Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Berlin geht baden (7): Ganz ohne Tuch ins Becken
> Seit 1925 können die Mitglieder eines Berliner FKK-Vereins dort
> unbekleidet schwimmen und Sport treiben. Aber wie zeitgemäß ist Nacktsein
> heute noch?
Bild: Drei Jungen an einer Badegrube bei Eisenhüttenstadt im Sommer 1982. In d…
Eine grüne Oase mitten in der Stadt. Die Vögel zwitschern, an den Bäumen
baumeln selbstgebastelte CDs, die die Sonne reflektieren. Der Park ist mit
Engelchen- und Erdmännchen-Figuren aus Stein bestückt. Auf einem Zaun
prangt das Logo des Vereins für Körperkultur Berlin-Südwest (VfK): Eine
gelbe Sonne geht darin auf blauem Untergrund auf, es erinnert an die Optik
der Freien Deutschen Jugend (FDJ). Das passt für einen FKK-Verein. Obwohl
die Freikörperkulturbewegung noch viel früher entstand, war FKK vor allem
in der DDR ein Massenphänomen.
Der Verein für Körperkultur Berlin-Südwest (VfK) versteckt sich hinter
einem großen Möbelkaufhaus am Ostpreußendamm, der Hauptverkehrsachse von
Lichterfelde-Süd. Dem Wetter entsprechend sind die Sonnenschirme auf der
Terrasse vor dem ebenfalls gelb-blauen Vereinshaus geschlossen. Die
Plastikstühle sind gegen die Tische gekippt.
„Im Schwimmbecken ist Nacktsein ein Muss“, sagt Thomas Hartmann, als er an
einem regnerischen Sommertag über das Vereinsgelände führt. Der Glatzkopf
im braun-roten Blümchenhemd stammt aus dem fränkischen Erlangen, seit 20
Jahren ist er hier Vereinsmitglied, seit einigen Jahren auch
Vereinsvorsitzender.
Hartmann steuert über eine weitläufige, sattgrüne Wiese auf den Pool zu, in
dem eine nackte Frau ungestört ihre Bahnen zieht. „Es ist sehr
vertrauensvoll und sehr kuschelig“, beschreibt er seinen Verein. Jedes
Mitglied habe einen Schlüssel, Eingangskontrollen gebe es nicht, man kennt
sich, man grüßt sich. Selbst an sonnigen Tagen könne man die Zahl der
Menschen auf der Wiese vor dem Schwimmbad „fast an einer Hand abzählen“,
sagt Hartmann.
## Sport auch angezogen
1.100 Mitglieder hat der im Jahr 1925 gegründete VfK. Eine bunte Mischung,
so der Vereinsvorsitzende: Junge und alte Menschen, Frauen und Männer,
People of Colour und weiße Menschen. Seit 1985 gibt es das Schwimmbad. Es
gibt Volleyball-, Gymnastik, Zumba- und Tischtenniskurse. Muss das alles
nackt geschehen? „Die meisten machen angezogen Sport, man kann ihn aber
auch nackt machen“, sagt Hartmann. „Das obliegt den Leuten.“
Viele der Mitglieder seien nicht die „klassischen, überzeugten FKKler“ –
ganz im Gegensatz zu früher. Seit dem 100-jährigen Bestehen hat sich nicht
nur das Vereinsangebot verändert, sondern auch das FKK-Selbstverständnis.
„Früher war alles FKK. Da gab’s überhaupt keine Diskussion“, sagt Hartm…
Es gebe noch Fotos von der Zeit, in der Vereinsmitglieder mit Wohnwägen auf
dem gepachteten Gelände wohnten, nackt am Lagerfeuer saßen und selbst die
Jahreshauptversammlungen nackt durchgeführt wurden. Heute sei das anders.
„Wir müssen diskutieren, wie ernst wir die FKK-Geschichte nehmen und wie
wir die Tradition erhalten.“
FKK-Kultur hat in Deutschland eine lange Geschichte. Ihre Ursprünge liegen
in der Lebensreformbewegung am Ende des 19. Jahrhunderts, die Kritik an der
Industrialisierung und dem Materialismus äußerte und einen Rückbezug zu
einem vermeintlichen Naturzustand anstrebte. Seit den 1920er Jahren
entstanden erste Vereine, die Freikörperkultur nicht nur als
Freizeitgestaltung, sondern auch als Ausdruck von Selbstbestimmung,
Gleichheit und Nähe zur Natur verstanden. In der DDR wurde FKK besonders
populär: Seen, Badestellen und Vereine mit Nacktheitsgebot waren weit
verbreitet.
„Der Ursprung war eine politische Bewegung, bei der die Leute angefangen
haben, sich zu entdecken“, erklärt Hartmann, während er durch den Wald zu
den Sportplätzen führt. „Man muss nichts Schickes anhaben, es geht um die
Menschen.“ Er räumt jedoch lachend ein: „Aber den Tratsch hast du genau wie
bei den Angezogenen.“
## Weniger naturverbunden
In den letzten zehn Jahren habe er beobachtet, dass die Naturverbundenheit,
die am Anfang als Gegenentwurf zum urbanen Leben hochgehalten wurde,
zunehmend verloren gegangen sei, sagt Hartmann. Als Gründe dafür sieht er
veränderte Erziehung, Medien, aber auch konservative politische und
gesellschaftliche Entwicklungen.
Die spiegeln sich auch im VfK: „Es gab viele Diskussionen, gerade
Jugendliche haben in der Pubertät Schwierigkeiten mit dem Nacktsein.“
Verstärkt werde diese typisch pubertäre Scham durch die Sorge, dass andere
Fotos von einem machen und die in der Schule herumzeigen könnten.
„Der Großteil sagt: Wir sind ein FKK-Verein, wir wollen nicht darüber
diskutieren. Nach dem Motto: Du brauchst auch nicht in einen Fußballverein
eintreten, wenn du Basketball spielen willst.“ Aber auf die Kinder und
Jugendlichen hätten sie nun Rücksicht genommen. „Wir haben uns auf einen
Kompromiss geeinigt: Auf der Wiese dürfen [1][Jugendliche in der Pubertät
Bikini oder Badehose] tragen.“ Auf der Terrasse säßen manche nackt, manche
nicht, manche halbnackt mit Tuch. „Das ist alles okay.“
Eine bundesweite Umfrage des Instituts YouGov und Statista aus dem Jahr
2021 ergab, dass sich 36 Prozent der Deutschen an Orten, an denen man nackt
ist, eher unwohl fühlen, nur 28 Prozent fühlen sich wohl. Besonders
betroffen sind Frauen. 39 Prozent haben ungute Gefühle, im Vergleich zu 34
Prozent der Männer. Auch [2][meiden Frauen diese Orte deutlich] häufiger.
## Zwischen Ängsten und Empowerment
Das bestätigt Lisa Wiese: „Ich würde mich nicht nackt ins Prinzenbad
legen“, sagt sie. Wiese ist Mitinitiatorin des Naked Nature Day, der in
diesem Jahr erstmals in Eberswalde stattfand. „Viele Frauen haben Angst,
sich nackt zu zeigen, nicht zuletzt, weil sehr, sehr viele Frauen bereits
Übergriffigkeit von Männern erlebt haben“, sagt Wiese. Gleichzeitig betont
sie: „Das Nacktsein kann aber auch voll empowern.“
Deshalb bietet sie es zunächst in einem geschützten Rahmen an. Beim Naked
Nature Day kommen acht Flinta* für einen Tag zusammen, machen
Achtsamkeitsübungen und Tee-Blindverkostungen, um sich mit Pflanzen zu
verbinden. Hier wird die Naturverbundenheit der FKK-Kultur also noch
gelebt.
„Es geht viel darum, zu erkennen, dass wir Teil der Natur sind“, sagt
Wiese. Es gehe aber auch um Körperscham und die Frage: Was macht es mit
mir, nackt zu sein? „Denn als Frauen werden wir viel bewertet, wie wir sind
– und hier dürfen wir so sein, wie wir wollen. Das kann für viele Frauen
sehr heilsam sein“, sagt Wiese.
Im Pool des FKK-Vereins beendet die nackte Schwimmerin nun ihre Bahnen. An
der Schwimmbadtreppe steigt sie aus dem Wasser. Seit Dezember 2023 ist es
Frauen in Berlin erlaubt, auch in öffentlichen Bädern oberkörperfrei zu
schwimmen. Das hatte das Landgericht in zweiter Instanz entschieden.
Grundlage war eine Klage einer Frau aus dem Sommer 2021: Sie war [3][vom
Wasserspielplatz „Plansche“ in Treptow-Köpenick verwiesen worden], weil sie
sich dort mit nackter Brust gesonnt hatte.
## Kaum Frauen ohne Oberteil
Und trotzdem: Ganz ohne Oberteil schwimmen oder sonnen sich nur die
wenigsten Frauen. Warum? „Einen entspannten Tag hast du sicher nicht. Nackt
ins Berliner Freibad zu gehen, bedeutet oft, Diskussionen zu riskieren“,
sagt Hartmann.
Er selbst hätte es gern anders. „Natürlich würde ich mir wünschen, dass
Frauen sich oberkörperfrei ins Freibad legen können, aber in der Umsetzung
ist das schwierig.“ Die immer wiederkehrende „Oben ohne“-Diskussion sei
eben kontrovers. „Diese Diskussion wird uns noch lange begleiten und
bewegen in unserer tollen bunten Stadt“, prophezeit er.
5 Sep 2025
## LINKS
[1] /taz-Sommerserie-Berlin-geht-baden-1/!6103523
[2] /Rechte-fuer-Transfrauen/!6107971
[3] /Streit-um-Oben-Ohne-Baden-in-Berlin/!5869372
## AUTOREN
Lilly Schröder
## TAGS
Berlin geht baden
Freibad
FKK
Nacktheit
Frauenrechte
Berlin geht baden
Berlin geht baden
Berlin geht baden
## ARTIKEL ZUM THEMA
taz-Sommerserie „Berlin geht baden“ (6): Kindheit, Chlor, Klasse
Zwischen Pommes und Sprungbrett ist das Freibad ein Ort gelebter Utopie. Es
ist ein Stück Sommer, das immer auch verloren zu gehen droht. Ein Essay.
taz-Sommerserie „Berlin geht baden“ (5): Im Becken mit Riefenstahl
Im Olympiabad, wo Hitlers Regisseurin filmte, bröckeln die Tribünen.
Schwimmenden kann sich hier schon mal eine gruselige Zukunftsvision
aufdrängen.
taz-Sommerserie „Berlin geht baden“ (3): Sommer, Sonne, Rost und Risse
Das Strandbad Wannsee ist an heißen Tagen ein verlässlicher Liebling der
Massen. Dass die Anlage in die Jahre gekommen ist, wird in Kauf genommen.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.