# taz.de -- Vor 75 Jahren wurde Bonn Hauptstadt: Im Schatten schön | |
> Dass Bonn Bundeshauptstadt werden konnte, wäre für die Provinzstadt am | |
> Rhein ohne die große Schwester Köln nicht möglich gewesen. Bonn verdankt | |
> ihr viel. | |
Bild: Der große Sohn der Stadt: Ludwig van Beethoven | |
Vom Bonner Kreuzberg aus lässt sich der Kölner Dom meist ganz gut sehen. | |
Sogar bei mittelprächtigem Wetter: ein düster-schwarzes [1][Irgendwas am | |
Horizont im Norden,] rund 30 Kilometer Luftlinie entfernt, davor die | |
Schornsteine von Wesseling, davor auch die sanften Hügel des schlicht | |
„Vorgebirge“ benannten Höhenzugs, wo der Bornheimer Spargel wächst und man | |
das Rebellenblut keltert – Rebellenblut ist ein Brombeerwein. | |
Sein Erfinder, Wilhelm Maucher, wollte mit dem Rebellenblut gegen Ludwig | |
Erhards Wirtschaftspolitik protestieren, durch die er die Obst- und | |
Gemüsebauern des Vorgebirges benachteiligt sah. Maucher war, wie man im | |
Rheinland halt so ist, streng katholisch. [2][Noch mehr aber war er ein | |
Rebell]. | |
Schon gegen die Nazis hatte er Flugblätter verfasst und verteilt. Im | |
Versteck in Roisdorf hatte er den Krieg überlebt. Mit den Grünen hatte | |
Maucher Anfang der 1980er auf dem [3][Bonner Hofgarten] gegen den | |
Nato-Doppelbeschluss demonstriert – um dann später auch sie im Streit zu | |
verlassen. | |
Wer aus Bonn kommt und seinen Bekannten und Freunden eine Spezialität aus | |
der Heimat schenken will, die beiläufig an die politische Vergangenheit der | |
Stadt erinnert, [4][kann also durchaus auf Rebellenblut verfallen], auch | |
wenn es manchen Kopfweh bereitet: Bonn und das Vorgebirge, das geht gut | |
nachbarschaftlich ineinander über. | |
Bonn besteht nun mal im Wesentlichen aus zusammengewachsenen Dörfern mit | |
ulkigen Namen. So lagern rund um den Kreuzberg: Endenich, Ippen-, Lengs- | |
und Poppelsdorf. Aus diesen und anderen Käffern hat man zunächst die drei | |
Städtchen Bonn, Bad Godesberg und, rechtsrheinisch, also op d’r schäl Sick, | |
Beuel [bœːjəɭ] zusammengepuzzelt, um dann einzusehen, dass sich daraus | |
bequem und auch eins machen lässt. | |
Kölns Versuch hingegen, sich das Vorgebirgsstädtchen Wesseling | |
einzuverleiben, ist vor 49 Jahren kläglich am Widerstand der Kolonisierten | |
gescheitert: Als am Nikolaustag 1975 das Verfassungsgericht die einjährige | |
Fremdherrschaft beendet hatte, [5][läuteten in Wesseling alle Glocken]. Vor | |
Bonn hat keiner Angst. Klare Grenzen, das ist etwas, was es zwischen Bonn | |
und seinem Umland nicht braucht. Bei Köln hingegen fürchtet man, | |
unterworfen, gefressen und verdaut zu werden. | |
Wer aus Köln ein Mitbringsel sucht, wird, weil Kölnisch Wasser nun wirklich | |
nicht mehr geht, mit Kölsch vorliebnehmen müssen. Das ist ein obergäriges | |
Getränk. Manche nennen’s boshaft Pferdepisse, andere, noch boshafter, Bier. | |
Es wird in 0,5-Liter-Flaschen verkauft, aber in 0,2-Liter-Gläsern | |
ausgeschenkt, damit es schneller weg ist und man mehr davon trinken kann, | |
um schneller zu vergessen, dass man es trinkt. | |
In Bonn gab es auch mal eine Kölschbrauerei, Kurfürsten hieß die und warb | |
damit, dass sie den Brunnen im eigenen Hause habe. Weil dieses direkt neben | |
dem Zentralfriedhof lag, war das Kurfürsten in Bonn selbst so populär | |
nicht, und echten Freunden hat man es nicht geschenkt. Dass sie erst im | |
Jahr 2011 dichtgemacht hat, gehört zu den größten von vielen Wundern, die | |
sich im Rheinland ereignet haben. | |
## Napoleon auf dem Kreuzberg | |
Ein anderes, das aber vielleicht nur eine Legende ist, trug sich zu, als | |
Napoleon I. hier auf dem Kreuzberg verunglückt ist und sich ein Bein | |
gebrochen hat, und zwar aus Strafe. Weil er nämlich die vom | |
Barockarchitekten Balthasar Neumann entworfene Nachbildung der Heiligen | |
Stiege aus Rom versucht haben soll, mit seinem Schimmel hochzureiten, ein | |
Sakrileg, schließlich darf man die Stuckmarmorstufen nur im Gebet auf den | |
Knien rutschend erklimmen. | |
Wahr ist: Bonaparte hat 1804 in Bonn Station gemacht, und er wäre auch fast | |
gestürzt, als sein kleinwüchsiger Araberhengst Marengo strauchelte, aber in | |
Wirklichkeit passierte das nicht hier oben, sondern dicht am Rhein, in der | |
durch und durch säkularen Vogtsgasse, weshalb Bonn dann, der Kaiser hielt | |
es für ein Vorzeichen, nicht zur Festung ausgebaut wurde und, in dem Fall | |
ganz wie Köln, nicht von der Franzosenzeit profitieren konnte. | |
Manchmal ähneln die eigenen Erfahrungen denen der bewunderten großen | |
Schwester eben doch, die zu sein ein heimliches Ziel ist und deren | |
Anerkennung zu ernten so schön wäre, ach, nur einmal so urban sein wie | |
Köln! So selbstverständlich und unverschämt selbstgewiss. So ordinär, | |
schmutzig und wundervoll verrucht! Ach Köln, liebes Köln, jetzt schau doch | |
mal, wie schön Bonn sich schon gemacht hat! Und wie groß es geworden ist! | |
Das hättest du nicht gedacht, nicht wahr? Deine kleine Schwester! | |
Zwecklos. [6][Es gibt in ganz Köln keinen einzigen Punkt], von dem aus Bonn | |
wahrnehmbar wäre, selbst bei strahlendem Sonnenschein und blauem Himmel | |
nicht. Höchstens mit viel Mühe von den Domtürmen aus. Aber da gehen nur | |
Touris rauf. | |
Bonn macht das nichts. Bonn kann damit leben, gut leben sogar: Das | |
Verhältnis zu Köln ist total entspannt. Ein paar Sachen macht man sogar | |
gemeinsam, den Köln-Bonner-Flughafen etwa, und früher gab’s auch eine | |
Köln-Bonner-Eisenbahn, weil eine Eisenbahn nur für Köln, das wäre ja | |
Quatsch gewesen. | |
Meist schaut Bonn voll Bewunderung, ja ehrfürchtig, aber auch stets mit der | |
beruhigenden Gewissheit auf Köln, nicht demselben Anspruch der Größe | |
verpflichtet zu sein und ständig in der Champions League mitspielen zu | |
müssen. Also gefühlt. | |
Bonn ist halt einfach so eine Stadt mit hübschem Rathaus, schönem | |
Marktplatz und aparten Schlössern. Aus Bonn stammt Robert Nikolic, der | |
torungefährlichste Fußballer, der je in der Bundesliga gespielt hat. Köln | |
dagegen lebt im Dauerstress, Groß- und Weltstadt sein zu müssen, fiebrige | |
Metropole wie New York, London, Paris, Tokio oder Hamburg. | |
## Der Weg in den Größenwahn | |
Die Kölnstraße ist dementsprechend für Bonner der Weg in den Größenwahn. An | |
der – damals hieß sie Cölner Chaussee, aber das ändert ja nichts – sie 1… | |
ihre Psychiatrie errichteten. In einer Bonner Kindheit bis zur | |
Jahrhundertwende diente der Spruch „dich bringense in die Kölnstraße“ daz… | |
jemandem auf Hochdeutsch, also unfreundlich, zu sagen, dass er einen Ratsch | |
im Kappes habe, also eine mentale Störung aufweise. Ein salopper Spruch mit | |
bedrohlichem Unterton. Mit Jugendpsychiater Hans Aloys Schmitz hatte 1937 | |
ein Vordenker der Euthanasie die ärztliche Leitung der Kinderanstalt | |
übernommen, die Otto Löwenstein 1926 als weltweit erste ihrer Art | |
eingerichtet hatte. An diese [7][humanen Anfänge] anzuknüpfen wurde nach | |
dem Krieg nicht als dringlich empfunden. Schmitz wirkte dort unbehelligt | |
noch bis 1965 und lehrte als Professor an der Universität. | |
Die Uni. Die ist Bonns Stolz und der historische Moment, in dem die Stadt | |
einmal mit Köln wirklich konkurriert hatte. Und gewonnen – eben weil man | |
nicht konkurrenzfähig war, weil man nicht wie Köln seit dem Mittelalter | |
Stützpunkt der Dunkelmänner war, ein finsterer Leuchtturm der katholischen | |
Lehre. | |
Da wollte das protestantische Preußen seine Universität in der Rheinprovinz | |
– das Gebiet hatten sich die Friedrich-Wilhelms beim Wiener Kongress | |
geschnappt – dann doch lieber nicht hinsetzen. Also wurde es Bonn, das zwar | |
genauso katholisch, aber dafür nicht so berühmt war. | |
Möglich war aber eben auch das nur, weil Bonn Aufgaben zugefallen waren, | |
die von der Stadt Köln nicht mehr wahrgenommen wurden. Die weltliche | |
Herrschaft ihres Erzbischofs hatten die Kölner Bürger Ende des 13. | |
Jahrhunderts abgeschüttelt. Zum Beten, Segnen, Messelesen durften ihre | |
Obergeistlichen noch nach Köln rein. Zum Predigen: wenn’s denn sein muss. | |
Aber mehr dann auch nicht. Sodass sie, kürzen wir mal ab, Bonn zur | |
kurfürstlichen Haupt- und Residenzstadt des Erzbistums Köln gemacht hatten. | |
Ohne die tollen Kölner gäbe es die schöne kastanienbestandene Prachtstraße | |
nicht, die einen Kilometer lang und sicher 60 Meter breit von der Altstadt | |
zum Poppelsdorfer Schloss führt, dem Lustschluss der Kurfürsten. Das hat | |
Joseph Cotte entworfen, der Leibarchitekt des französischen Sonnenkönigs | |
Louis XIV. Diese 60 Meter breite Poppelsdorfer Allee, muss man wissen, hat | |
nie den Autos gehört. Die werden hier glücklich an den Rand gedrängt, seit | |
es sie gibt. Stattdessen findet sich dort die beste Kinderkick- und | |
Hundekack-Rasenfläche – mittlerweile ist der Köterkot allerdings geächtet | |
–, die sich in einer deutschen Großstadt nur denken lässt. | |
## Der Grund für Beethoven | |
Ohne die Residenz wäre Ludwig van Beethoven nicht hier geboren. Ohne | |
Hofhaltung keine Hofkapelle und kein Bedarf daran, 1733 seinen Großvater | |
aus Mechelen als Sänger anzuheuern. Ohne Schlösser auch keine räumliche | |
Infrastruktur für die Universitätsgründung 1819. Ohne Uni hätte | |
Eierforscher Alexander Koenig sich nicht in Bonn habilitiert und auch sein | |
zoologisches Museum wäre nicht gebaut worden. | |
In dem konnte dann, nachdem die Oberpostdirektion Köln in Rekordzeit | |
solidarisch 50 Telefonleitungen gelegt hatte, das Grundgesetz ausgebrütet | |
werden. Und dass der Parlamentarische Rat, auf den Köln keine Lust gehabt | |
hatte, hier tagte, war ein entscheidender Schritt, um sich 1949 als | |
Regierungssitz des ehemaligen Kölner Oberbürgermeisters Konrad Adenauer zu | |
qualifizieren, der kurz zuvor Bundeskanzler geworden war. | |
Um im Rennen um den Sitz der Regierung gegen Mitbewerberin Frankfurt zu | |
bestehen, nutzte Bonn die im Umgang mit Köln erlernte und schon in der | |
Uni-Frage erfolgreich erprobte ostentative demütige Bescheidenheit, | |
historisch ja doch nur ein unbeschriebenes Blatt, also unbelastet zu sein. | |
Etwas anderes als ein Provisorium könnte wie ein Verrat an Berlin wirken, | |
warnte die Rheinlandlobby: „Die Wahl einer großen Stadt mit bestimmter | |
politischer oder geschichtlicher Prägung könnte leicht als unausgesprochene | |
Vorbestimmung dieser Stadt zum endgültigen Sitz der zukünftigen | |
Bundesregierung, auch nach Anschluß der Ostzone, ausgelegt werden.“ | |
Das selbstbewusste Frankfurt hatte zuvor versucht, damit zu überzeugen, | |
dass es ja ohnehin traditionell Deutschlands heimliche Hauptstadt sei. | |
Falsche Taktik. Denn mit Berlin musste man ja einfach solidarisch sein, | |
nach der Blockade. Und „wenn Frankfurt Hauptstadt wird, wird es Berlin nie | |
wieder“, hatte Ernst Reuter (SPD) seinen Befürchtungen Ausdruck verliehen. | |
Reuter war damals Oberbürgermeister von Berlin. | |
Seinem Auftritt auf der Weltbühne als Bundeshauptstadt hatte Bonn von 1949 | |
bis 1999. Ihm verdankt die Stadt kulturelle Infrastruktur wie das Haus der | |
Geschichte und die Bundeskunsthalle sowie den Langen Eugen, das höchste | |
Stahlgebäude Deutschlands. Das einstige Abgeordnetenhochhaus ist heute | |
Herzstück des Campus der Vereinten Nationen. Es wirkt ein bisschen wie ein | |
peinlicher Finger. Aber seit 70 Jahren macht es die Silhouette Bonns | |
unverwechselbar, als echtes Wahrzeichen. Also auch dafür herzlichen Dank an | |
Köln. | |
Bundeshauptdorf Ohne Nennenswertes Nachtleben, B-O-N-N, das war seinerzeit | |
so ’n Schmäh, und sischer datt: Um in der Bonner Republik Skandal zu | |
machen, musste der Militärische Abschirmdienst das Gerücht streuen, ein | |
General sei im Kölner Tom Tom gesehen worden. Weil, dass es in Bonn auch | |
schon eine Schwulen- und Lesbenkneipe gab, sogar direkt in der City, das | |
hätte dem Geheimdienst einfach niemand geglaubt. | |
Wer von oben auf Bonn schaut, merkt schnell: ohne Nachtleben, mag sein, vor | |
allem aber gilt: ohne nennenswerte Industrie. Die gibt’s hier nicht. Nicht | |
mal ruinierte. Und während das arme Köln seit Jahrzehnten ein geeignetes | |
und finanzierbares Konzept sucht für seine vom Verfall bedrohten | |
monumentalen, architektur- und technikhistorisch bedeutenden | |
Produktionsstätten von Motoren, Gummifäden, Bleiweiß, gab’s in Bonn | |
vielleicht mal eine Aktenordner- und [8][eine stinkende Fruchtgummi- und | |
Lakritzfabrik]. | |
Sonst hat man, so ähnlich wie bei der Poppelsdorfer Allee mit den Autos, | |
alle schmutzigen Sachen hier kleingehalten. So ein bisschen, als hätte da | |
schon früher eine grüne Oberbürgermeisterin das Sagen gehabt. Die Stadt ist | |
genau mit diesem Rezept hübsch, aber auch reich geworden, | |
erstaunlicherweise. | |
Als Modell zur Nachahmung wird das kaum taugen. Aber als Beweis: dass es | |
ein echter Vorteil sein kann, eine große Schwester zu haben. | |
23 Oct 2024 | |
## LINKS | |
[1] /-dem-Dom-die-Hoehe/!5130042 | |
[2] http://www.friedensweg.info/archiv/Geschichte_-_Wilhelm_Maucher.html | |
[3] /Weiter-Hickhack-um-Hofgartenwiese/!1864925/ | |
[4] https://ga.de/region/voreifel-und-vorgebirge/alfter/rebellenblut-aus-alfter… | |
[5] https://www.wesseling.de/rathaus-politik/presse/2016/106090100000055954.php | |
[6] http://www.hhp.uni-trier.de/Projekte/HHP/Projekte/HHP/searchengine/werke/ba… | |
[7] https://de.wikipedia.org/wiki/Otto_L%C3%B6wenstein_(Mediziner) | |
[8] https://www.kuladig.de/Objektansicht/O-52516-20120807-3 | |
## AUTOREN | |
Benno Schirrmeister | |
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