Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Telefon-Scamming in Russland: Eine perfide Masche mit System
> Ein Anruf vom großen Unbekannten – Telefonbetrug ist in Russland zur
> gängigen lukrativen Methode geworden. Für die Opfer sind die Folgen
> fatal.
Bild: Sind am häufigsten von Betrug betroffen: junge Frauen zwischen 25 und 44…
Ein Telefonanruf von einer unbekannten Nummer. Rangehen? Besser nicht. Eine
85 Jahre alte Einwohnerin von St. Petersburg macht es trotzdem. Zeugen für
das Gespräch gibt es keine. Ihre Nichte informiert die alte Dame erst, als
es längst zu spät ist. Da hat sie bereits sämtliche Ersparnisse in Höhe von
rund 15.000 Euro von ihrem Konto abgehoben und am späten Abend vor ihrem
Wohnhaus einem Mann ausgehändigt.
Im Gegenzug hatte der versprochen, das Geld werde ans – Ohren auf! –
Schatzamt übergeben und dort erfasst. Nach einem Tag erhalte sie die volle
Summe zurück. Geblieben ist ihr nur eine Quittung mit Stempel. Das sollte
den dreisten Raub wohl wie eine Amtshandlung aussehen lassen.
Zwei Tage nach dem Vorfall Anfang Oktober ist ihre Nichte immer noch
fassungslos. Sie erzählt, dass damit fast ihr gesamtes Erbe futsch sei.
Einfach so. Ihre Tante sei von der Sberbank aufgefordert worden, beim
Geldabheben mit einem nahen Angehörigen zu erscheinen. Doch anstatt ihre
Nichte, mit der sie alle zwei Tage telefoniere, um Hilfe zu bitten, habe
die betagte Kontoinhaberin kurzerhand eine Nachbarin mitgenommen. „Meine
Tante hatte Angst, ich würde nicht mitspielen“, erzählt die Nichte
kopfschüttelnd.
Doch damit nicht genug. Die Tante habe den Betrügern auch noch ihre
persönlichen Zugangsdaten für das staatliche Onlineportal Gosuslugi
mitgeteilt. Darüber kann so ziemlich alles abgewickelt werden – sogar die
Aufnahme eines Kredits. Ob es so weit gekommen sei, wisse sie jedoch nicht,
sagt die Nichte.
## Gesamtschaden bisher rund 3 Milliarden Euro
Was nach komplettem Nonsens klingt, beschreibt den Zustand von Teilen der
russischen Gesellschaft prägnanter, als es eine wissenschaftliche Studie
vermag. Sich anderen Menschen anvertrauen? Fehlanzeige. Stattdessen
[1][Misstrauen, Unsicherheit, vielleicht auch soziale Isolation] sowie das
Unvermögen, sich selbst gegen solche Leute zu schützen, die keine Hemmungen
haben, Schwächen der Angerufenen schamlos auszunutzen.
Die Sberbank beziffert den finanziellen Schaden von Telefonbetrug allein
für 2024 auf rund 3 Milliarden Euro. Andere Banken und die russischen
Behörden sind mit ihren Einschätzungen zurückhaltender. Aber das ändert
nichts daran, dass die alte Dame aus St. Petersburg kein Einzelfall ist.
Die Masche hat System.
## Nicht nur alte Menschen sind betroffen
„Man wird so sehr eingelullt und verängstigt, dass der gesunde
Menschenverstand schlichtweg versagt“, sagt die Mitarbeiterin einer St.
Petersburger Sozialeinrichtung, die sich um betagte Menschen kümmert. Sie
hätten schon mit zahlreichen ähnlich gelagerten Fällen zu tun gehabt.
Immerhin habe vor einem Jahr die Anzeige eines ihrer Schützlinge Erfolg
gehabt: Die Polizei habe die Betrüger ausfindig gemacht und für die
Rückgabe des Geldes an seine rechtmäßige Besitzerin gesorgt.
Auch eine Barista und ihre Kundin in einem kleinen Café, nur ein paar
Schritte entfernt von der St. Petersburger Prachtstraße Newskij-Prospekt,
haben zum Thema Telefonbetrug sofort Beispiele aus ihrem weiteren Umfeld
parat. Alles alte Leute.
Aber dieser Eindruck trügt: Anfang des Jahres veröffentlichte die russische
Zentralbank Ergebnisse einer Umfrage zum Thema Sicherheit finanzieller
Dienstleistungen. Darin heißt es, junge Frauen zwischen 25 und 44 Jahren
mit mittlerem Bildungsgrad seien am häufigsten von Betrug betroffen, danach
folgen Männer und Frauen in der Altersgruppe bis 64. Ältere Generationen
landeten auf Platz drei.
## Anstiftung zum Anschlag
Verlorenes Geld lässt sich womöglich noch verschmerzen, verlorene Freiheit
wohl kaum. Derzeit verhandelt ein Militärgericht in St. Petersburg den Fall
des 63-jährigen Pjotr Pustowoj. Betrüger hatten ihn im vergangenen November
[2][per Whatsapp zu einem Terroranschlag aufgefordert]. Pustowoj gestand
die Brandstiftung an einem Eisenbahnabschnittsstellwerk, gab aber an, in
die Irre geführt worden zu sein. Er habe geglaubt, er sei dem
Inlandsgeheimdienst FSB behilflich, „Wanzen zu vernichten“.
23 Oct 2025
## LINKS
[1] /Willkuer-in-Russland/!5929033
[2] /Anwerbeversuche-aus-dem-Ausland/!6111048
## AUTOREN
Vera Bessonova
## TAGS
Kolumne Stadtgespräch
Telefon
Betrug
Russland
St. Petersburg
wochentaz
Beziehung
Longread
Kolumne Krieg und Frieden
## ARTIKEL ZUM THEMA
Sarah Kuttner über Love Scamming: „Mit Verliebten kann man nicht diskutieren…
Sarah Kuttner hat ihre Mutter erst an einen Betrüger, dann an den Tod
verloren – und ein Buch darüber geschrieben. Ein Gespräch über Liebe,
Familie und Therapie.
Liebesbetrug im Netz: With love, emma_watson_2341
Ralf Kohlbrink hat Zehntausende Euro an jemand überwiesen, der sich als die
Schauspielerin Emma Watson ausgab. Ein Fall von Love Scamming.
Tagebuch aus Russland: Mit Überweisungen gegen Spione?
Die ukrainische Stadt Dnipropetrowsk ist eine Hochburg der Telefonbetrüger.
Sie nutzen den Krieg für ihre Maschen.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.