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# taz.de -- Liebesbetrug im Netz: With love, emma_watson_2341
> Ralf Kohlbrink hat Zehntausende Euro an jemand überwiesen, der sich als
> die Schauspielerin Emma Watson ausgab. Ein Fall von Love Scamming.
Er ist bereit, ein Videogespräch zu führen, aber er will anonym bleiben.
Auf gar keinen Fall könne er mit dieser Geschichte mit seinem Namen in die
Öffentlichkeit gehen, sagt er. Es fällt ihm offensichtlich schwer, darüber
zu reden. Wer soll das auch verstehen? Er hat mehr als 35.000 Euro an die
Schauspielerin Emma Watson überwiesen, weil er in sie verliebt war.
Ralf Kohlbrink, wie er in diesem Text heißen soll, ist Anfang 60. Er sei
geschieden, erzählt er, und Vater von zwei erwachsenen Kindern. Er arbeitet
in der Versicherungsbranche, lebt in einer kleinen Gemeinde irgendwo in
Deutschland. Dort ist er auch politisch aktiv. Er engagiert sich in der
Kirchengemeinde, in seiner Freizeit fährt er Motorrad. Ein gutaussehender
Typ, längeres Haar, unkonventionell, er wirkt jugendlich für sein Alter.
Ruhig und sachlich redet er über das, was passiert ist. Er wirkt
vernünftig, zugewandt. Wie konnte einer wie er auf Betrüger hereinfallen,
die sich für Emma Watson ausgaben?
Passiert ist das vor zweieinhalb Jahren. Als Kohlbrink auf Instagram
unterwegs ist, bekommt er eine Kontaktanfrage von dem Account
„emma_watson_2341“. Sie stellt sich als die englische Schauspielerin vor
und interessiert sich für Fotos seines Familienwappens. Ob er
Ahnenforschung betreibe, fragt sie. Und was das für Wappen seien? So kommen
sie ins Gespräch. „Sie meldete sich dann täglich“, erzählt er.
Er glaubt keinen Moment, dass er es wirklich mit Emma Watson zu tun hat. Es
gibt einige Emma Watsons auf Instagram. Irgendein Fan-Account, denkt er.
Und das schreibt er ihr auch. Er lacht darüber, dass sie immer wieder
beteuert, die bekannte Schauspielerin zu sein.
Dass es eine Betrugsmasche ist, mit einer falschen Identität Kontakte über
soziale Netzwerke zu knüpfen, weiß Ralf Kohlbrink nicht. Von Love Scamming,
auch Romance Scam genannt, hat er noch nie gehört. Es ist eine Form von
Onlinebetrug, bei der die Betrüger:innen eine emotionale Beziehung
aufbauen, um an Geld zu kommen.
Bekannt wurde diese Form des Onlinebetrugs vor etwa zehn Jahren. Damals
sorgte die Geschichte einer Frau aus Starnberg für Aufsehen: Sie lernt auf
einer Plattform einen US-Soldaten kennen. Er will sie kennenlernen, nach
Deutschland fliegen, gerät aber immer wieder in finanzielle
Schwierigkeiten. Die Frau überweist ihm Geld, im Lauf der Zeit insgesamt
knapp 500.000 Euro. In dieser Zeit beginnt die Polizei, vor Love Scamming
zu warnen: „Die Täter nutzen den Umstand, dass heute viele Menschen über
das Internet einen neuen Partner suchen“, so das hessische
Landeskriminalamt damals.
## Der Verstand baut Brücken auf
Ralf Kohlbrink bleibt skeptisch gegenüber „Emma Watson“, aber auch
interessiert. Der Kontakt wird intensiver. Während es anfangs nur um das
Thema Ahnenforschung geht, wird der Austausch nun persönlicher. Nachrichten
kommen morgens, mittags, abends. „Es war ein tägliches Miteinander“, sagt
er. Sie fragt, was er macht und wie es ihm geht, sie erzählt von ihrem
Promileben. „Es entstand eine Vertrautheit, es war eine sehr wohltuende und
intensive Korrespondenz“, sagt Kohlbrink.
Sie schreibt, wie sehr sie unter der Isolation leidet, die ihr Management
ihr aufzwingt.
Sie schreibt, dass sie nur aus diesem Vertrag kommt, wenn sie heiratet.
Sie schreibt, dass sie nach jemandem sucht, der sich außerhalb der
Star-Szene bewegt.
Sie schickt ihm Videonachrichten. „Thank you for being a reason to smile“,
sagt da tatsächlich Emma Watson zu ihm. „I can’t explain my love for you.�…
Die Videos von Emma Watson sind [1][KI-generiert]. Sie sind gut gemacht,
Ralf Kohlbrink sieht nicht, dass es sich um Fälschungen handelt. Da
zweifelt er aber immer noch, fängt an nach Emma Watson zu googeln, prüft
nach, was sie ihm über sich schreibt. Dabei liest er auch, dass sie sich
besonders für ältere Männer interessieren soll. „Da baut einem der Verstand
Brücken. Vielleicht ist sie es doch, es könnte doch sein.“
Er beginnt zu glauben, was er liest, hört und sieht.
Er verliebt sich.
Er sagt das so: „Plötzlich hat sich da eine romantische Note
eingeschlichen.“
Vier Monate lang chatten die beiden, dann lädt sie ihn nach London ein. Sie
will ihn persönlich kennenlernen und ihren Geburtstag mit ihm feiern. Er
will schon den Flug buchen. Doch dann kommt die Nachricht: Ihr Management
stimme nicht zu. Für ein Treffen mit ihr müsse er eine Membership-Card
haben. Angeblich gehört das zu den „Rules and Regulations“, die für Treff…
mit allen britischen Schauspieler:innen gelten. Die schickt ihm das
Management zum Nachlesen. Unter Punkt 4 findet er die Regel: Er muss auf
die Fan-Liste von Emma Watson, sonst kann er sie nicht treffen. Dafür die
Membership-Card. Die kostet allerdings etwas. 25.000 Euro soll er
überweisen. Das tut er.
## „Viele Opfer zeigen den Betrug gar nicht erst an“
Ralf Kohlbrink schüttelt mit dem Kopf, wenn er das heute erzählt. „Wie kann
man nur so dumm sein?“ Nein, sagt er, er habe nicht an Betrug gedacht. Und
nein, er könne das nicht erklären. Er überweist auch noch Geld für die
Flugkosten, knapp 8.000 Euro, eine Auslandsüberweisung an eine Bank in
Großbritannien. Warum so teuer? Aus Sicherheitsgründen dürfe er nicht auf
eigenem Weg anreisen, er solle mit einem Privatjet fliegen, auch das
schreiben die Regeln für Besuche vor, so das „Management“, das den Flug f�…
ihn organisiert und ihm das Flugticket schickt.
Alles scheint organisiert, doch dann kommt das nächste Problem – kurz vor
dem Abflug. Das „Management“ verlangt plötzlich eine notarielle
Identitätsbestätigung von ihm. Ohne die könne er nicht fliegen. Man müsse
sicher sein, dass er auch der ist, für den er sich ausgibt. Es ist
Wochenende. Doch Kohlbrink kennt privat einen Notar, den er anrufen kann
und der das schnell für ihn macht. Alles ist nun erledigt. Er sitzt auf
gepackten Koffern, als das „Management“ ihm mitteilt, dass der Flug
storniert worden sei. Da wird ihm klar, dass er auf einen Betrug
hereingefallen ist. Seine ganzen Ersparnisse sind weg.
Es liegen keine gesicherten Daten dazu vor, wie viele Menschen in
Deutschland Opfer von Liebesbetrug werden. Love Scamming fällt unter die
Betrugsdelikte, es wird in der Polizeilichen Kriminalstatistik nicht
gesondert erfasst. Aber immerhin zehn der sechzehn Landeskriminalämter
können Zahlen nennen. In Berlin haben Love Scammer in den letzten drei
Jahren 18,6 Millionen Euro ergaunert. 19,3 Millionen Euro sind es im
gleichen Zeitraum in Bayern. Das LKA in Baden-Württemberg nennt rund 20
Millionen Euro – allein für das Jahr 2024. Addiert man die in den Ländern
vorliegenden Zahlen, sind seit 2022 deutschlandweit rund 150 Millionen Euro
auf die Konten von Love Scammern geflossen. Mindestens. Der Schaden dürfte
sehr viel höher sein: „Viele Opfer zeigen den Betrug gar nicht erst an“,
heißt es aus allen Bundesländern.
Auch der Betrug durch die falsche Emma Watson gehört zum Dunkelfeld. Ralf
Kohlbrink hat keine Strafanzeige erstattet. Nicht nur aus Scham. Er rechnet
sich auch wenig Chancen aus, sein Geld zurückzubekommen.
Diese Skepsis scheint berechtigt, denn polizeiliche Ermittlungen sind
schwierig. Love Scamming ist ein internationales Geschäft. Die Täter sind
gut organisiert, die meisten sitzen in afrikanischen Ländern und in
Südostasien, die Ermittlungen werden allein dadurch erschwert, dass eine
enge transnationale Zusammenarbeit notwendig wäre, die de facto oft nicht
gelingt. Vor allem in Ländern wie Kambodscha, Laos und Myanmar haben die
Täter ganze Scam Factorys, also Betrugsfabriken, aufgebaut, mit Tausenden
Arbeiter:innen. Viele Beschäftigte dort sind Opfer von Menschenhandel und
werden zum Onlinebetrug gezwungen. Die Geldflüsse erfolgen international,
in der Regel per Bargeldtransfer über Western Union oder MoneyGram.
Die Betrüger:innen setzen verstärkt [2][auf Deepfakes], Echtzeitvideos,
die mit Hilfe von künstlicher Intelligenz in hoher Qualität erstellt werden
können. Die Gefahr, solche Fakes nicht zu bemerken, lauert auf allen
Plattformen. Erste Versicherer bieten im Rahmen ihrer Cyberversicherungen
nun auch den Schutz vor Love Scamming an.
Die [3][Zentralstelle Cybercrime Bayern] ist auf Ermittlungen im Bereich
der Cyberkriminalität spezialisiert, manchmal verfolgt sie auch Fälle von
Love Scamming. Dabei werden digitale Spuren zum Beispiel auf Social Media,
via E-Mail und Messengerdiensten gesichert. „Außerdem verfolgen wir die
Geldflüsse“, erklärt Oberstaatsanwalt Nino Goldbeck.
Die Ermittlungen sind unter diversen Gesichtspunkten herausfordernd. Es ist
in der Regel ein langer und mühseliger Weg, die Täter zu identifizieren und
zu lokalisieren. Sie verwenden ausnahmslos gefälschte Identitäten,
verschlüsselte Kommunikationswege und verschleiern ihre tatsächlichen
Standorte. Viele Täter agieren in organisierten Strukturen. Sie gehen
professionell, arbeitsteilig und systematisch vor, häufig werden auch
professionelle Geldwäschenetzwerke genutzt.
Von Ermittlungserfolgen hört man folglich wenig und Nachrichten wie diese
sind eher selten: In München hat im April ein Prozess gegen zwölf Männer
begonnen. Die Beschuldigten, die aus Nigeria stammen, sollen zur
sogenannten Black-Axe-Bruderschaft gehören, der nigerianischen Mafia. Im
Prozess geht es um Dutzende Fälle von Love Scamming, darunter der Fall
einer Frau, die um rund eine Viertel Million Euro betrogen wurde. Ein
Urteil wird für Dezember erwartet.
In Facebook-Gruppen warnen sich Menschen gegenseitig vor Love Scammern.
Einer der dort meistgenannten ist ein vermeintlicher David Hoffmann. Sein
Foto taucht auch unter anderen Namen auf. Mal heißt der Mann Ben und ist
Pilot, dann nennt er sich Michael und ist Arzt. „Hallo, wir haben einen
gemeinsamen Freund“, schreibt Ben, der angeblich aus Ohio kommt und in
Frankfurt am Main lebt. Als Michael versucht er es anders: „Du hast ein
interessantes Profil, ich würde dich gerne kennenlernen.“ Wer ihm
antwortet, ahnt nicht, dass es diesen Mann gar nicht gibt. Die Fotos, die
die Scammer verwenden, sind gestohlen, die Geschichten, die sie erzählen,
erfunden.
## Was alle Fake-Profile gemeinsam haben
Auch Irene Daniel, angeblich eine geschiedene Ärztin aus Toronto, ist ein
Fake – das Foto, das unter diesem Namen kursiert, zeigt die russische
Politikerin Natalia Poklonskaya, was man schnell mit einer
Rückwärts-Bildersuche bei Google herausfinden kann. Damit lassen sich
Bilder zum Ursprung zurückverfolgen. Doch das müsste man wissen. Und die
Fälschungen fallen kaum auf.
Scam-Frauen geben sich oft als Krankenschwestern, Mitarbeiterinnen in einem
Waisenhaus oder Geschäftsfrauen jeder Art aus. Scam-Männer sind meistens
Ingenieure, Piloten, IT-Spezialisten, Ärzte und besonders häufig
US-Soldaten. Military Scam, so nennt man diese Betrugsform, die sehr
erfolgreich ist: Die falschen Soldaten erzählen Geschichten von schwierigen
Einsätzen, Pflicht und Aufopferung und erschleichen sich so das Vertrauen
ihrer Opfer.
Was alle Fake-Profile gemeinsam haben: Männer wie Frauen sind erfolgreich
und sehr attraktiv. Und immer allein. Mal sind sie verwitwet, mal
geschieden. Und irgendwann geraten sie schließlich in Not, brauchen Hilfe,
weil sie gerade nicht an ihre Konten kommen oder ausgeraubt wurden.
Es sind ähnliche Geschichten, die die Betrugsopfer erzählen, und oft
funktioniert auch die Promi-Masche, auf die Ralf Kohlbrink hereingefallen
ist. So überwies eine 70-jährige pensionierte Beamtin aus Niedersachsen
mehr als 40.000 Euro an Bruce Springsteen, eine Frau aus Niederösterreich
150.000 Euro an Brad Pitt. Auch eine 53-jährige Französin fiel auf einen
falschen Brad Pitt herein: Sie überwies mehr als 800.000 Euro.
Scham und die Überzeugung, mit einer Strafanzeige gar nichts ausrichten zu
können, sind nicht die einzigen Gründe dafür, dass der Polizei viele Fälle
unbekannt bleiben. In den Opferforen finden sich zahlreiche Geschichten von
Söhnen und Töchtern, die verzweifelt versuchen, ihre Mutter oder ihren
Vater davon abzubringen, weiterhin Geld an Scammer zu überweisen.
Zum Beispiel eine Frau namens Vanessa. Ihre Mutter glaubt, sich in einen
„Millionär“ verliebt zu haben, der „keinen Zugriff auf sein Vermögen ha…
schreibt sie in einem Forum. Er gerate deshalb ständig in Not, eine Lüge
nach der anderen tische er ihrer Mutter auf. Er wolle heiraten, aber werde
immer wieder daran gehindert, zu ihr zu kommen. Zuletzt durch einen
Flugzeugabsturz, den er schwer verletzt überlebt habe.
Es sind unglaubliche Ausreden – aber die Mutter glaube ihm, schreibt
Vanessa. Die Mutter schickt dem vermeintlichen Millionär auch Geld. Seit
mehr als einem Jahr. Sie habe mittlerweile alle ihre Ersparnisse verloren
und sei hoch verschuldet, sie könne ihre Miete nicht mehr bezahlen. Die
Familie habe die Polizei um Hilfe gebeten. Doch die Mutter glaube auch den
Polizeibeamten nicht. Strafanzeige erstattet sie nicht, und von Betrug will
sie nichts hören. Jetzt habe sie zu ihren Kindern und allen anderen, die
ihr nahe stehen, den Kontakt abgebrochen. „Sie sagt, wir würden ihr ihr
Glück nicht gönnen“, schreibt die Tochter.
Auf andere Art Opfer geworden ist Bernd Funke, mit dem die taz für diesen
Text gesprochen hat. Der 62-Jährige arbeitet als Fotomodell, seine Fotos
werden von Scammern benutzt. Er erfuhr dies vor acht Jahren, als er in
Düsseldorf im Bus von einer Frau attackiert wurde. Sie war sehr
aufgebracht, erzählt er, sie hielt ihn für den Mann, mit dem sie online
eine Beziehung eingegangen war und dem sie viel Geld überwiesen hatte.
Damals hörte er zum ersten Mal von Love Scamming.
Er war schockiert, als ihm das Ausmaß seines Identitätsdiebstahls bewusst
wurde. Seit Jahren bekommt er Nachrichten von betrogenen Frauen,
mittlerweile antwortet er mit einem Standardanschreiben, verweist auf den
Diebstahl der Fotos. Doch damit geben sich nicht alle zufrieden: Immer
wieder schreiben ihm Frauen, dass sie ihn trotzdem lieben, dass sie ihn
treffen wollen. Er kann es nicht verstehen: „Sie wissen, dass alles ein
Fake ist – trotzdem wollen sie eine Beziehung mit mir aufbauen.“ Zur
Polizei geht er nicht – was würde die schon ausrichten können? Anfangs hat
er selbst noch die Plattformen gebeten, die Bilder zu löschen, heute nimmt
er auch diese Sisyphusarbeit nicht mehr auf sich.
Wie schaffen es Scammer, Menschen in so eine emotionale Abhängigkeit zu
bringen? Lovebombing nennen Psycholog:innen diese Methode, es ist eine
Form des emotionalen Missbrauchs. Die Scammer setzen ihre Opfer unter ein
emotionales Dauerfeuer, überschütten sie mit Komplimenten, Aufmerksamkeit
und Zuwendung. Sie geben ihnen das Gefühl, geliebt und verstanden zu
werden. Sie sind rund um die Uhr da, etwas, was im normalen Leben gar nicht
stattfinden kann.
Diese Gefühle genießen Menschen, der Körper schüttet das Glückshormon
Dopamin aus. Sie wollen mehr davon. Man müsse niemanden persönlich
kennenlernen, um diese intensiven Gefühle zu entwickeln, erklärt die
Kriminalpsychologin Lydia Benecke in einem Interview im Saarländischen
Rundfunk. Eine virtuelle Kommunikation könne die gleichen Gefühle auslösen,
wie wenn man sich gegenübersitze. Diese Gefühle seien real, auch wenn die
geliebte Person nicht existiere.
Die Folgen, die der Onlinebetrug für die Opfer hat, gehen weit über die
finanziellen Schäden hinaus. So betrogen worden zu sein, kann Menschen
nachhaltig traumatisieren, sagt die Münchner Psychotherapeutin Andrea
Dobay am Telefon. In ihrer Praxis häuften sich die Fälle von Menschen, die
Opfer eines Liebesbetrugs geworden sind. Ihrer Erfahrung nach kommen die
Opfer aus allen Schichten, es sei keine Frage der Bildung, ob man auf diese
Art von Betrug hereinfalle. „Die Scammer bedienen die Sehnsucht nach der
großen Liebe und nach der heilen Welt“, erklärt sie.
Die Form der Onlinebeziehung biete zudem die Möglichkeit, sich alles, was
man sich wünsche, auszumalen und zu erträumen, sagt Andrea Dobay. Für ein
Grundproblem hält sie die Einsamkeit: „Menschen wünschen sich so sehr
jemanden kennenzulernen, der sie in ihrem Leben begleitet und der für sie
da ist.“ Das mache sie blind für die Warnzeichen beim Love Scamming. Ihre
Klient:innen hätten sehr wohl gespürt, dass da etwas nicht stimmte,
erzählt sie, doch sie hätten nicht auf dieses Gefühl gehört. Hier setzt
Andrea Dobay mit gesprächs- und verhaltenstherapeutischen Maßnahmen an:
„Die Opfer müssen sich selbst wieder vertrauen lernen.“
Weil die Betrogenen beim Love Scamming einen Selbstwert- und
Vertrauensverlust erleiden, ziehen sich viele zurück und isolieren sich
noch mehr. Vereinzelt werden auch Suizide bekannt. In Essen [4][tötete ein
55-Jähriger] im Juli 2023 sich und seine 19-jährige Tochter. Die
Ermittlungen ergaben, dass er Opfer eines Liebesbetrugs geworden war, einen
fünfstelligen Betrag überwiesen und sich hoch verschuldet hatte. Im selben
Jahr tötete sich eine Frau im Kreis Halle, nachdem sie Opfer eines Love
Scammers geworden war.
Um Betroffenen bei der Bewältigung psychischer Schäden zu helfen, gründen
sich seit einiger Zeit auch [5][Selbsthilfegruppen]. In Nürtingen und in
[6][Regensburg] finden sich Anlaufstellen, auch in Dresden bietet seit
Oktober letzten Jahres eine Selbsthilfegruppe Hilfe an.
Ralf Kohlbrink will sich keine psychologische Hilfe suchen, er denkt, er
schafft es alleine, den Betrug zu verkraften. Er hat die Scammer blockiert.
Der finanzielle Schaden, sagt er, mache ihm schwer zu schaffen. Nur deshalb
habe er immer wieder überlegt, ob er nicht doch zur Polizei gehen sollte.
Doch die Vorstellung, bei seiner kleinen örtlichen Polizeidienststelle
seine Geschichte erzählen zu müssen, alle Beweismittel vorzulegen, auch
diese persönlichen Chats, hält ihn davon ab. Das ist ihm zu peinlich.
Auch mit Menschen darüber zu reden, die ihn kennen, ist ihm unangenehm.
„Meine Freunde würden aus allen Wolken fallen, die haben ein ganz anderes
Bild von mir.“ Ralf Kohlbrink schämt sich für diese „Dummheit“, wie er …
nennt, auch vor sich selbst. Er sagt: „Es begleitet mich jeden Tag, dass
ich mich so habe manipulieren lassen.“
29 Aug 2025
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[2] /Deepfake/!t5618591
[3] https://www.justiz.bayern.de/gerichte-und-behoerden/generalstaatsanwaltscha…
[4] https://essen.polizei.nrw/presse/nach-love-scamming-vater-toetet-19-jaehrig…
[5] https://www.instagram.com/lovescam_selbsthilfe/
[6] https://www.kiss-regensburg.de/aktuelles/detailseite/gruppengruendung-love-…
## AUTOREN
Marion Mück-Raab
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