# taz.de -- taz-Sommerserie „Berlin geht baden“ (5): Im Becken mit Riefenst… | |
> Im Olympiabad, wo Hitlers Regisseurin filmte, bröckeln die Tribünen. | |
> Schwimmenden kann sich hier schon mal eine gruselige Zukunftsvision | |
> aufdrängen. | |
Bild: Die Tribünen bleiben leer, vorläufig: Sommerbad Olympiastadion | |
Berlin taz | Der Senat ist fest entschlossen: [1][Berlin soll wieder | |
Olympia-Stadt werden.] Möglichst schon 2036. Wenn das nicht klappt, dann | |
vier Jahre später. Oder auch acht. Also egal wann: Hauptsache Olympia. | |
Alles ist noch recht vage. Beachvolleyball soll am Brandenburger Tor | |
stattfinden, immerhin das ist angeblich gesetzt, weil das in Paris zuletzt | |
so toll aussah, als direkt neben dem Eiffelturm, dem Wahrzeichen der Stadt, | |
gebeacht wurde. Und das Olympiastadion, das für die Nazi-Spiele 1936 erbaut | |
wurde und in dem heute hauptsächlich Hertha BSC seinen mittelmäßigen | |
Fußball vorträgt, wird natürlich eine große Rolle spielen. Falls es | |
tatsächlich mit der Bewerbung für die Spiele klappen sollte. | |
Von der Sportstätte gleich neben dem Stadion spricht im Zusammenhang mit | |
Berlins sportlichen Zukunftsplänen jedoch niemand, obwohl der Name | |
eigentlich zum angestrebten Anlass passen würde: dem | |
Olympia-Schwimmstadion. Die Berliner Bäderbetriebe nennen es inzwischen | |
zwar „Sommerbad Olympiastadion“, was ein bisschen weniger nach verbissenen | |
Wassersportwettkämpfen und mehr nach Liegewiese und Pommes klingt – aber | |
das ließe sich ja auch wieder ändern. | |
Doch dass es ein Olympia-Comeback für das Schwimmstadion geben wird, ist | |
eher unwahrscheinlich. Schon als sich Berlin 1993 als Ausrichter für das | |
Sportspektakel im Jahr 2000 bewarb, spielte es bei den Planungen keine | |
Rolle mehr. Stattdessen wurde die Schwimm- und Sprunghalle im | |
Europasportpark in Prenzlauer Berg für ein Olympia gebaut, das am Ende doch | |
nicht in Berlin stattfand. Diese Halle genügt übrigens ebenfalls den | |
aktuellen Vorgaben des IOC nicht mehr, im Fall der Fälle käme sie als | |
Sportstätte nicht infrage. | |
Als dann vor zehn Jahren erneut davon geträumt wurde, den sogenannten | |
olympischen Geist nach Berlin zu holen, wollte man immerhin noch prüfen, ob | |
sich das Schwimmstadion für die Ausrichtung olympischer Wettkämpfe im | |
Wasserball ertüchtigen ließe. Vielleicht gibt es diese Prüfung ja jetzt | |
noch einmal. | |
Teuer würde es auf jeden Fall, das Sommerbad wieder olympiatauglich zu | |
machen. Das Bad ist abgerockt, selbst für Berliner Verhältnisse. Die | |
Umkleiden sind uralt, das sieht man ihnen an. Alles wirkt verwittert, Putz | |
bröckelt von den Decken. Aber das Hauptproblem zeigt sich links und rechts, | |
wenn man im großen Becken seine Bahnen zieht: die Zuschauertribünen. Die | |
wurden nicht mehr renoviert, seit das ganze Bad anlässlich der | |
Schwimmweltmeisterschaft 1978 grundsaniert wurde. Damit sie nicht weiter | |
weggammeln, hat man sie mit Schutzfolien verhüllt, was inzwischen ein | |
Dauerzustand ist. Wegen dieser geisterhaften Tribünen hat sich das Bad den | |
Ruf erarbeitet, einer der vielen lost places in Berlin zu sein. Kein Mensch | |
braucht diese Tribünen heute noch, sie sind nur lästig, aber sie stehen nun | |
einmal unter Denkmalschutz. | |
## Ein mächtiger Tempel des Sports | |
Dabei sah es mal so erhaben und prächtig aus, das Schwimmbad, als diese | |
Tribünen noch ganz neu waren. Wie ein mächtiger Tempel des Sports, ganz so, | |
wie es die Faschisten liebten. Nirgendwo lässt sich das besser sehen als | |
[2][in Leni Riefenstahls „Olympia“-Film], mit dem sie von Reichsminister | |
Joseph Goebbels beauftragt wurde und der mit den Wettbewerben in genau | |
diesem Schwimmbad endet. | |
Der Film ist ja eine vielschichtige Angelegenheit. Ein Propagandawerk | |
natürlich, bei dem beispielsweise die Musik besonders pathetisch wird, wenn | |
die in Athen gestartete Fackelläuferstaffel endlich das gelobte | |
Deutschland erreicht. Filmhistorisch findet er Beachtung wegen Riefenstahls | |
technischer und künstlerischer Innovationen. Der Film ist tatsächlich mehr | |
als reine Hitlerei. Insgesamt ist der Schwarze Jesse Owens, der bei den | |
Nazispielen insgesamt vier Goldmedaillen abräumte, länger im Bild als der | |
Führer höchstselbst. | |
Vor allem die Inszenierung des normativ schönen menschlichen | |
Athletenkörpers hatte Riefenstahl damals im Sinne. Das war natürlich ganz | |
im Einklang mit den faschistischen Idealen, aber in gewisser Weise sogar | |
popkulturell ziemlich wirkmächtig, wie die amerikanische Theoretikerin | |
Susan Sontag in ihren Abhandlungen über die Riefenstahlsche faschistische | |
Ästhetik feststellte. Jede x-beliebige Calvin-Klein-Unterhosenwerbung | |
bedient sich heute bei der Bildsprache von Hitlers Lieblingsregisseurin. | |
Und im Olympia-Schwimmstadion, am Höhe- und Schlusspunkt des | |
„Olympia“-Films, zieht sie dann wirklich alle Register ihrer Kunst. „Das | |
war genau hier“, denkt man sich im Sommerbad, angesichts des Sprungturms, | |
auf den man als Schwimmer blickt. Genau hier sind diese | |
Unterwasseraufnahmen entstanden, die heute Standard sind, damals aber von | |
Riefenstahl erfunden wurden. Hier drehten und schraubten sich die | |
olympischen Turmspringer einst ins Nass, was dann im Film so aussah, als | |
würden sie eher in Richtung Himmel streben, wie Götter in Menschengestalt, | |
die fliegen können. | |
Faschistische Ästhetik kann auf unheimliche Weise faszinierend sein, auch | |
darüber reflektierte Susan Sontag. Für die Berliner Bäderbetriebe ist | |
deswegen klar: Besser die Finger weg von irgendwelchen Anspielungen auf den | |
Film, bloß keinen verruchten Nazi-Glamour an irgendeiner Stelle, bloß | |
nichts für diesbezüglich eventuell empfängliche Touristen anbieten. Dass | |
hier die Szenen aus „Olympia“ von Leni Riefenstahl entstanden – mit einer | |
solchen Werbung würde man eben nicht nur Cineasten anlocken, sondern auch | |
völkische Faschos. Und so bleibt nicht viel mehr, als auf der eigenen super | |
sachlichen Homepage ein nüchternes Profilbild des Schwimmbeckens zu | |
platzieren, ohne Sprungturm im Blick und ohne jeglichen Verweis auf das | |
Dritte Reich. | |
Geblieben vom einstigen Geist ist im Sommerbad höchstens noch der Gedanke, | |
dass sportliche Ertüchtigung wichtiger ist als bloßer Spaß. Denn hierher | |
kommt man eher zum richtigen Schwimmen als zum bloßen Rumhängen. Das Wasser | |
ist ausgesprochen kalt, was allerdings keine spezielle Maßnahme zur | |
Abhärtung der Besuchenden ist, sondern einfach auf den Sparauflagen des | |
Senats beruht. Auch in den anderen Berliner Bädern muss man schließlich | |
frieren. | |
## Worst Case mit Höcke | |
Vielleicht ändert sich dieser Ort, der ein wenig wie im Dämmerschlaf wirkt, | |
in naher Zukunft aber ja doch noch radikal. Schon die Olympischen Spiele | |
1936 wurden noch an die Weimarer Republik vergeben, bevor Deutschland zur | |
Diktatur wurde. Auch wenn sich Geschichte bekanntlich nicht eins zu eins | |
wiederholt, könnte man ja mal darüber nachdenken, was passieren würde, wenn | |
Berlin tatsächlich seine Olympia-Sause bekäme – die dann in 11 oder 15 | |
Jahren unter einem Bundeskanzler Björn Höcke ausgerichtet werden wird. Ein | |
Worst-case-Szenario in jeder Hinsicht und leider keine reine | |
Wahnvorstellung in Zeiten wie diesen. Vielleicht würde dann ja aus dem Bad | |
das olympische Leni-Riefenstahl-Schwimmstadion, mit rundum renovierten | |
Tribünen. | |
Hitler soll seinerzeit gesagt haben, die Olympischen Spiele in Berlin | |
würden die letzten ihrer Art gewesen sein. Nach Erreichen der | |
Weltherrschaft würde man seine eigenen Wettbewerbe aufziehen, ohne das IOC | |
und dessen lästige Regeln. Und da Höcke bekanntlich sehr viel von Hitler | |
und dessen Ideen hält, könnte man letztendlich froh sein, wenn in dem | |
Leni-Riefenstahl-Schwimmstadion auch wirklich irgendwas mit Olympia | |
stattfinden würde. Und keine Schwimmwettbewerbe im Rahmen der neu | |
gegründeten Björn-Höcke-Volkssportfestspiele. | |
26 Aug 2025 | |
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## AUTOREN | |
Andreas Hartmann | |
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