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# taz.de -- Porträt der Autorin Martina Hefter: Der Takt ihrer Sprache
> Martina Hefter hat den erfolgreichsten Roman des Sommers geschrieben:
> „Hey guten Morgen, wie geht es dir?“ Darin macht sie schwere Themen
> leicht.
Bild: Tänzerin, pflegende Angehörige und jetzt auch Bestsellerautorin: Martin…
Martina Hefter hat mit ihrem Roman „Hey guten Morgen, wie geht es dir?“ den
Deutschen Buchpreis gewonnen. Die taz hat sie im August zum Gespräch
getroffen.
Die Website [1][Timeanddate] zeigt, wie der Nachthimmel gerade aussieht,
über jedem erdenklichen Ort auf der Welt. Welcher Himmelskörper leuchtet am
hellsten über den Rocky Mountains, und wie sieht das Sternbild des Löwen
aus über, sagen wir, der Provinz südöstlich von Nigerias Hauptstadt?
Timeanddate weiß: Der Löwe steht dort auf dem Kopf. Noch weniger als in
Mitteleuropa konnte man in Nigeria also darauf kommen, in der Figur einen
Löwen zu sehen, denkt Juno. Trotzdem hieß das Sternbild auf der ganzen Welt
Löwe.
Juno ist die Heldin von Martina Hefters neuem Roman „Hey guten Morgen, wie
geht es dir?“. Und obwohl sie heißt wie eine römische Göttin (Gattin des
Jupiter) oder eine nach der römischen Göttin benannten Raumsonde (umkreist
den Jupiter), führt sie ein sehr irdisches Leben mit irdischen Problemen.
Doch auch sie umkreist Jupiter, ihren Mann – ja, er heißt Jupiter –, ein an
Multipler Sklerose erkrankter Schriftsteller.
Seine Pflege gibt den Takt ihres Alltags vor, dabei ist sie Tänzerin mit
ganz eigenem Rhythmus. Neben ihrem Dasein als pflegende Angehörige versucht
sie, so gut es geht, auszuleben, was sie eigentlich ist: freischaffende
Performancekünstlerin in Leipzig, die hofft, dass sie das bis an ihr
Lebensende machen kann. „Und dann tot umfallen ohne großen Beef.“
## Die Scammer scammen
Doch Planet und Raumsonde, Jupiter und Juno, verlieren neuerdings immer
häufiger den Kontakt zueinander. Juno entwickelt eine Insomnie, die
besonders gut gedeiht, wenn sie nachts nach ihrem Handy greift und auf die
Instagram-Anfragen von „Love-Scammern“ antwortet. Diese „Love-Scammer“ …
Kriminelle, meistens aus afrikanischen Ländern, die sich als weiße Dandys
ausgeben und ihre weiblichen, älteren Opfer wochenlang umgarnen, um sie
dann um Geld zu bitten.
Juno macht sich einen Spaß daraus, die Scammer in wahnwitzige
Konversationen zu verstricken, normalerweise flüchten sie irgendwann von
alleine aus den Chats. Doch Owen_Wilson223 bleibt, gibt sich als Benu aus
Nigeria zu erkennen, und Juno beginnt sich zu fragen, wie wohl der
Nachthimmel über ihm aussieht.
## Biografische Gemeinsamkeiten
Martina Hefter nutzt Timeanddate auch privat, zum Beispiel, um
herauszufinden, wie gut die Chancen stehen, in diesem August ein paar
Perseiden zu Gesicht zu bekommen. Und tatsächlich, an mehreren Abenden
hintereinander fuhr sie ins Gewerbegebiet von Leipzig-Plagwitz und
beobachtete auf dem Parkplatz eines Fitnessstudios, wie es zarte
Feuerbälle vom Himmel regnete.
Martina Hefter, 59 Jahre alt, ist wie Juno im Allgäu aufgewachsen, generell
haben die beiden mehr als nur ein paar biografische Eckdaten gemeinsam. Wie
Juno zog Hefter irgendwann nach Leipzig, wie Juno geht sie regelmäßig zum
Ballett und verdient ihr Geld unter anderem mit der Performancekunst.
Wie Juno hat sie einen Jupiter, ihren Mann [2][Jan Kuhlbrodt,]
Schriftsteller, über den es in der Danksagung heißt, dass er den Gedanken,
mit Jupiter verwechselt zu werden, „sogar ganz schön fand“. Auch Kuhlbrodt
leidet an MS, über seine Erkrankung schrieb er zuletzt den Roman
„Krüppelpassion: oder Vom Gehen“. Kuhlbrodt und Hefter lernten sich Anfang
des Jahrtausends am Leipziger Literaturinstitut kennen, zusammen haben sie
zwei Töchter.
## Gegen den Einfluss von Rechten auf die Kulturszene
Martina Hefter trägt einen blumigen Jumpsuit, wir sitzen auf der Terrasse
ihres Hotels im Wedding, später hat sie um die Ecke noch eine Lesung. Mit
ihrem Outfit stand sie heute schon in starkem Kontrast zum schwarzen
Naziblock, der ihr im Leipziger Hauptbahnhof entgegenkam. [3][In der Stadt,
in der sie lebt, ist heute CSD, Hunderte Rechte aus der Umgebung sind
angereist].
„Ein Bahnsteig voll mit diesem Verbund an Grölenden, ich hab richtig Angst
bekommen, und diese Angst hab ich natürlich schon länger.“ Hefter bemerkt
immer wieder, dass sich auch in einer Stadt wie Leipzig Dinge verschieben,
sie sorgt sich vor wachsendem Einfluss der Rechten, insbesondere auf die
Kulturszene.
Es bleibt also ein unterschwellig mulmiges Gefühl, so auf die
Gesamtsituation bezogen, „dabei ist eigentlich alles ziemlich schön im
Moment“. Ihr Buch ist „so ein bisschen, so ein kleiner Erfolg“ geworden,
und so, wie sie das sagt, wirkt das gar nicht kokett.
## Vom Kleinen Erfolg zur Longlist
Zum Zeitpunkt unseres Gesprächs war „kleiner Erfolg“ schon untertrieben,
Martina Hefter war gerade ausgezeichnet worden mit dem Wiesbadener
Literaturpreis und dem mit 50.000 Euro dotierten Großen Preis des
Literaturfonds. Eine Woche später steht sie auf der [4][Longlist für den
Deutschen Buchpreis] und wird nicht müde, seitdem [5][auf Instagram] zu
betonen, in welch schöner Gesellschaft sie sich befinde.
Die 50.000 Euro kann Hefter gut gebrauchen, ihr erster Gedanke war: „Das
gibt mir so viel Kraft, jetzt mach ich auch die Lesereihe weiter!“ Diese
Lesereihe kuratiert und organisiert sie alleine und ehrenamtlich zusätzlich
zu allem anderen. Denn Hefter schreibt, tanzt, dichtet, macht Theater und
konzipiert Hörspiele. Gerade arbeitet sie an einer Performance für das
Schauspiel Leipzig mit dem Titel „Soft War“, das auf „Hey guten Morgen, w…
geht es dir?“ basiert, im November hat es Premiere.
In den Jahren vor dem Roman veröffentlichte Hefter unter anderem
[6][mehrere Lyrikbände,] manche Gedichte, wie das sehr eindringliche „Linn
Meier († 2019)“ über eine junge Frau und ihre Essstörung, kommen gleich m…
Regieanweisungen. Im Fall, der Text wird gesprochen, könnte man während des
Sprechens eine typische Mädchenzimmereinrichtung auseinanderbauen.
## Zerstörerische Tendenzen
Die Performancekunst hilft Hefter dabei, die Welt etwas besser auszuhalten.
„Vielleicht, weil man die Themen mit einer gewissen Unerschrockenheit
durchleuchtet und sie so besser durchdringt.“ Hefters Themen: die Natur und
der zerstörerische Mensch, Körper (schön, kraftstrotzend, alternd,
hungernd, krank), Sehnsüchte, Ausbeutung. Das alles klingt hart, ist es
aber gar nicht, wenn Hefter es aufschreibt oder sich dazu bewegt.
Juno spricht eine unprätentiöse, fast jugendliche Sprache, und man bleibt
mit ihr wach, wenn sie beginnt, statt Jupiter Benu zu umkreisen und
herauszufinden, was ihn dazu brachte, weiße Frauen in Europa abzuzocken.
Zusammen mit Juno ist man ein wenig zerrissen zwischen dem Gefühl, Jupiter
zu hintergehen, und der in der Romanheldin keimenden Angst, dass Benus
Enttarnung auch nur Teil einer Masche ist – er also doch Geld von ihr will.
## Kreuz und quer leben
Juno fühlt sich manchmal wie das Emoji mit den gestrichelten Umrissen, hört
Sätze wie: „Dieses Festival ist eher was für jüngere Produktionen.“ Und
obwohl sie ihren Körper die meiste Zeit schön findet und sich so gerne
bewegt, will sie nicht mehr in Clubs gehen, weil es „für eine Frau älter
als Mitte vierzig nicht mehr möglich (ist), ausufernd die Nacht
durchzutanzen, ohne dabei aufzufallen“. Und auffallen will sie nicht, wenn
sie nicht gerade auf der Bühne steht. So wird der Theaterraum für sie mehr
und mehr zur „Wunderkammer, in der man nicht in eine Richtung, zum Tod hin
lebte, sondern kreuz und quer und vor und zurück“.
Juno darf sehr viel pathetischere Sachen sagen, als sie Martina Hefter je
über die Lippen kommen würden, und „das ist dann vielleicht genau die
Unterscheidung zwischen Autofiktion und vielleicht nicht ganz Auto“.
Martina Hefters Autofiktion ist insofern besonders, als ihr Trotz
innewohnt. Denn als pflegende Angehörige bliebe ihr gar nichts anderes
übrig, als auf den Stoff ihres Alltags zuzugreifen. Für alles andere fehle
schlicht die Zeit. „Man kann das Trotz nennen oder auch Self-Empowerment“,
sagt sie.
Denn Autofiktion, besonders von Frauen, werde oftmals belächelt, „und ich
sage dann: Ich habe jedes Recht, meine Geschichte so zu schreiben, weil das
eben eine krasse Aufgabe ist, die ich da habe.“ Ihr Roman ist für sie auch
Ergebnis eines selbstbewussten Umgangs mit der eigenen Situation. Das
Chaos ihres Alltags, die anarchischen Momente seien Antrieb für ihr
Schreiben. Und wenn sie mal nicht weiterkommt, dann steht sie auf und geht
tanzen.
1 Sep 2024
## LINKS
[1] https://www.timeanddate.de/
[2] /Rettet-die-Lyrik/!5996483
[3] /Christopher-Street-Day-in-Leipzig/!6030620
[4] /Longlist-fuer-den-Deutschen-Buchpreis/!6031571
[5] https://www.instagram.com/martinasylviah/
[6] /Marginalisierte-Lyrik/!5033977
## AUTOREN
Leonie Gubela
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