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# taz.de -- Juristin über Gleichstellung: „Gezielte Angriffe von rechts“
> Die Gleichstellung hierzulande ist laut der Juristin Ulrike Lembke in
> einer Krise. Die derzeitige Situation sieht sie als permanenten
> Verfassungsbruch.
Bild: Gegen Gleichstellung: Rechtsextremisten demonstrieren im September 2024 g…
taz: Frau Lembke, wie steht es um die Gleichstellung in Deutschland?
Ulrike Lembke: Das ist immer auch eine Frage der Perspektive. Einerseits
geht es Frauen in vielen Ländern der Welt deutlich schlechter, andererseits
ist die Situation für Gleichstellung in Deutschland als einer reichen
europäischen Nation ziemlich schlecht. Im Grunde genommen ist die
Gleichstellung hier in einer Krise, aber das ist sie auch schon sehr lange.
taz: Kann Gleichstellung überhaupt durch das Grundgesetz erreicht werden?
Lembke: Es ist immer ein Wechselspiel zwischen Recht und Gesellschaft. Die
Gleichberechtigung wurde nicht einfach so ins Grundgesetz geschrieben: Das
musste hart erkämpft werden. Mit der Verankerung im Grundgesetz ist die
Sache aber [1][keineswegs erledigt]. Es braucht weiterhin
zivilgesellschaftliches Engagement, wofür Rechtsnormen ein wichtiger
Bezugspunkt sein können. Die herrschende Gruppe gibt nie gerne von ihrer
Macht ab.
taz: Die Gleichstellung im [2][Grundgesetz] 1949 war also keine
Selbstverständlichkeit?
Lembke: Dass Männer und Frauen im Grundgesetz gleichgestellt sind, war
damals sehr umkämpft. Die Väter des Grundgesetzes sahen das patriarchale
Familienrecht und damit die gesellschaftliche Ordnung in Gefahr. Artikel 3
Absatz 2 ist der einzige Artikel im Grundgesetz, bei dem vom
Bundesverfassungsgericht bestätigt werden musste, dass es sich um „eine
echte Rechtsnorm“ handelt.
taz: Wie sah es im deutsch-deutschen Vergleich aus?
Lembke: Die DDR wollte mit Gleichberechtigung punkten und nahm das gleich
in die Verfassung auf. Faktisch waren Frauen in der DDR dann vielfach
berufstätig und damit ökonomisch unabhängig, aber die Sorgearbeit blieb
meist doch an ihnen hängen. Mit der Deutschen Einheit hätte sich wirklich
etwas bewegen können – die BRD hatte 1989 im westeuropäischen Vergleich ein
markantes Modernisierungsproblem in Bezug auf die Geschlechterverhältnisse.
Das blieb dann so.
taz: Was sind die wichtigsten Errungenschaften der vergangenen 75 Jahre?
Lembke: Da gibt es schon viel. Die Familienrechtsreform von 1977 war sehr
wichtig, aber auch sehr spät. Gleiches gilt für die
Sexualstrafrechtsreformen: 1997/98 wird Vergewaltigung in der Ehe strafbar,
seit 2016 gilt „Nein heißt Nein“. Bahnbrechend war das Allgemeine
Gleichbehandlungsgesetz – das kam allerdings aus dem Europarecht, nicht dem
Grundgesetz.
taz: Worin liegt die größte Gefahr für die Gleichberechtigung?
Lembke: Sie verliert Unterstützer:innen, viele denken: Was denn noch? Es
gibt [3][gezielte Angriffe] von rechtsextremistischen, rechtspopulistischen
und fundamentalistischen Bewegungen. Seit Corona sehen wir ein [4][Comeback
von traditionellen Geschlechterrollen]. Deutschland hat auch oft nicht die
Rahmenbedingungen, wenn Paare gleichberechtigt leben wollen. Mit dem ersten
Kind arbeitet der Mann mehr als Vollzeit, die Frau unter 50 Prozent
Teilzeit, und das langfristig. Dabei gibt es auch andere Modelle.
taz: Welche denn?
Lembke: In den Niederlanden heißt Teilzeit, dass beide Elternteile jeweils
drei volle Tage die Woche arbeiten und sich dadurch abwechseln können mit
der Kinderbetreuung.
taz: Was muss passieren, um Gleichberechtigung zu erreichen?
Lembke: Es wäre schön, wenn man sich an das geltende Recht halten würde.
Gleichstellung ist [5][nicht erreicht]. Die derzeitige Situation ist ein
Verfassungsbruch in Permanenz. Am wichtigsten ist aber, dass Menschen und
Institutionen Geschlechtergerechtigkeit als ihre eigene Aufgabe und ihr
persönliches Anliegen begreifen, auch für die nächste Generation.
15 Oct 2024
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## AUTOREN
Frida Schubert
## TAGS
Braunschweig
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