 ein. Kurz: Ich betreibe enormen Aufwand und
sehe dabei nicht mal cool aus. Und ich habe FOMO („Fear of Missing Out“,
dt: die Angst, was zu verpassen) – hier: die Angst, dass ich nicht der
Schönheitsnorm entspreche.
Aber warum ist das eigentlich so, dass sich im Sommer so viele um die Wette
bräunen? Die Soziologin Tanja Kubes forscht an der FU Berlin zu
Schönheitsidealen und hat Antworten: „Bräune symbolisiert in unserer
westlichen Kultur Gesundheit, Jugendlichkeit, Vitalität und einen aktiven
Lebensstil“, sagt sie. Bräunen ist deshalb auch eine soziale Frage. Wer
braun ist, hat viel Freizeit, ist oft draußen, reist häufig. Von diesem
positiven Image profitiert selbst der Supergau des Bräunens. „Sonnenbrand
steht immer noch symbolisch für Urlaub. Er zeigt: Ich kann es mir leisten.
Darum wird er nicht als etwas Negatives wahrgenommen“, so Kubes. Außerdem
sind die Folgen nicht direkt spürbar, Hautkrebs entwickelt sich meist erst
nach Jahrzehnten.
## Sommerliche Bräune vs. junges Aussehen
Auch in der Hauptstadt werden die Folgen der UV-Strahlung unterschätzt. Der
aktuelle [1][Arztreport der Barmer-Krankenkasse] zeigt, dass immer mehr
Berliner:innen an Hautkrebs erkranken. Im Vergleich zu 2005
entwickelten 2023 65 Prozent mehr Menschen schwarzen Hautkrebs. In Zahlen
sind das 302 von 100.000 Einwohner:innen. In der gleichen Zeit haben sich
die Erkrankungen an weißem Hautkrebs mehr als verdoppelt. Besonders
betroffen sind Babyboomer. „Sorgenloses Sonnenbaden im Urlaub oder am
Wochenende wurde ab den 1960ern immer beliebter“, sagt Gabriela Leyh,
Landesgeschäftsführerin der Barmer Berlin/Brandenburg. Auch Sonnenstudios
und der Klimawandel tragen zu den hohen Zahlen bei. „Wir stehen erst am
Anfang einer [2][Hautkrebswelle]“, warnt Leyh.
Wie so oft wirkt Social Media auch in diesem Fall als Brandbeschleuniger.
Beispielsweise gibt es einen blush-Trend, der einen Sonnenbrand imitieren
soll. „Sunkissed“, nennen das die Creator:innen liebevoll.
Ehrlicherweise trage auch ich meine Gesichtsröte in dieser Weise auf: ein
bisschen auf dem Nasenrücken, viel auf den Wangenknochen. Eben so, als käme
ich frisch aus dem Sommerurlaub. Make-up ist übrigens einer der Vorteile
meiner Nicht-Bräune, denn ich kann das ganze Jahr über denselben
Concealer-Ton verwenden (die hellste Farbe, versteht sich).
Aber ich habe auch gute Sachen online gelernt. Das mit der täglichen
Sonnencreme im Gesicht habe ich zum Beispiel bei der [3][Hautärztin Dr. Emi
auf Instagram] gesehen. Sie predigt dort Sonnenschutz und warnt vor
sommerlicher Bräune. Sowieso würde die Sonne nur Schaden im Gesicht
anrichten und im schlimmsten Fall sogar, oh Gott oh Gott, Falten. Die sind
schließlich das allerschlimmste überhaupt, das weiß ja jede:r. „Altern und
Falten sind tabu in unserer Gesellschaft“, bestätigt die Soziologin Tanja
Kubes.
Braun sein steht deshalb in Konkurrenz mit jungem Aussehen. Man kann nur
eines haben, beides geht nicht. Kubes spricht von einem Verjüngungstrend
und betont den Einfluss der sozialen Medien auf Schönheitsideale. Schummeln
ist aber auch hier möglich, Stichwort Selbstbräuner. „Ich könnte mir gut
vorstellen, dass auch die Bräune in Zukunft künstlich hergestellt wird“,
sagt Kubes mit Blick auf Schönheitseingriffe.
## Viele Berliner:innen fahren nicht in Sommerurlaub
Immerhin in einem Punkt stellt die sommerliche Bräune Gerechtigkeit her.
Normalweise wirken Schönheitsideale je nach Geschlecht unterschiedlich.
„Bei Bräune ist das nicht so, sie gilt sowohl bei weiblich gelesenen
Körpern als auch bei männlich gelesenen Körpern als superattraktiv“, sagt
Kubes. Trotzdem sei das Schönheitsideal der sommerlichen Bräune ein
„kulturell historisches Konstrukt“.
Früher einmal war nämlich Blässe das Statussymbol. Sie fungierte als
bürgerliche Abgrenzung von den Menschen, die draußen auf dem Feld arbeiten
mussten und damit viel an der Sonne waren. Blässe war damals ein Zeichen
für: Ich kann es mir leisten, zuhause zu sein. Als der Wohlstand nach dem
Zweiten Weltkrieg stieg und immer mehr Menschen sich Urlaube leisten
konnten, änderte sich auch das Schönheitsideal. Was ihr aber noch wichtig
ist: „Alles kann schön sein und alles ist normal.“
Trends und Schönheitsideale sind zudem nicht nur zeitlich, sondern auch
geografisch gebunden. Mancherorts ist Sonnenschutz heute ganz
selbstverständlich. „Diesen Trend gibt es in Ländern, in denen die
Hautkrebs-Gefahr noch akuter ist“, sagt Tanja Kubes. In Australien etwa
wird den Kindern dank des Ozonlochs quasi ein Hut mit Nackenschutz in die
Wiege gelegt. Und in China ist Blässe das Äquivalent zu westlicher Bräune.
Tanja Kubes hält es schon für möglich, dass dieser Trend auch mal zu uns
kommt. Soziale Medien seien dabei ausschlaggebend.
Wir halten also fest: Bräune muss man sich in Deutschland leisten können
und wollen. Finanziell und gesundheitlich. Und hier kommt das Schwimmbad
wieder ins Spiel. Denn laut einer [4][Umfrage der Berliner Sparkasse]
fahren mehr als die Hälfte der Berliner:innen nicht in Sommerurlaub.
Die meisten können es sich nicht leisten oder es ist ihnen zu teuer. Wer
schön sein und dazugehören will, muss sich also in heimischen Orten
bräunen, wie eben in Freibädern.
## Viel Schatten im Sommerbad Humboldthain
Tanja Kubes bezeichnet Freibäder als soziale Orte. In gewisser Weise können
sie als Bühne der Körperinszenierung angesehen werden. Schaut her, wie toll
meine Tanlines (dt. Bräunungsstreifen) aussehen! Für mich ist das
Schwimmbad eher ein Walk of Shame. Präsentieren will ich mich hier auf
jeden Fall nicht. Meinen blassen Körper sieht man dank des Neoprenshirts ja
eh nicht. Immerhin bin ich im Schwimmbecken Humboldthain nicht allein mit
meinem Sonnenschutz: Vier Mädchen tragen T-Shirts, drei Frauen Burkinis,
ein Mann schwimmt mit langem Neoprenshirt. Dazu kommen einige
Schwimmkappen, die, wenn auch unfreiwillig, in meiner Rechnung dazuzählen.
Eigentlich ist das [5][Sommerbad Humboldthain] sowieso ein Schwimmbad nach
meinem Gusto. Der Sonnenanbeter mit der blauen Speedo gehört auf der
Liegewiese zur Minderheit. Und die vielen Bäume lassen nur wenig Raum zum
exzessiven Sonnenbad. Die Schatten sind so tief, dass ich mein Handtuch
nicht mal verrücken muss, als ich vom Schwimmen zurückkehre.
Das Schöne am älter werden ist, dass ich mich mittlerweile nicht mehr für
mein Schattenleben schäme. Und vielleicht ist Blässe irgendwann wieder in.
Dann kann ich behaupten, dass ich den Trend gesettet habe.
19 Aug 2025
## LINKS
[1] https://www.barmer.de/presse/bundeslaender-aktuell/berlin-brandenburg/archi…
[2] /Statistik-vs-Hautkrebs/!5987944/
[3] /Medfluencer-auf-Instagram/!6019613
[4] https://www.berliner-sparkasse.de/content/dam/myif/berliner-sk/work/dokumen…
[5] /Kunstausstellung-im-Freibad/!6098775
## AUTOREN
Lea Knies
## TAGS
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