# taz.de -- Schuldenfalle Multi-Level-Marketing: Verheißung im Netz | |
> Steffi glaubt: Wenn sie nur genug Produkte verkauft, genug Leute in ihr | |
> Team holt, ist sie bald finanziell unabhängig. Es kommt anders. Wie | |
> Multi-Level-Marketing Menschen zermürbt. | |
Bild: Zwischen Momguilt und Mindset: Wenn sie langfristig mehr Zeit für ihre K… | |
Jedes Mal, wenn Steffi die Zweifel kamen, tippte sie auf „Play“ und ließ | |
sich von der tiefen, ruhigen Erzählstimme daran erinnern, dass sie kein | |
Rindvieh war. Nein, sie gehörte nicht auf die Weide zu den dümmlich | |
dreinblickenden, dauerjammernden „professionellen Opfern des Systems“. Die | |
sich mit einem regelmäßigen Einkommen begnügten, mit ein paar Wochen Urlaub | |
im Jahr und einer Rente, die kaum zum Leben reichte. Während Steffi ihr | |
Kind zur Kita fuhr, hörte sie: „Es ist leicht, pleite, arm, erbärmlich, | |
unglücklich und übergewichtig zu sein.“ Während sie die Wäsche | |
zusammenlegte: „Es ist leicht, gelangweilt und frustriert zu sein.“ Während | |
sie Einkäufe machte: „Es ist leicht, seine Ziele und Träume aufzugeben.“ | |
Und während sie das Abendessen vorbereitete: „Es ist leicht, einfach | |
dazusitzen und die Dinge geschehen zu lassen.“ | |
Nein, Steffi war keine Kuh, die für so was Banales wie Lohnfortzahlung im | |
Krankheitsfall jegliches Risiko mied. Steffi war ein Nashorn, das bereit | |
war, den Dschungel zu durchqueren, um auf der anderen Seite in | |
kristallklarem Wasser zu baden. Und endlich ein selbstbestimmtes, | |
finanziell unabhängiges Leben zu führen. | |
Über die Zeit, in der Steffi sich mehrmals am Tag dieses Hörspiel reinzog, | |
sagt sie heute: „Das war Ü-BEL“, und lacht dabei herzlich und laut. Und | |
das, obwohl an dieser Phase ihres Lebens, die von Manipulation, Isolation | |
und Wesensveränderung handelt, eigentlich gar nichts lustig ist. Ein Jahr | |
lang hat sie versucht, sich ein eigenes kleines Business aufzubauen. Das | |
Geschäftsmodell: Multi-Level-Marketing. Am Ende, drei Jahre ist das her, | |
war sie krank, hatte mehrere Tausend Euro verloren und erkannte sich selbst | |
nicht wieder. | |
Multi-Level-Marketing, auch Network-Marketing oder Strukturvertrieb | |
genannt, ist eine besondere Form des Direktvertriebs. Beim Direktvertrieb | |
werden Produkte und Dienstleistungen außerhalb von Geschäftsräumen an den | |
Endverbraucher verkauft. Also beispielsweise im Wohnzimmer, prominente | |
Beispiele waren hier viele Jahrzehnte Tupperware oder Vorwerk: | |
Selbstständige Geschäftspartner:innen kamen zu einem nach Hause, | |
brachten Sekt und gute Laune mit, am Ende hatte man [1][viele neue | |
Butterbrotdosen] oder einen Thermomix gekauft und die | |
Geschäftspartner:innen erhielten dafür Provisionen. [2][Beim | |
Multi-Level-Marketing], das aus diesem Modell hervorgegangen ist, ist der | |
Verkauf von Produkten Mittel zum Zweck. Im Zentrum steht das Anwerben | |
weiterer Verkäufer:innen, auf deren Umsatzleistungen die Anwerber:innen | |
Provision kassieren. | |
Anders als beim bloßen Direktvertrieb geht es beim Multi-Level-Marketing um | |
verschiedene Karrierestufen und darum, sich ein eigenes Team aufzubauen, | |
von dessen Erfolg man profitiert. Die Struktur dieses Netzwerks ist | |
aufgebaut wie eine Pyramide: Menschen rekrutieren Menschen, die wiederum | |
Menschen rekrutieren. Je mehr Personen sich unter einem befinden, desto | |
höher die Einnahmen | |
## Im Graubereich zum Schneeballsystem | |
Wenn es lukrativer ist, immer mehr Menschen in das Vertriebssystem | |
einzugliedern, als bloß Produkte zu verkaufen, dann handelt es sich meist | |
um sogenannte „Pyramid Schemes“ oder Schneeballsysteme. Die sind in | |
Deutschland eigentlich illegal, da sie schnell zusammenbrechen und Menschen | |
Geld verlieren. Viele Unternehmen mit Vertriebsmodell Multi-Level-Marketing | |
operieren jedoch in einem Graubereich. | |
Um möglichst viele Leute fürs Geldverdienen zu gewinnen, eignet sich das | |
Internet natürlich hervorragend. Mittlerweile hat sich das jahrzehntealte | |
Prinzip „Tupperparty“ ins Netz verlagert und dort ganz neue Dimensionen | |
angenommen. Wer gerne Mal ein bisschen Zeit auf Social Media verbringt, | |
stößt früher oder später auf Menschen, die davon schwärmen, durch ihre neue | |
selbstständige Tätigkeit als Partner:in von Unternehmen XY endlich an | |
einem Punkt in ihrem Leben zu sein, den sie sich nie hätten erträumen | |
lassen. In ihren Facebook-Posts und Instagram-Storys liest man vom Ausbruch | |
aus dem 9-to-5-Hamsterrad, von einem liebevollen und unterstützenden Team, | |
von passivem Einkommen, weitsichtiger Altersvorsorge, von Autos zu | |
günstigen Konditionen und endlich mehr Zeit für die Kinder. „Interesse? | |
Schreib mir eine DM!“ | |
Oft richtet sich die Ansprache an Frauen in finanzieller Abhängigkeit, die | |
nun endlich die Chance bekämen, ihr Leben umzukrempeln. Denn mit ein | |
bisschen Disziplin könne jede zur toughen Unternehmerin werden, zum | |
#bossbabe, die ihr Schicksal selbst in die Hand nimmt. | |
Bei Steffi verfing diese Erzählung wohl auch, weil sie „zum genau richtigen | |
Zeitpunkt“ von einer Bekannten auf Instagram kontaktiert wurde. Steffis | |
damaliger Lebensgefährte war kurz zuvor einfach abgehauen, sie saß mit Baby | |
und Kleinkind komplett allein da. Geldsorgen, Zukunftsangst und, vielleicht | |
das Schlimmste, „Mom Guilt“ – dieses Gefühl also, den Kindern nicht gere… | |
zu werden. Denn wie viel Zuwendung würde sie in dieser prekären Lage | |
künftig für sie übrig haben, was wird sie ihnen mal ermöglichen können? | |
Steffi, die damals als Zahnarzthelferin arbeitete, stieg beim Kosmetik- und | |
Nahrungsergänzungsmittelunternehmen LR Health & Beauty ein. „Und dann bin | |
ich einfach hart abgestürzt.“ | |
## Angebliche Festgehälter, die es gar nicht gibt | |
Die taz hat mit mehreren Frauen gesprochen, die als | |
Vertriebspartner:innen von LR Ähnliches erlebt haben wie Steffi. Da | |
ist Nathalie, die während der Elternzeit „unbedingt finanziell etwas | |
beitragen wollte“ und sich am Ende fast von ihrem Partner trennt. Da ist | |
Sarah, die sich irgendwann dabei ertappt, wie sie anderen Müttern auf | |
Instagram ein schlechtes Gewissen einredet und angebliche Festgehälter | |
verspricht, die es gar nicht gibt. Da ist Lena, die auf einer Veranstaltung | |
des Unternehmens dazu aufgefordert wird, ihr gesamtes Adressbuch im Handy | |
abzutelefonieren, um Produkte zu verkaufen. Die sich dafür schämt, es aber | |
trotzdem macht. | |
Sie alle wollen nicht mit ihrem echten Namen in der Zeitung stehen und | |
haben mit dieser Phase ihres Lebens abgeschlossen. Trotzdem ist es ihnen | |
wichtig, dass andere nicht in dieselbe Situation geraten wie sie damals. Da | |
sich die Erfahrungsberichte in den zentralen Punkten ähneln, soll Steffis | |
Geschichte hier im Fokus stehen. | |
LR gibt es seit Anfang der 1980er-Jahre, die Firma hat ihren Sitz im | |
westfälischen Ahlen. Anfangs noch spezialisiert auf Kosmetikprodukte und | |
Parfüms, dreht sich bei LR mittlerweile alles um das Thema Gesundheit. | |
Bestseller sind Kapseln, Sprays und Drinking Gels für ein stärkeres | |
Immunsystem, stabilere Knochen und den perfekten Stoffwechsel. 2023 machte | |
das Unternehmen laut eigenen Angaben 276,3 Millionen Euro Umsatz, es hat | |
weltweit etwa 1.200 Mitarbeiter:innen, 700 davon sitzen in Ahlen. Dazu | |
kommen die Vertriebspartner:innen, und deren Zahl gibt LR mit | |
„>300.000“ an. | |
Im Grunde kann man an dieser Stelle schon innehalten und eine einfache | |
Rechnung anstellen. 276 Millionen durch 300.000 wären 920 Euro Umsatz pro | |
Person im Jahr. Von diesem Umsatz bliebe der Vertriebspartnerin ja nur eine | |
Provision. Auf den Monat gerechnet ist das also kaum der Rede wert. | |
„Wenn auf meinem Kontoauszug 5 Euro von LR standen, dann war das viel“, | |
sagt Steffi heute. Aber beirren ließ sie sich davon nicht, im Gegenteil. In | |
regelmäßigen Onlinemeetings mit ihrem Team hört sie, dass das ganz normal | |
sei, dass man eben erst mal alles geben müsse, richtig reinhauen, damit | |
sich irgendwann die ganz große Belohnung einstelle: ein regelmäßiges gutes | |
Einkommen. Organisiert werden die Meetings von Personen in Steffis | |
„Upline“, also Vertriebspartner:innen, die in der Pyramide über ihr stehen | |
und großes Interesse daran haben, dass Steffi weitermacht. Denn von Steffis | |
Verkäufen und Rekrutierungen profitieren auch sie. | |
## Positives Mindset, Meditation, Selbstreflexion und | |
Persönlichkeitsentwicklung | |
Keine dieser „Orgaleiterinnen“, wie die Position offiziell bezeichnet wird, | |
ist bei LR festangestellt, Steffi und ihre neuen Kolleg:innen haben nie | |
einen Vertrag oder eine sonstige Vereinbarung mit dem Unternehmen | |
unterschrieben. Worüber sie in den Meetings sprechen, ist allein ihre Sache | |
– LR hat damit nichts zu tun. Und so geht es dort nicht um Buchhaltung und | |
wirtschaftliches Arbeiten, sondern vor allem um Dinge, die Spaß machen: | |
positives Mindset, Meditation, Selbstreflexion und | |
Persönlichkeitsentwicklung. Sie fertigen gemeinsam Vision Boards über ihre | |
Träume und Wünsche an, immer kreist alles um die Frage: Was ist dein WARUM? | |
Für Steffi, so erzählt sie es, sind diese intimen Gespräche mit anderen | |
Frauen genau das, was sie in diesem Moment braucht. Und auch der | |
gegenseitige Ansporn, alles zu geben, tut ihr gut. Vorher sei sie uferlos | |
gewesen, ohne Richtung, plötzlich habe sie gemerkt, zu was sie eigentlich | |
in der Lage sei: „24/7 nur am Arbeiten, ich wusste gar nicht, dass ich das | |
konnte.“ In den ersten Monaten ist Steffi von dieser neuen | |
Work-hard-play-hard-Mentalität in ihrem Leben euphorisiert, es fühlt sich | |
für sie an, als habe sie „wieder Fuß gefasst, wieder Motivation gefunden“. | |
Steffi und die anderen Frauen bekommen von ihrer Orgaleiterin einen | |
Aufgabenplan: Täglich von Montag bis Sonntag sollen sie jeweils drei Videos | |
auf allen gängigen Social-Media-Plattformen hochladen, dazu 100 bis 300 | |
Menschen kontaktieren. Die berufstätige und alleinerziehende Steffi steht | |
also um 4 Uhr morgens auf und schneidet Clips zusammen, die sie bei | |
Unternehmungen mit ihrer Familie zeigen, darüber die Worte: „Ich liebe es | |
so sehr, dass ich mit meinen Kindern spazieren und gleichzeitig arbeiten | |
kann. Du willst dir auch 250, 500, 1500, 2000 Euro dazuverdienen? Meld dich | |
bei mir.“ | |
In der Mittagspause überlegt Steffi sich Videokonzepte für den nächsten | |
Tag, nach Feierabend hat sie entweder Sitzungen mit ihrem Team oder geht | |
auf Instagram live, um die Produkte anzupreisen. Die Versprechen, die | |
Steffi anderen macht, kommen ihr nicht wie eine Lüge vor. Dabei hat sie zu | |
dem Zeitpunkt selbst noch keinen Cent von LR bekommen, aber dafür schon | |
jede Menge Zeit investiert. Und Geld. | |
## Statt Geld zu verdienen, gibt man welches aus | |
Denn wer bei LR und den meisten anderen Multi-Level-Marketing-Unternehmen | |
wie Forever Living Products, JuicePlus oder Ringana als | |
Vertriebspartner:in einsteigen will, kommt meist um eine Art | |
Startgebühr nicht herum. Steffi kaufte sich zu Beginn auf Anraten der | |
anderen Frauen ein „LR Starterpaket Profi Business“. Das kostet 584,80 Euro | |
und beinhaltet einen eigenen LR-Onlineshop, ein Produkthandbuch und | |
allerlei LR-Ware, vom „5in1 Beauty Elixir“ bis zur „Aloe Vera Smoothing | |
Handcreme“ zum Ausprobieren. | |
Das „Starterpaket Profi Business“ hat außerdem einen Punktwert von 1.500. | |
Punktwerte (PW) sind die Währung bei LR. Wer weiterkommen will, muss Punkte | |
sammeln. Indem man Produkte verkauft und indem man für sich selbst shoppt. | |
Für 100 PW muss man monatlich im LR-Onlineshop Produkte einkaufen – für den | |
persönlichen Gebrauch. „Schecksicherung“ nennt sich das, weil ohne diese | |
Investition alle anderen Punkte, die man durch Rekrutierungen und Verkäufe | |
gesammelt hat, wieder verfallen. | |
Laut Unternehmen sind 100 PW „etwa 40 Euro“, doch ein Blick in den | |
LR-Einkaufswagen zeigt, dass es eher zwischen 50 und 100 Euro sind. Denn es | |
gibt keinen klaren Wechselkurs, gleichteure Produkte werden mit | |
unterschiedlichen PW bewertet. Und so ist man mit einer Bodylotion, einer | |
Erwachsenen- und einer Kindersonnencreme bei knapp 50 Euro und hat erst 70 | |
PW zusammen. | |
Steffi beginnt also, sich regelmäßig Drinking Gels, Cremes und Kapseln zu | |
kaufen und verbringt viel Zeit damit, Menschen zu finden, die ihr ein | |
Starterpaket Profi Business abkaufen. In den Workshops, die sie besucht, | |
wird ihr empfohlen, zuallererst bei der Familie und engen Freunden | |
anzufangen – die sogenannte „Warmakquise“. Denn meist besteht da | |
wechselseitig bereits ein Vertrauensverhältnis und die Oma oder beste | |
Freundin möchte aus Solidarität gerne mithelfen beim Schritt in die | |
Selbstständigkeit. Auch Steffis erste Kundinnen sind ihre Tante und ihre | |
Mutter, die für jeweils fast 600 Euro bei ihr einkaufen, „weil die wollten | |
mich ja unterstützen, die Armen“. | |
## Kritiker:innen heißen „Murphys“ | |
Steffi grast ihren gesamten Bekanntenkreis ab und stößt dabei auch auf viel | |
Ablehnung. „Du gehst denen ja voll auf den Nerv und bist dann erst mal | |
schön unten durch“, sagt sie. Damals, so erzählt sie es heute, treibt sie | |
diese Ablehnung an, sie hat im Seminar gelernt, dass das passieren kann. | |
Dass Menschen versuchen werden, ihr die Idee mit dem eigenen Business | |
auszureden und sie Abwertung und Neid erfahren wird. | |
Sie lernt die Erzählung von der Kuh und dem Nashorn kennen, [3][aus dem | |
Hörspiel „Murphy’s Komite]e“. Das soll Steffi laut ihrer Orgaleiterin bei | |
all ihren täglichen Erledigungen immer und immer wieder hören, es dauert | |
eine Dreiviertelstunde. Darin erzählt der selbsternannte | |
Multi-Level-Marketing-Experte Jerry Clark von dämlichen Kühen, die mit | |
ihren ewigen Bedenken und einem nervtötenden Pessimismus versuchen würden, | |
den Nashörnern das Leben schwer zu machen. Diese Kühe – er nennt sie | |
„Murphys“ – seien erschaffen worden, um zu testen, ob das Nashorn es | |
wirklich ernst meine mit seinem Versuch, den Dschungel zu durchqueren. Die | |
Murphys würden mit ihren kritischen Anmerkungen in Wahrheit dabei helfen, | |
den Charakter des Nashorns zu festigen – und so die Spreu vom Weizen zu | |
trennen. Am Schluss würde man es all den missgünstigen Murphys gezeigt | |
haben. Steffi nimmt das Wort „Murphy“ schnell in ihren Sprachgebrauch auf. | |
„Wenn mir jemand dumm von der Seite kam, hab ich mir gedacht: ‚Jaja, lass | |
mich in Ruhe, du bist halt so ’n Murphy.‘“ | |
Nachdem es in ihrem Bekanntenkreis niemanden mehr gibt, den sie noch fragen | |
könnte, legt Steffi erst so richtig los. Im Seminar hat sie gelernt, online | |
nach Menschen zu suchen, die ihr ähnlich sind. Denn mit denen hätte sie ja | |
gleich ein Gesprächsthema, man könne sich gut in die jeweils andere Person | |
hineinversetzen, ein Vertrauensverhältnis aufbauen. | |
Und so schreibt Steffi Hunderte Frauen am Tag an, die irgendwann mal einen | |
Social-Media-Post mit dem Hashtag #alleinerziehend, #elternzeit oder | |
#mutterleben abgesetzt haben. Sie sucht nach Menschen wie ihr selbst, die | |
mit kleinen Kindern zu Hause sitzen – das Geld ist knapp und der Druck, | |
eine gute Mutter zu sein, groß. Steffi erzählt ihnen das Gleiche, was sie | |
selbst ständig zu hören bekommt: Dass sie bloß ein Jahr richtig durchziehen | |
müssten, eine einzelne finanzielle Investition tätigen, und dann stehe dem | |
selbstbestimmten Leben nichts mehr entgegen. Gratis obendrauf: Eine | |
Community aus Gleichgesinnten, die sich gegenseitig zuhört und motiviert. | |
Steffi bemerkt, wie es in dieser Community von Woche zu Woche immer intimer | |
zugeht. Die Frauen sitzen bis spät in den Abend über Zoom zusammen, mit | |
müden Augen, ihre quengelnden Kinder auf dem Schoß. „Einmal sollten wir all | |
unsere Krankheiten, die von außen nicht sichtbar sind, auf einen Post-it | |
schreiben und uns auf die Stirn kleben“, erzählt Steffi. „Depressionen“ | |
habe man da oft gelesen. Steffi selbst leidet an Morbus Crohn, einer | |
Darmerkrankung. Auch war sie lange übergewichtig, hat aber in dieser Zeit | |
viel abgenommen. Sie ist sich sicher, dass das am Stress liegt, und an der | |
Scheidung, durch die sie gerade geht. | |
## Das Ziel: Neue Vertriebspartner:innen rekrutieren | |
Die anderen Frauen sind ganz entzückt von ihren Vorher-nachher-Bildern, | |
Steffis Begründung mit der Scheidung wollen sie nicht hören. Stattdessen, | |
so wird ihr eingeredet, sei die Gewichtsabnahme ja wohl eindeutig auf die | |
Produkte zurückzuführen. Und auch ihr Morbus Crohn sei doch aktuell gut in | |
Schach, sicherlich durch das Aloe Vera Drinking Gel? Heute sagt Steffi: | |
„Wenn die Psyche mitspielt, kann man natürlich auch ein Glas Wasser trinken | |
und sich einbilden, dass das alle Probleme löst.“ Doch sie fängt an, der | |
Erzählung mit dem Morbus Crohn und dem Drinking Gel zu glauben. Eine | |
Flasche kostet 40 Euro, sie trinkt sie täglich. | |
Steffi preist die Produkte daraufhin auch Menschen an, die auf Instagram | |
über ihre Autoimmunerkrankungen berichten. Steffis Morbus Crohn wird das | |
erste Mal in ihrem Leben zum Vorteil, sie hat als Vertriebspartnerin an | |
Glaubwürdigkeit gewonnen. Für diese Form der aggressiven und irreführenden | |
Werbung stehen Multi-Level-Marketing-Unternehmen immer wieder in der | |
Kritik. | |
Die taz hat LR damit konfrontiert, dass Vorgehensweisen wie die von Steffi | |
eigentlich gegen die Compliance-Regeln des Unternehmens verstoßen. Eine | |
Sprecherin erwidert schriftlich, dass das Unternehmen „umgehend | |
einschreitet“, wenn Vertriebspartner:innen „gesundheitsbezogene | |
Aussagen“ tätigen, die „innerhalb der gesetzlichen Rahmenbedingungen nicht | |
zulässig sind“. Es gebe einen Hinweis auf der Website, dass die Produkte | |
keine Arzneimittel seien, außerdem habe man die Möglichkeit, sich | |
vertrauensvoll via Whistleblower-Postfach an das Unternehmen zu wenden, | |
wenn unzulässiges Verhalten beobachtet werde. | |
Steffi jedenfalls erlebt damals kein Einschreiten von Seiten des | |
Unternehmens. Doch obwohl sie sich von nun an vermehrt an Personen mit | |
Autoimmunkrankheit wendet, reichen ihre Verkäufe noch lange nicht. Statt | |
Menschen, die ihr hin und wieder mal ein Drinking Gel abkaufen, braucht sie | |
welche, die mit einsteigen wollen. Sie erweitert ihren Radius auf die | |
Plattform Kleinanzeigen und kontaktiert Personen, die dort nach einem | |
Minijob suchen. | |
Für Steffi und die anderen Frauen in ihrem Team steht ganz klar im Fokus, | |
neue Vertriebspartner:innen zu rekrutieren. Einzelne Produkte zu | |
verkaufen, bringt ihnen nicht mehr als ein paar Euro im Monat. | |
Karrierestufen wie den „Junior Manager“ und damit einhergehende Boni | |
erreicht man erst mit einer funktionierenden „Downline“ – also mit | |
ausreichend Menschen unter sich. Klingt nach Schneeballsystem. Wenn das | |
aber illegal ist, warum darf LR in Deutschland offenbar so operieren? | |
## Lobbyarbeit in den USA | |
An einem Nachmittag im Frühsommer sitzt Claudia Groß vor ihrer Laptopkamera | |
und bittet vorab darum, ihre Zitate nochmal zugeschickt zu bekommen. Sie | |
wolle sichergehen, dass ihre Aussagen über diese umstrittene Branche | |
korrekt formuliert seien, sagt sie. Groß ist Assistant Professor an der | |
Universität Nimwegen in den Niederlanden. Sie ist eine von sehr wenigen | |
Forschenden in Europa, die sich mit Multi-Level-Marketing beschäftigen, | |
was, wie sie sagt, „auch daran liegt, dass das Thema in der | |
Betriebswirtschaftslehre eher ein Randphänomen ist“. Ursprünglich kommt | |
Groß aus der Soziologie und sieht Multi-Level-Marketing genau an der | |
Schnittstelle. | |
Der Missbrauch persönlicher Beziehungen, falsche Aufstiegsversprechen, der | |
Zwang, monatlich Geld zu investieren, um die erwirtschafteten Provisionen | |
ausgezahlt zu bekommen: Dazu passe der Ausdruck „lawful but awful“, sagt | |
Groß. Auf Deutsch: „Zwar rechtmäßig, trotzdem furchtbar.“ Ist also die | |
Gesetzgebung das Problem? „Ja“, sagt Claudia Groß. Dass sich | |
Multi-Level-Marketing-Unternehmen in der EU wenig Sorgen machen müssten, | |
habe man Lobbyarbeit aus den USA zu verdanken. Dort gilt jeder | |
Selbstständige gleichzeitig auch als Verbraucher und hat ein Recht auf | |
Schutz vor Schneeballsystemen. Den US-amerikanischen Lobbyisten sei es | |
wichtig gewesen, das für die EU zu verhindern: Durch ihr Wirken ist die | |
EU-Richtlinie nun so formuliert, dass man als selbstständiger | |
Vertriebspartner den Status als Verbraucher verliert. | |
Die betreffenden Unternehmen können sich der Richtlinie so weitgehend | |
entziehen. Denn beim Multi-Level-Marketing werden Verbraucher:innen | |
vermeintlich zu Geschäftsleuten. Sie erhalten einen neuen Status und fallen | |
so nicht mehr unter die Direktive. „Dass eine 80-jährige Oma, die nur ins | |
Business eingestiegen ist, um ihren Enkel zu unterstützen, keine | |
Geschäftsfrau ist, müssen Ankläger erst einmal nachweisen“, sagt Claudia | |
Groß. Die Beweislast liegt nicht beim Unternehmen, sondern bei der | |
Staatsanwaltschaft. „Und dieser Nachweis ist so teuer und zeitaufwendig, | |
dass er so gut wie nie erbracht wird.“ | |
Die Wissenschaftlerin hält die Schneeballsystemdefinition der EU zudem für | |
zu vage. Im Kern besagt die Richtlinie, dass es sich um ein | |
Schneeballsystem handele, sobald das Anwerben neuer | |
Vertriebspartner:innen in das System mehr Erfolg bringe, als der | |
Verkauf der Produkte. Was „mehr Erfolg“ bedeutet, ist aber völlig unklar. | |
Operiert ein Unternehmen schon im legalen Bereich, wenn es 51 Prozent des | |
Umsatzes durch Endverbraucher:innen erzielt, die die Produkte bei | |
Vertriebspartner:innen einkaufen? Oder müssen es 70 bis 80 Prozent | |
sein? | |
Niemand kontrolliere das, sagt Claudia Groß. Für Vertriebssysteme gibt es | |
keine Beschwerdestelle, keine Aufsichtsbehörde. Der Verbraucherschutz | |
[4][befasse sich nur mit der Qualität von Produkten]. Wenn das Aloe Vera | |
Drinking Gel beispielsweise Ausschlag erzeugen würde, dann stünde LR rasch | |
im Fokus. Doch höchst fragwürdige Praktiken wie das exzessive Rekrutieren | |
neuer Mitglieder, die mit Heilsversprechen verknüpften Produkte und | |
überzogene Behauptungen zum finanziellen Aufstieg würden von behördlicher | |
Seite schlicht nicht wahrgenommen. | |
## Von 10.000 Vertriebspartner:innen wird eine Person reich | |
Multi-Level-Marketing-Unternehmen sind nicht verpflichtet, Auskunft darüber | |
zu erteilen, wie genau sie arbeiten und was Vertriebspartner:innen | |
verdienen. Darüber hinaus haben sich die Firmen natürlich abgesichert. In | |
ihren Verhaltenskodizes legen sie dar, dass niemand 600 Euro zahlen müsse, | |
um einzusteigen, dass aggressives Marketing untersagt und überzogene | |
Heilsversprechen ebenfalls ein No-Go seien. Was in den selbstorganisierten | |
Meetings und Workshops der Vertriebspartner:innen passiert, braucht | |
sie daher nicht unbedingt zu interessieren – es sind ja keine Angestellten | |
involviert. Wenn sich Post-it-Zettelchen auf die Stirn geklebt und | |
Hörspiele verordnet werden, können sich Unternehmen von diesen „schwarzen | |
Schafen“ distanzieren. Auf das Hörspiel angesprochen, teilt LR mit, dass | |
das Unternehmen keinerlei Unterlagen für die selbstorganisierten Meetings | |
der Vertriebspartner:innen bereitstelle. | |
Von 10.000 Vertriebspartner:innen werde im Schnitt eine Person reich, | |
sagt Claudia Groß. Für ein Einkommen, das zum Leben reicht, brauche man 500 | |
Menschen in der eigenen Downline. „Da aber die allermeisten | |
Neurekrutierten innerhalb von einem halben Jahr aufhören, müsste die | |
Gruppe eigentlich 1.500 bis 2.000 neue Vertriebspartner:innen im Jahr | |
dazugewinnen.“ Das sei im Grunde nicht zu schaffen, allein der Versuch | |
koste enorm viel Zeit. „Und dann besuche ich ja noch Meetings und | |
Workshops, fahre zu Kunden, mache Posts für Social Media.“ Würde man sich | |
die eigenen Arbeitsstunden aufschreiben, wäre schnell klar, dass das mit | |
effektivem Unternehmertum nichts zu tun habe. „Doch stattdessen wird | |
gemeinsam visualisiert, manifestiert, gehofft und sich gegenseitig für die | |
allerkleinsten Erfolge hochgejubelt.“ | |
Ohne Ende gejubelt wird auch in den Mehrzweckhallen dieses Landes, wo | |
Multi-Level-Marketing-Unternehmen regelmäßig ihre „Business Days“ abhalte… | |
Vor Hunderten Vertriebspartner:innen aus der ganzen Bundesrepublik | |
stellen die CEOs dann beispielsweise neue Produktlinien vor, die über | |
Bestellformulare am Ausgang gleich erworben werden können. Wichtigster | |
Tagesordnungspunkt dieser mehrstündigen, meist als große Show inszenierten | |
Veranstaltungen ist allerdings das kollektive Abfeiern. Dutzende | |
Vertriebspartner:innen, vom Junior Manager über den Bronze-Orgaleiter bis | |
hin zur Sterne-Präsidentin werden zu emotionaler Musik auf die Bühne | |
geholt, mit Urkunden, Blumen und Konfetti überhäuft, es werden Schecks | |
überreicht und Tränen aus dem Gesicht gewischt. | |
Ein Video des LR Business Day im April in Göttingen ist noch Wochen später | |
auf der Website des Unternehmens abrufbar. Zur Melodie von Mission | |
Impossible joggt darin auch Sven Werchan ans Mikro. Der Ernährungsberater | |
ist Leiter der „LR-Gesundheitsakademie“, als Arzt habe er nun eine | |
persönliche Botschaft: „Ihr bringt Aloe Vera zu den Menschen, die Königin | |
der Heilpflanzen“, ruft er ins Publikum. „Ich weiß nicht, wie viele | |
Flaschen durch den Stoffwechsel der Menschen gegangen sind, wegen euch.“ Er | |
spricht von Gesundheit als großer Mission der Zukunft, von oxidativem | |
Stress, von Dysbiose im Darm, von Verschlackung, Übersäuerung und | |
Medikamenten, „die keine Heilung bringen“. Die Vertriebspartner:innen | |
nennt er „Agenten“, entsandt, um das Wohlbefinden der Bevölkerung zu | |
sichern. | |
## Viele Menschen haben sich abgewandt | |
Für den gesundheitlichen Nutzen von Aloe Vera Drinking Gel gibt es keine | |
wissenschaftlichen Belege. Bekannt ist einzig, dass manche Präparate | |
abführend wirken. Die meisten Inhaltsstoffe einer Aloe Vera sind in | |
herkömmlichem Obst und Gemüse sehr viel stärker vertreten [5][als in der | |
Pflanze selbst]. | |
„Wir haben die Darmstoffwechselkur demokratisiert!“, ruft | |
LR-Geschäftsführer Thomas Heursen beim Business Day, und bevor man ins | |
Grübeln kommt, was er damit meinen könnte, spricht er schon über was | |
anderes. Sein Lieblingsthema: die „Hater, Neider, Brainfucker und | |
Energievampire“, die einem „jeglichen Lebensmut stehlen“. Diejenigen | |
nämlich, die das Geschäftsmodell von LR hinterfragen, die ihren Freunden, | |
Bekannten und Nachbarn den vermeintlich rasanten Aufstieg nicht gönnen | |
können. „Wir müssen einsehen, dass andere Leute nicht verstehen, was wir | |
hier tun“, sagt er und empfiehlt, mit dicken Autos an diesen Menschen | |
vorbeizufahren und ihnen genüsslich den Stinkefinger zu zeigen. | |
„Sekte? Ja, aber ’ne geile Sekte!“, ruft er, das Publikum applaudiert. | |
„Wenn ihr Bock habt und diszipliniert für eure Träume und Gedanken | |
einsteht, wenn ihr immer regelmäßig weitermacht, dann werden die alle ruhig | |
sein.“ | |
Und so war es bei Steffi dann auch – um sie herum wurde es still. Viele | |
Menschen, die ihr mal lieb waren, hatten sich abgewandt. Letztens war sie | |
auf der Taufe des Kindes einer sehr guten Freundin und da fiel ihr | |
plötzlich auf, dass sie gar nicht bei der Taufe des älteren | |
Geschwisterkindes dabei gewesen war. Steffi spricht ihre Freundin darauf | |
an, die antwortet ihr: „Das war in der Zeit, als du überhaupt niemanden an | |
dich rangelassen hast, weißt du nicht mehr?“ | |
Ihr sei das gar nicht so bewusst gewesen, sagt Steffi, „aber ich habe fast | |
ein Jahr lang kaum echten menschlichen Kontakt gehabt“. Nach einer Weile | |
sei ihr in den Teammeetings nahegelegt worden, private Veranstaltungen zu | |
meiden, „so nach dem Motto: Du musst wissen, was dir wichtiger ist, weil du | |
sollst ja arbeiten“. | |
## Soziale Dynamiken wie in einer Sekte | |
Soziale Isolation, das Schlechtmachen von Kritikern, sich vor anderen | |
verletzlich zeigen – all das seien Sektendynamiken, sagt Claudia Groß. Die | |
Sitzung mit den Post-it-Zetteln, von der Steffi berichtete, erinnert sie an | |
sogenannte „confessional sessions“. Die machten es schwieriger, die Gruppe | |
wieder zu verlassen. Denn: „Es bleibt dieses ungute Gefühl, dass diese | |
Menschen alles über mich wissen.“ An einem gesunden Arbeitsplatz tue man so | |
etwas nicht. | |
Groß verweist auf den Sektenforscher Steven Hassan, der sich viel mit | |
Multi-Level-Marketing beschäftigt. In [6][einem Essay für Psychology Today] | |
aus dem Jahr 2022 nennt er Mind-Control-Mechanismen, magisches Denken und | |
immerwährendes sich selbst zur Verantwortung ziehen als ganz typisch für | |
Multi-Level-Marketing. Dazu komme, so Groß, dass man sich gewissermaßen mit | |
zum Täter mache. Das erschwere den Ausstieg. „Denn dadurch, dass ich | |
Menschen da mit reingezogen habe, bin ich nicht einfach nur Opfer. Das ist | |
psychologisch sehr, sehr tricky.“ | |
Ideal für den Umgang mit Multi-Level-Marketing-Unternehmen wären bessere | |
Regeln auf EU-Ebene, findet Groß. Da die aber nicht in Sicht seien, sollte | |
in Deutschland eine Behörde angewiesen werden, sich gezielt mit diesem | |
Thema auseinanderzusetzen. „Beispielsweise im Ministerium für Arbeit und | |
Soziales oder im Finanzministerium.“ Diese Behörde könnte dann | |
Informationen bereitstellen, Beschwerden bearbeiten und Vorschläge machen, | |
Multi-Level-Marketing besser zu regulieren. So könnten Unternehmen | |
beispielsweise verpflichtet werden offenzulegen, was | |
Vertriebspartner:innen verdienen, welche Kosten sie haben und wie | |
schnell sie wieder aussteigen. „Das könnte der Öffentlichkeit helfen, | |
seriöse Unternehmen zu erkennen und Fehlverhalten leichter zu ahnden“, sagt | |
Groß. | |
## „Einen so ausbluten zu lassen, das ist grausam“ | |
Nach einem Jahr als Vertriebspartnerin bei LR bekommt Steffi eine schwere | |
Augenentzündung und wird so zum Innehalten gezwungen. Sie beginnt, ihren | |
Alltag zu hinterfragen und befasst sich mit ihren Finanzen. „Dann hab ich | |
zu mir gesagt: ‚Ganz ehrlich hier läuft doch was schief.‘“ Sie hört auf… | |
LR. Wenn Steffi über diese Zeit spricht, dann klingt sie dabei abgeklärt | |
bis verblüfft. So als staune sie immer noch ein bisschen über sich selbst. | |
Sie hat ausgerechnet, dass sie durch LR etwa 3.000 Euro verloren hat – weil | |
sie viel mehr eingekauft als verdient hat. Nicht eingerechnet sind die | |
Ausgaben für ein neues iPhone, das sie brauchte für ihre | |
Social-Media-Videos. Ebenfalls nicht eingerechnet: all die unbezahlten | |
Stunden vor dem Rechner. | |
Sie hat dieses Kapitel für sich abgehakt. Nur eine Sache scheint ihr nach | |
wie vor zu schaffen zu machen. Es ist die Art und Weise, wie mit ihr | |
umgegangen worden ist, als sie verkündete, nicht mehr mitmachen zu wollen. | |
Nachdem ein paar Tage auf sie eingeredet worden sei, habe man sie | |
fallengelassen, sagt Steffi. Die Frauen, vor denen sie über Monate hinweg | |
ihr Innerstes nach außen gekehrt hatte, hätten ihr vorgeworfen, „eine | |
Zeitverschwendung“ gewesen zu sein. „Einen so ausbluten zu lassen, das ist | |
grausam.“ Aber Steffi blieb dabei, schmiss alle noch verbliebenen Produkte | |
weg, meldete sich wieder bei ihren Freund:innen. „Ich muss schon sagen, ich | |
kann froh sein, dass die alle noch da sind.“ | |
Und was macht Steffi jetzt? Bevor sie antwortet, lacht sie laut, aus | |
tiefstem Herzen: „Na ja … Ich bin im Direktvertrieb tätig.“ Steffi verka… | |
ein Luft- und Raumreinigungsgerät, man könnte auch sagen, sie ist | |
Staubsaugervertreterin. „Also so wie früher, ganz klassisch, von Mensch zu | |
Mensch“, sagt sie. Mit dem Gerät stehe sie auf Promomärkten, es gehe nicht | |
darum, andere Menschen in das System zu holen, sondern darum, die Ware zu | |
verkaufen. Wenn jemand interessiert ist, fährt sie mit der Person nach | |
Hause, demonstriert ihr, wie das Gerät funktioniert. „Dann können die Leute | |
entscheiden, ob sie es haben wollen oder nicht.“ Für jedes verkaufte Teil | |
bekommt sie eine „super Provision“. | |
Hauptberuflich arbeitet sie weiterhin als Sprechstundenhilfe, aber sie | |
überlegt, das sein zu lassen. „Das, was jetzt passiert bei mir, das hätte | |
ich mir nicht erträumen können“, sagt sie dann noch. Und das klingt | |
irgendwie, als hätte man es schon mal gehört. Die Sache mit LR habe sie | |
stärker, wacher gemacht, sagt Steffi. Sie ist sich sicher, dass es dieses | |
Mal gut geht. | |
20 Oct 2024 | |
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## AUTOREN | |
Leonie Gubela | |
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