# taz.de -- Tagebuch aus Kasachstan: Das Urteil lautet: Schweigen, und zwar üb… | |
> In Almaty musste der Journalist Temirlan Yensebek vor Gericht. Sein | |
> Delikt: eine Satire. Seine Strafe: er darf sich nirgends öffentlich | |
> äußern. | |
Bild: Journalisten dürfen sich in Kasachstan nur auf Demonstrationen aufhalten… | |
In Kasachstan wurde jüngst der Journalist und Gründer des | |
Online-Satiremagazin QazNews24, Temirlan Yensebek, zu fünf Jahren | |
Freiheitsentzug verurteilt. Er muss aber nicht ins Gefängnis, er hat | |
lediglich sein Recht auf öffentliches Sprechen verloren, auf Meinungs- und | |
Redefreiheit. | |
Gegenstand des Strafverfahrens gegen Yensebek war ein Beitrag, in dem | |
QazNews24 die russische Propagandistin [1][Tina Kandelaki] [2][verspottet] | |
hatte. Es handelte sich ganz offensichtlich um eine Satire, nicht um Fake | |
News oder gar um einen Aufruf zur Gewalt. Aber im heutigen Kasachstan wird | |
Satire mit Extremismus gleichgesetzt. Die Behörden werten die | |
Veröffentlichung der Satire als „Anstiftung zur interethnischen | |
Feindseligkeit“. | |
Für Yensebek bedeutet dies, dass er in Almaty wie in einem Glaskäfig lebt. | |
Er darf zwar auf die Straße gehen, aber er hat kein Recht, sich öffentlich | |
zu äußern, zu publizieren, als Journalist zu arbeiten, an Kundgebungen und | |
Rundtischgesprächen teilzunehmen. Er darf keine Petitionen unterschreiben, | |
keine sozialen Netzwerke betreiben und sich nicht für Menschenrechte | |
engagieren. So funktioniert das Regime des erzwungenen Schweigens. | |
## Alle Bankkonten sind gesperrt | |
Nach dem Urteil wurde Yensebek in die offizielle Liste der „Personen, die | |
Terrorismus und Extremismus finanzieren“ aufgenommen. Dies wurde im Urteil | |
so festgeschrieben, obwohl Yensebek niemanden finanziert hat. Jetzt sind | |
alle seine Bankkonten gesperrt. Er kann keine notariellen Dienstleistungen | |
in Anspruch nehmen oder sich Dokumente ausstellen lassen. | |
„Er steht praktisch unter einer wirtschaftlichen und rechtlichen Blockade“, | |
sagt Maria Kochneva. Sie ist seine Verlobte, mit ihr habe ich vor einigen | |
Tagen gesprochen, und sie ist die einzige Informationsquelle darüber, wie | |
Yensebeks Leben derzeit aussieht. Sie berichtet, wie das Paar gegenwärtig | |
lebt: viele Einschränkungen, Hausarrest, seltene Spaziergänge – und die | |
sind nur bis 22 Uhr erlaubt. Danach darf er das Haus nicht mehr verlassen. | |
Eine Kontrolle kann jederzeit bei ihm zu Hause vorbeikommen. | |
Die Strafe gegen Temirlan Yensebek wirkt etwa wie eine digitale Fußfessel. | |
Er ist nicht inhaftiert, aber jeder seiner Schritte wird überwacht. | |
Yensebek ist nicht angekettet, sondern einfach stummgeschaltet, aus der | |
Sendung herausgeschnitten, aus dem öffentlichen Leben entfernt. | |
Yensebek kann nicht arbeiten – wegen seines Status als „Extremist“ weigern | |
sich Arbeitgeber, ihn einzustellen. Er kann sein Projekt nicht weiterführen | |
– aufgrund der auferlegten Beschränkungen existiert QazNews24 ohne ihn | |
weiter. Sein Instagram-Account und seine E-Mail-Adresse wurden gehackt. | |
Diese Geschichte ist nicht nur eine persönliche Tragödie. Sie ist | |
symptomatisch. In Kasachstan kann man heute nicht nur für Gewalt bestraft | |
werden, sondern auch für Ironie und Satire. Menschen werden nicht ins | |
Gefängnis gesteckt, sondern aus dem öffentlichen Raum getilgt. Ihr Leben | |
wird still – zu still, um gehört zu werden. | |
[3][Nikita Danilin], Jahrgang 1996, ist ein Journalist aus Almaty | |
(Kasachstan). Er war Teilnehmer eines [4][Osteuropa-Workshops der taz | |
Panter Stiftung]. | |
Aus dem Russischen von [5][Tigran Petrosyan]. Finanziert wird das Projekt | |
von der [6][taz Panter Stiftung]. | |
27 Jun 2025 | |
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[3] /Archiv/!s=&Autor=Nikita+Danilin/ | |
[4] /taz-Panter-Stiftung/!v=e4eb8635-98d1-4a5d-b035-a82efb835967/ | |
[5] /Tigran-Petrosyan/!a22524/ | |
[6] /Panter-Stiftung/Spenden/!v=95da8ffb-144e-4a3b-9701-e9efc5512444/ | |
## AUTOREN | |
Nikita Danilin | |
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