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# taz.de -- Ehemalige Bundeshauptstadt Bonn: Reise in die „gute alte Zeit“
> Heute erinnern im beschaulichen Städtchen am Rhein nur noch ehemalige
> Schauplätze der Staatsmacht an den einstigen Glanz. Diese sind gefragt.
Bild: Blick auf das ehemalige Kanzleramt in Bonn mit der Bronze-Skulptur von He…
Als in den 80er Jahren Helmut Kohls Regierungssprecher Friedhelm Ost mit
einem afrikanischen Potentaten durch die Parkanlagen des Palais Schaumburg
in Bonn spazierte, schlug er vor, doch in den Kanzlerbungalow zu gehen, um
später ein Gespräch mit dem deutschen Regierungschef zu führen. Dort
angekommen, wunderte sich der Besucher: „Wir wollten doch in den
Kanzlerbungalow, nicht in die Unterkunft der Wachmannschaften.“
Mittlerweile besichtigen jedes Jahr zehntausend Schaulustige die einstigen
Privatgemächer deutscher Bundeskanzler von Ludwig Erhardt bis Helmut Kohl.
Und sind genauso erstaunt wie damals der Gast aus Afrika. Nüchtern,
bescheiden und teilweise beengt erscheinen die Räume des Wohntrakts. Die
nachträglich eingebaute Teeküche etwa misst gerade mal einen Quadratmeter.
Richtig gemocht haben die Herren Kiesinger, Brandt, Schmidt und Kohl das
Gebäude, das der renommierte Architekt Sep Ruf 1964 im Bauhausstil erbaute,
wohl nie.
Und doch war es die Zentrale einer Macht, in der Geschichte gemacht wurde.
Bis die Wiedervereinigung kam und Berlin Bonn als Bundeshauptstadt ablöste.
Heute erinnern in dem beschaulichen Städtchen am Rhein nur noch die
ehemaligen Schauplätze der Staatsmacht an den vergangenen Glanz. Und die
sind gefragt wie nie zuvor und locken viele Touristen in die ehemalige
Hauptstadt Deutschlands: Tausende von ihnen besichtigten 2016 das ehemalige
Parlaments- und Regierungsviertel. Besonders beliebt sind auch die Besuche
im alten Plenarsaal des Bundestags.
Der wird zwar in veränderter Form von einem privaten Betreiber als
Kongresscenter sowie Eventlocation genutzt, atmet aber offenbar immer noch
so viel Geschichte, dass der einstmalige Schauplatz historischer Debatten
und Abstimmungen die Menschen in seinen Bann zieht. Genauso wie
beispielsweise das alte Bundeskanzleramt, das Palais Schaumburg oder auch
der Bundesrat.
## Anziehende Vergangenheit
Mittlerweile vergeht kein Tag, an dem nicht irgendeine Führung stattfindet,
die die Besucher auf die Spuren der alten Bonner Republik führt. Die
Interessierten kommen grob geschätzt zu einem Drittel aus der nächsten
Umgebung, zu einem weiteren Drittel aus dem größeren Umkreis bis zu einer
Entfernung von 70 Kilometern und zu einem Drittel aus dem gesamten
Bundesgebiet. Sie kommen als Gruppen- oder Individualreisende. Neben dem
berühmten Sohn der Stadt, Ludwig van Beethoven, und der reizvollen Lage am
Rhein ist die jüngste Vergangenheit wichtigster Treiber, was die
touristische Attraktivität von Bonn angeht.
Flaggschiff und Ausgangspunkt der verschiedenen Aktivitäten ist das „Haus
der Geschichte“. Hier wird in einer Dauerausstellung nicht nur die jüngste
deutsche Vergangenheit seit 1945 wieder lebendig, etwa mit Teilen des alten
Plenarsaals oder dem begehbaren Rumpf eines „Rosinenbombers“. Sondern auch
Rundgänge und Führungen zu den Sehenswürdigkeiten in Bonn werden von den
Museumsmitarbeitern organisiert.
„Für die Älteren ist es eine Reise zurück in die Vergangenheit, die sich
noch gut an diese Orte erinnern können, die ja früher ständig in den Medien
gezeigt wurden“, erklärt der Pressesprecher vom „Haus der Geschichte“
Harald Biermann das Interesse. Nostalgisch kann solch eine „Rückführung“
sicher werden, auch im Vergleich zur aktuellen Situation, in der die
Weltlage und auch die Position in der Weltpolitik für Land sowie Bürger
anscheinend schwieriger geworden sind. Ob es früher tatsächlich besser
gewesen ist, angesichts von Kaltem Krieg, Atomkraftdebatte oder
Nachrüstungsbeschluss, das sei mal dahingestellt.
Die Demokratie jedenfalls hat sich in den ersten Jahrzehnten nach dem
Zweiten Weltkrieg etabliert – wahrscheinlich der größte Anreiz, sich an
diese Zeit zurückzuerinnern. „Die Jüngeren wiederum sind erstaunt, wie
bescheiden und zurückhaltend die Regierung mit ihren Bauten aufgetreten
ist“, so Biermann, „ein Gegensatz zur Situation in Berlin.“ Tatsächlich
sollte Bonn als Hauptstadt bewusst von der architektonischen Gigantomanie
des NS-Zeit abgegrenzt sein und es wurde immer auch als Provisorium eines
geteilten Landes verstanden.
## Flair der Macht
Auch das Villenviertel in Bonn-Bad Godesberg verweist an vielen Stellen auf
die glorreiche jüngere Vergangenheit, aber glanzvoller als im ehemaligen
Regierungsviertel – war der Stadtteil seinerzeit doch eine der feinsten
Adressen Deutschlands. Im klassizistischen Ballhaus „La Redoute“
beispielsweise fanden ständig offizielle Feste und Empfänge statt, bei
denen unter anderem der Schah von Persien oder die Queen zu Gast waren.
Noch heute erinnert eine „Wagenabrufanlage“ für die Chauffeure der
Limousinen im Eingangsbereichs des Fürstenhauses an diese Zeit.
Heute wird der Prachtbau als Eventlocation genutzt, ist aber auch Station
der Führung „Botschaftstouren“. „Es ist schon erstaunlich, selbst
Hochzeitspaare aus dem angelsächsischen oder asiatischen Raum lassen sich
hier trauen, weil sie dieses Flair mögen“, berichtet der Betreiber
Christoph von Borries. „Auch internationale Unternehmen nutzen die
Räumlichkeiten gerne, um hier ihre Veranstaltungen durchzuführen.“ Mit
einem Schmunzeln erinnert sich von Borries an die Innenminister-Konferenz,
die in der Redoute vor einigen Jahren stattfand: „Da wimmelte hier alles
von Polizisten, was die Bad Godesberger sehr gefreut hat. Die fühlten sich
durch die Präsenz wieder an alte ruhmreiche Zeiten erinnert, als die
Anwesenheit der Beamten von der Anwesenheit hochgestellter Staatsgäste
kündete.“
Überhaupt scheinen die Bewohner des Nobelviertels mit einem vermeintlichen
„Abstieg“ zu hadern. Denn in nächster Nähe, im Stadtzentrum von Bad
Godesberg, ist in deren Sicht ein „Problemviertel“ entstanden: Menschen aus
Arabien, die sich in Bonn medizinisch versorgen lassen, siedeln sich
zeitweise mit ihren Familien an und verändern das Straßenbild.
Beispielsweise mit Geschäften, die in arabischer Sprache werben, oder
zahlreichen Passantinnen in kompletter Verschleierung. Die Kritik vieler
Alteingesessener an diesem „Medizintourismus“ betrifft vor allem die
„Zweckentfremdung“ von Wohnraum: Die gut betuchten Patienten zahlen
horrende Mieten für Wohnungen, die dann „normalen“ Mietern nicht mehr zur
Verfügung stehen.
Die Stadt versucht schon länger dagegen vorzugehen, etwa mit dem Bau von
Boardinghäusern wie Oberbürgermeister Ashok Sridharan betont. Die
mehrgeschossigen Mietshäuser mit möblierten Zimmern oder Apartments sollen
den Mietwucher verhindern. Für Sridharan jedenfalls ist der
Medizintourismus „nur eine Facette“ des Stadtteils, der aus seiner Sicht
nach wie vor besonders von den ehemaligen Highlights der Bonner Republik
wie Villenviertel oder Redoute geprägt ist.
23 Sep 2017
## AUTOREN
Wilfried Urbe
## TAGS
Geschichte
Bonn
Regierung
Schwerpunkt Stadtland
Schwerpunkt Nationalsozialismus
CDU
Museum
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