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# taz.de -- Tagebuch aus Georgien: Die zu vielen Augen von Tblisi
> In der georgischen Hauptstadt kommt eine beängstigende
> Überwachungstechnik zum Einsatz. Sie dokumentiert nicht nur, wer auf eine
> Demonstration geht.
Bild: Mit Farben und Masken gegen die Überwachung: Demonstration in Tblisi fü…
Eines späten Abends, erschöpft vom politischen Chaos und der bedrückenden
Atmosphäre in den Medien, fuhr ich ziellos mit dem Auto durch die Stadt
[1][Tbilisi]. Ich gelangte in einen neuen Park am Rande der
[2][georgischen] Hauptstadt. Es ist der größte Stadtpark – eine riesige
Grünfläche, in der sogar ein Bach läuft. Ein beeindruckender Ort,
eingezwängt zwischen grauen sowjetischen Hochhäusern.
Alle zehn Meter starrten Kameras von den Laternenpfählen. Made in China.
Ich wurde das Gefühl nicht los: Tat ich etwas Verdächtiges? Wie sollte man
sich in einem Park verhalten, um für jemanden, der durch das
Videoüberwachungssystem zusieht, nicht seltsam zu wirken? Ich streckte
meinen Rücken, hob mein Kinn und ging weiter in Richtung der Rustaveli
Avenue im Stadtzentrum.
Hier, in der [3][Rustaveli Avenue], füllen seit mehr als 200 Tagen
Demonstrant:innen diese Prachtstraße. Sie sind hier, weil nach der
Auszählung fast aller Stimmen für die Parlamentswahl die Wahlkommission die
Regierungspartei Georgischer Traum [4][mit 53,9 Prozent] der Stimmen zur
Siegerin erklärt hatte.
Kürzlich wurden auf der ganzen Länge der Rustaveli Avenue neue Kameras mit
[5][Gesichtserkennungstechnik] installiert. Ganz offensichtlich geschah das
nicht zur Überwachung des Straßenverkehrs, sondern zur Überwachung der
Proteste.
## Mit Überwachungstechnologie alles kontrollieren
Die Kameras können das Bild um das 45-Fache vergrößern. Sie kommen von dem
chinesischen Unternehmen [6][Dahua], dessen Produkte in den USA als
Sicherheitsrisiko verboten sind.
Die Gesichtserkennungstechnologie erkennt nicht nur, wer da geht und kann
das Alter und die Identität bestimmen. Nein, sie identifiziert auch
Emotionen wie Angst, Wut und Verwirrung. Die Kameras können automatisch
ihre Ziele verfolgen. In einem von Menschenrechtsaktivist:innen
veröffentlichten Video zoomt die Kamera heran, während ein Demonstrant ein
Plakat liest. Jedes Wort ist zu erkennen.
Das Innenministerium erklärt nie, wie es die Personen identifiziert hat,
die in sein Visier geraten sind. Die meisten sind keine Persönlichkeiten
des öffentlichen Lebens, und sie sind auch nicht unbedingt in sozialen
Netzwerken aktiv. Sie sind einfach nur auf die Straße gegangen, um zu
protestieren.
Und dann werden sie bestraft. Etwa wegen „Blockade der Straßen“ werden
meistens 5.000 Lari (1.500 Euro) Strafe verhängt. Und das in einem Land, in
dem der durchschnittliche Nettolohn bei 1.700 Lari (560 Euro) liegt.
Einige Demonstrant:innen sind jetzt dazu übergegangen, Masken,
Sonnenbrillen oder sogar Karnevalskostüme zu tragen. Dies ist der
verzweifelte Versuch, sich vor dem allsehenden digitalen Auge des Staates
zu verstecken.
Wohin steuert Georgien? Auf den chinesischen Weg der totalen Überwachung?
Auf das russische Modell der Angst und Repression? Oder auf beides? Die
georgische Strategie lautet: Der Staat muss die Menschen gar nicht zum
Schweigen bringen. Es reicht, sie so genau zu beobachten, dass sie von
selbst verstummen.
[7][Tornike Mandaria] lebt und arbeitet als Journalist in Tbilisi. Er war
Teilnehmer eines [8][Osteuropa-Workshops der taz Panter Stiftung].
Aus dem Russischen von [9][Tigran Petrosyan].
Finanziert wird das Projekt von der [10][taz Panter Stiftung].
4 Jul 2025
## LINKS
[1] /Tiflis/!t5028562
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[3] /Proteste-in-Georgien/!6055053
[4] /Wahlen-in-Georgien/!6042753
[5] /Gesichtserkennung/!t5026870
[6] /Spionageverdacht-bei-Elektronikkonzern/!5895170
[7] /Tornike-Mandaria/!a158138/
[8] /taz-Panter-Stiftung/!v=e4eb8635-98d1-4a5d-b035-a82efb835967/
[9] /Tigran-Petrosyan/!a22524/
[10] /Panter-Stiftung/Spenden/!v=95da8ffb-144e-4a3b-9701-e9efc5512444/
## AUTOREN
Tornike Mandaria
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