# taz.de -- Tagebuch aus Russland: Mit Überweisungen gegen Spione? | |
> Die ukrainische Stadt Dnipropetrowsk ist eine Hochburg der | |
> Telefonbetrüger. Sie nutzen den Krieg für ihre Maschen. | |
Bild: Von russischen Einheiten gestürmt: ein Callcenter, von dem aus vermutlic… | |
Kürzlich schrieb mir mein ehemaliger Chef über Telegram. Seine Nummer war | |
verdeckt. Er erzählte mir, dass bald eine außerplanmäßige Überprüfung in | |
der Organisation stattfinden würde. Der Grund dafür sei, dass jemand | |
begonnen habe, die Passdaten unserer Mitarbeiter:innen an ausländische | |
Geheimdienste weiterzugeben, und die Strafverfolgungsbehörden nun die | |
Quelle der undichten Stelle ausfindig machen müssten. Er warnte mich, dass | |
sich bald ein Ermittler mit mir in Verbindung setzen würde, um ein Gespräch | |
zu führen. Und tatsächlich klingelte wenige Minuten später eine unbekannte | |
Nummer. Ich lachte und blockierte beide Nummern. | |
Auf dem Foto in Telegram war tatsächlich mein ehemaliger Chef zu sehen, der | |
Direktor einer Film- und Media-Firma in St. Petersburg, und im Chat nannte | |
er mir Namen von Mitarbeiter:innen, die ich kannte. Aber die Firma war vor | |
einigen Jahren geschlossen geworden, und im Chatverlauf fand sich kein | |
Hinweis auf eine Unterhaltung. Das ließ mich sofort vermuten, dass es sich | |
um einen gefälschten Account handelte. | |
Es gibt eine Vielzahl von Betrugsmaschen, aber alle haben das gleiche Ziel: | |
Menschen um große Geldsummen zu bringen. Opfer von Betrüger:innen sind | |
sehr oft Rentner:innen, naive ältere Menschen, die es nicht gewohnt | |
sind, sich der Polizei zu widersetzen. So wurde die Großmutter meiner | |
Freundin um fast 20.000 Euro betrogen. Sie wurde als „Köderfisch“ in eine | |
„geheime Operation“ verwickelt, die angeblich notwendig war, um Spione zu | |
entlarven. Die Frau wurde mehrere Monate lang „bearbeitet“ und streng | |
angewiesen, niemandem davon zu erzählen. Sie nahm Geld von Verwandten, nahm | |
einen Kredit auf, verkaufte ihre Wohnung und überwies den Betrügern ihre | |
gesamten Ersparnisse. | |
Telefonbetrug gab es schon vorher, aber seit Kriegsbeginn hat er in der | |
Ukraine ein unvorstellbares Ausmaß angenommen. Täglich überweisen zwischen | |
50.000 und 70.000 Menschen ihre Ersparnisse an Kriminelle. Und das sind nur | |
die Fälle, die vom russischen Bankensystem registriert wurden, das | |
tatsächliche Ausmaß könnte und dürfte noch größer sein. | |
## Der Krieg hilft, dass die Masche funktioniert | |
Nach Angaben der Sberbank, des größten russischen Geldinstituts, ist die | |
ukrainische Stadt Dnipropetrowsk zur Hauptstadt der Telefonbetrüger | |
geworden. Der Vize-Chef der Bank sagt, dass es in dieser Stadt etwa 350 bis | |
400 Callcenter gibt, die Geld erpressen. Seinen Angaben zufolge lebt in der | |
Region eine russischsprachige Bevölkerung, die mit minimalem Akzent | |
spricht, weshalb die Opfer in Russland ihnen mehr Vertrauen schenken. | |
Dieses Geschäft soll auch in Russland florieren. | |
Die Betrüger erschrecken Menschen oft mit der Behauptung, bald würde von | |
ihren Konten Geld zugunsten der ukrainischen Streitkräfte abgezogen werden. | |
Um das zu verhindern und zugleich einer Strafanzeige zu entgehen, müsse das | |
Geld dringend auf ein „sicheres Konto“ überwiesen werden. | |
In einem Land, das einen Krieg angefangen hat und in dem die Menschen keine | |
Chance auf ein faires Gerichtsverfahren haben, funktioniert diese Masche | |
hervorragend. Und die Polizei kann nichts dagegen tun. | |
[1][Ekaterina Kabanowa] lebt als Journalistin in Russland. | |
Aus dem Russischen von [2][Tigran Petrosyan]. | |
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kritische Journalist:innen vor Ort und im Exil im Rahmen des Projekts | |
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25 Jul 2025 | |
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## AUTOREN | |
Ekaterina Kabanowa | |
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