# taz.de -- Hartmut Palmer über Politikjournalismus: „Bonn war ein Dorf“ | |
> Hartmut Palmer war Journalist in Bonn und Berlin. Ein Gespräch über das | |
> Misstrauensvotum gegen Willy Brandt und die Rolle von Franz Josef Strauß. | |
Bild: Der Journalist Hartmut Palmer am Bundesbüdchen in Bonn | |
Für das Gespräch hat Hartmut Palmer einen Treffpunkt im alten Bonner | |
Regierungsviertel vorgeschlagen: das Bundesbüdchen, den berühmtesten Kiosk | |
der damaligen Hauptstadt. Minister und Journalisten trafen sich dort | |
zwischen Plenarsaal und Ministerien, das Kanzleramt war auch nicht weit. | |
Jetzt steht Palmer hier in der Sonne, Rucksack auf dem Rücken, Pullover um | |
die Schultern gelegt, wir sind gleich beim Du. | |
taz am wochenende: Hartmut, du hast beide Hauptstädte als Journalist | |
erlebt, Bonn und Berlin. Was war Bonn für eine Welt? | |
Hartmut Palmer: So überschaubar, dass hier eigentlich nichts geheim blieb. | |
Jedenfalls glaubten wir das damals. Die Journalisten hockten mit den | |
Lobbyisten und den Politikern dicht aufeinander. Vor allem in den vielen | |
Kneipen, die es damals gab, „Provinz“, „Schumann-Klause“, wie sie alle | |
hießen. Bonn war in der Tat ein Dorf. Aber das machte auch den Charme aus. | |
Für uns Journalisten war alles fußläufig erreichbar. Manchmal erfuhr man im | |
Vorübergehen mehr als auf jeder Pressekonferenz. | |
Duzte man sich da unter Politikern und Journalisten? | |
Also ich habe bei den Sozis viele geduzt. War man in der Kneipe zusammen, | |
duzte man sich eben. Durch Kneipenkontakte erfuhr ich manches. Ich wohnte | |
etwas außerhalb auf der anderen Rheinseite. Da gab es eine Dorfkneipe und | |
da gab’s einen, der im Bundestag als Pförtner arbeitete, und einen, der im | |
Kanzleramt saß, auch als Pförtner. Mit denen habe ich oft einen | |
gezwitschert. Und so bekam ich manchmal Informationen, wenn zum Beispiel | |
besonders viele prominente Politiker im Kanzleramt vorfuhren, abends. Da | |
war irgendwas in der Luft. | |
Und dann rief der einfach mal an und sagte, hömma, da ist irgendwas. Zum | |
Beispiel beim Rücktritt von Brandt. Der Regierungssprecher war | |
unerreichbar, aber der Pförtner sagte mir, da sind so’n paar | |
zusammengekommen, guck dir das mal genauer an! Und dann kam mein Chef von | |
einem Hintergrundgespräch, da war auch irgendwas durchgesickert, und da | |
haben wir das zusammengebracht und hatten das früher als die dpa. | |
Hat diese Nähe die Arbeit auch leichter gemacht? | |
Ja. Und erschwert. Du musstest ja manchmal Leuten richtig wehtun, indem du | |
schreibst, was da für Sauereien gelaufen sind, in die sie verwickelt waren. | |
Nähe ist gut, aber sie kann auch korrumpieren. Duzen ist gut, aber es kann | |
auch korrumpieren. | |
Wir duzen uns ja jetzt auch. | |
Aber unter Kollegen. | |
Du hast jetzt einen Krimi geschrieben, „Verrat am Rhein“. Es geht um das | |
Misstrauensvotum Barzel gegen Brandt 1972. Oppositionschef Rainer Barzel | |
unterlag knapp, Brandt blieb Kanzler. Später kam raus, dass die Stasi die | |
Stimmen eines CDU- und eines CSU-Abgeordneten gekauft hatte. Und du meinst, | |
auch der damalige CSU-Vorsitzende Franz Josef Strauß habe gegen Barzel | |
gestimmt. | |
Ich hatte schon damals das Gefühl, dass irgendein Geheimdienst | |
dahintersteckte. Wahrscheinlich der BND, dachte ich. Niemals wäre ich auf | |
die Idee gekommen, dass es tatsächlich die Stasi war und auch Franz Josef | |
Strauß seine Finger mit im Spiel hatte. | |
Beim Misstrauensvotum ging es um die Ostpolitik Brandts, die Anerkennung | |
der Oder-Neiße-Grenze. Konservative empfanden das als Verrat, auch in der | |
sozialliberalen Koalition gab es Kritik, die dünne Mehrheit schwand. Barzel | |
beantragte das Misstrauensvotum. Der war sich sicher, dass er das gewinnt, | |
oder? | |
Absolut. Die CDU/CSU-Fraktion hatte vorher eine Probeabstimmung gemacht, da | |
hatten alle beteuert, sie würden für den Antrag stimmen. Damit wäre Barzel | |
Kanzler gewesen. | |
Aber? | |
Es war irre spannend. Ich saß auf der Tribüne im Plenarsaal, neben mir mein | |
damaliger Chef Hans-Werner Kettenbach, Leiter des Bonner Büros vom Kölner | |
Stadtanzeiger. Brandt sprach zum Schluss, vorher hatte Scheel geredet, | |
damals Außenminister, FDP-Mann. Ihm war anzumerken, dass er die Sache | |
aufgegeben hatte. Er appellierte an Barzel, seine Kanzlerschaft nicht auf | |
Lug und Trug zu bauen, also auf Überläufern. Brandt hat noch mal seine | |
Ost-Politik erläutert und verteidigt. Dann die Abstimmung und die | |
Stimmauszählung. | |
Nach ungefähr einer halben Stunde kam der SPD-Abgeordnete Dietrich Sperling | |
in den Plenarsaal, hielt den Daumen hoch und ging zu Wehner und Brandt, die | |
in der ersten Reihe saßen. Sperling flüsterte denen was zu, das konnte ich | |
von oben sehen. Und dann passierte etwas ganz Eigenartiges: Herbert Wehner | |
sprang auf, riss Brandts Hand hoch, drückte sie, er verneigte sich, setzte | |
sich wieder hin und guckte, wie vorher, starr geradeaus. Dann wurde es | |
unruhig, immer mehr Leute liefen durch den Saal, hinter Sperling kam ein | |
CDU-Stimmenauszähler mit hängendem Kopf, einer von der FDP hocherhobenen | |
Hauptes. | |
Es war schiefgelaufen für Barzel. Der saß nur da und schüttelte den Kopf. | |
Das Ergebnis war in dem Moment klar, wir kannten nur die Zahlen nicht. Aber | |
Brandt stand auf und setzte sich demonstrativ wieder auf den Platz des | |
Kanzlers. | |
Was für Szenen! | |
Dann läutete die Glocke des Präsidenten. „Meine Damen und Herren, ich gebe | |
das Ergebnis bekannt … abgegebene Stimmen soundso, Jastimmen 247“ – und es | |
brach ein ohrenbetäubender Jubel los. Damit war es offiziell. Barzel | |
brauchte 249 Stimmen, hatte aber nur 247. Hans-Werner Kettenbach und ich | |
haben auf der Tribüne getanzt, seitdem waren wir per Du. Schön, ne? | |
Ja. Aber tanzen für den Kanzler? Journalisten sind doch eigentlich auf | |
Distanz zum Gegenstand ihrer Berichterstattung aus. | |
Da war das nicht mehr möglich. | |
Warum nicht? | |
Weil dieses Misstrauensvotum die Journalisten so derartig gespalten hatte. | |
Kein liberaler Journalist ging mit irgendeinem Bild-Zeitungsmann auch nur | |
ein Bier trinken. Die einen waren für die Ostpolitik, die anderen dagegen. | |
Das war Feindschaft. Neben uns im Bundestag saß der ZDF-Moderator Gerhard | |
Löwenthal. Der heißt bei mir im Krimi Rehberg. Und Löwenthal – die Szene | |
habe ich ja beschrieben, das war wirklich so – sprang auf und drohte dem | |
Kanzler: „Wir kriegen dich noch!“ | |
Das hat er wirklich gesagt? | |
Geschrien, ganz laut. Daraufhin kamen zwei Spiegel-Leute, Erich Böhme und | |
Klaus Wirtgen. Zwei solche Schränke. Die bauten sich vor dem auf, es hätte | |
fast eine Schlägerei gegeben. Gott sei Dank ist ein Saaldiener | |
dazwischengegangen. | |
„Wir kriegen dich noch!“ klingt nach Gaulands „Wir werden Sie jagen“ zu | |
Merkel. | |
Ja, ja, genau. Ich habe Löwenthal beschrieben als ein „geiferndes Denkmal | |
des Kalten Krieges“. Damals hatten wir natürlich keine Ahnung, was hinter | |
dem gescheiterten Misstrauensvotum steckte. Manchmal glaubte man in Bonn | |
eben nur, man sei ganz nah dran, aber man wusste trotzdem nichts. | |
Wann ist das eigentlich bekannt geworden? | |
Nach und nach. Los ging es ein Jahr später. Julius Steiner, einer der | |
beiden Abgeordneten, die von der Stasi gekauft worden waren, behauptete | |
gegenüber dem Spiegel, er habe sich enthalten, weil er es Barzel nicht | |
zugetraut habe, die Bundesrepublik zu regieren. | |
Hm. | |
Kaum hatte Julius Steiner das Spiegel-Büro verlassen, erwartete ihn draußen | |
Paul W. Limbach, Spitzname „Käp“, der Bonn-Korrespondent der Quick. Er | |
wusste von einer Sekretärin im Spiegel-Büro, dass Steiner dort war. Limbach | |
und Klaus Krohe, genannt KK, haben ihn in einen VW Käfer gesteckt und sind | |
nach Süddeutschland gefahren. Fast zehn Tage war Steiner für die | |
Öffentlichkeit unerreichbar. Die haben den so lange bearbeitet, bis er sein | |
erstes Geständnis widerrief und sagte, dass er Geld genommen hätte, 50.000 | |
D-Mark von Karl Wienand, dem Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion. | |
Oh. | |
Damit hatten sie genau die Affäre, die sie haben wollten, um die SPD und | |
die Ostverträge zu desavouieren. | |
Aber hatte ihm die Stasi nicht das Geld gegeben? | |
Das kam erst nach der Wende raus. Die DDR-Regierung hatte die Bestechung | |
unter dem Tarnnamen „Operation Brandtschutz“ in die Wege geleitet. Bis | |
heute ist nicht klar, ob Steiner außer von der Stasi nicht auch von der SPD | |
Geld bekommen hat. | |
Welche Rolle spielte Franz Josef Strauß? Der ist in deinem Krimi zentral, | |
weil auch er Barzel seine Stimme verweigerte. | |
Was damals keiner wusste, was aber später im Untersuchungsausschuss | |
herauskam: Julius Steiner war früher BND-Agent. Sein Führungsoffizier hieß | |
Erwin Hauschildt, der übrigens auch der Führungsoffizier des BND-Zuträgers | |
Klaus Krohe war. | |
In deinem Krimi Hausmann. | |
Genau. Und dieser Erwin Hauschildt organisierte für den BND die | |
Waffenexporte in Spannungsgebiete – große Geräte, Panzer und so was. | |
Zugleich war er ganz eng mit Strauß. Der wusste alle Interna aus dem BND | |
von Hauschildt. Strauß war manchmal besser über den BND informiert als das | |
Kanzleramt. | |
Wie ging das alles weiter? | |
31 Jahre später bekam sie Bedeutung für mich. Ich besuchte 2004 Rainer | |
Barzel in München. Er erzählte mir, er wisse genau, dass Strauß es war, der | |
ihn nicht unterstützt hatte. Ich dachte zuerst, der Mann spinnt. Aber je | |
länger ich darüber nachdachte, desto nachvollziehbarer erschien es mir. | |
Hauschildt war Steiners Führungsoffizier, 1972 hat er ihn nach Ostberlin | |
geschickt, damit er sich von der Stasi anwerben lässt, zugleich war | |
Hauschildt Zuträger von Strauß über BND-Interna – warum nicht? | |
Du weißt das nur von Barzel, vieles passt zusammen, aber es gibt keine | |
zweite Quelle. | |
Wenn es eine zweite Quelle gegeben hätte, hätte ich einen journalistischen | |
Report geschrieben und keinen Roman. Das war mein Dilemma. Ich hätte mir | |
nicht zugetraut, dass ich überhaupt etwas erfinden kann. Das habe ich erst | |
jetzt gelernt beim Romanschreiben. Ich musste mir, um die Plausibilität von | |
Barzels Verdacht zu unterfüttern, etwas einfallen lassen. Also habe ich | |
eine Stasi-Akte erfunden, die es nie gab, in der ein Telefongespräch | |
abgedruckt ist, das die Rolle von Strauß verdeutlicht. | |
Den Spiegel hätten die Erfindungen des Redakteurs Claas Relotius fast zu | |
Fall gebracht. Im Journalismus streng verboten, im Roman erlaubt – wie sehr | |
hat dich die Fiktion gereizt? | |
Ich habe lange überlegt, ob man es darf. Weil ja alle wussten, dass ich | |
Journalist bin. Nicht, dass sie es deswegen als bare Münze nehmen. Deshalb | |
habe ich es im Nachwort ganz klar erklärt: [1][Die Stasi-Akte ist erfunden. | |
Anders hätte ich es nicht gemacht.] | |
So konntest du das persönliche Gespräch mit Barzel nutzen, in dem er dir | |
verraten hat, dass er glaubte, auch Strauß habe gegen ihn gestimmt. | |
Er tat das unter der Bedingung, dass ich es zu Lebzeiten nicht verwenden | |
darf. 2006 ist er gestorben, im Nachruf im Spiegel habe ich den ersten | |
Testballon losgelassen und eingeflochten, dass er glaubte, Strauß habe ihm | |
die Stimme verweigert. Reaktion der Familie Strauß damals: null. Und auch | |
jetzt: nichts, auch nicht von der CSU. Ich dachte: Gut, wenn sie mich | |
verklagen, ist es Reklame für das Buch. Da nun aber nichts kam, habe ich | |
das Gefühl, dass sie wahrscheinlich selbst glauben, dass es so war. | |
Was hätte Strauß davon gehabt? | |
Das erschloss sich bei näherem Zusehen aus seiner ganzen Persönlichkeit. | |
Man muss nur überlegen, wie der den Barzel damals fertiggemacht hat, weil | |
der nur „so nicht“ statt „Nein“ gesagt hat zu den Ostverträgen. Wie der | |
über den hergezogen ist! | |
Aber es wäre zumindest das Ende der Kanzlerschaft Brandts gewesen. Warum | |
wollte Strauß das verhindern? | |
Er war elf Jahre älter als Barzel. Den zu verhindern ließ seine Chancen | |
steigen, selbst noch Kanzler zu werden. Strauß hielt sich für den einzig | |
kompetenten Führer dieser CDU/CSU. Deshalb ergibt es Sinn, was Barzel | |
gesagt hat. | |
Vielleicht kommen wir jetzt einmal zur SPD heute mit Kanzler Scholz … | |
… Oh. | |
Der Krieg in der Ukraine zeigt doch, dass der SPD-Grundsatz „Wandel durch | |
Handel“ eigentlich gescheitert ist, oder? | |
Also, da sage ich mal was vorweg. | |
Bitte. | |
Ich bin heilfroh, dass wir heute einen Bundeskanzler haben, der zögert und | |
zaudert und nicht forsch aus der Hüfte schießt. Ich rechne Scholz das hoch | |
an. Und ich kann Leute nicht verstehen, die meinen, sie könnten im | |
Nachhinein die gesamte SPD-Ost und -Deutschlandpolitik im Lichte der | |
heutigen Ereignisse abwerten. Das haben die Konservativen immer schon | |
gewollt. Dass Putin ein Verbrecher ist und er den Krieg vom Zaun gebrochen | |
hat, ist unstrittig. Aber das forsche Sich-Abwenden von dieser wichtigen | |
und richtigen Entspannungspolitik finde ich unerträglich. | |
Diese Politik hat Putin zum Partner gemacht. Aus heutiger Sicht ist das | |
durchaus schwierig. | |
Gut, ich bin vielleicht ein alter Sack. Aber ich habe noch Bomben fallen | |
sehen in meiner Kindheit und bin durch Ruinen gelaufen. Und ich behaupte, | |
das haben viele von denen, die jetzt alles besser wissen, nie. Für die war | |
immer die Welt heil. Na also, ich bin froh, dass wir jetzt diesen | |
abwägenden Kanzler haben. Und ich bin sicher: Die gleiche CDU, die | |
Gleichen, die jetzt schreien, er müsste sofort Waffen liefern, hätten | |
Angela Merkel und auch den Schröder in der Luft zerrissen, wenn sie damals | |
das Angebot, billiges Gas und Öl zu bekommen, nicht angenommen hätten. | |
Schröder. Gutes Stichwort. | |
Was den betrifft, muss ich sagen: Ich bin schockiert, weil der den Ausgang | |
nicht gefunden hat. Er hätte sich mit Putin niemals auf die Geldebene | |
einlassen dürfen. | |
Da hat diesen Instinkttypen sein Instinkt verlassen, oder? | |
Leider ja. Aber das hängt wohl mit seiner Jugend zusammen. Er hat mir mal | |
gesagt, er habe sich geschworen, er werde nie wieder arm sein. Nie wieder. | |
Das klang echt. Und dann kam die Geschichte mit dem Fensterkitt, die er oft | |
erzählt hat. | |
… dass er als Kind Fensterkitt gefressen habe, weil sie nichts zu Hause | |
hatten. Wie nah warst du an Schröder dran in Bonn? | |
Wir waren damals ziemlich eng. Ich war beim Spiegel und dadurch für ihn | |
wichtig. So war das in Bonn. Deshalb hat er auch ein paar Mal am Zaun des | |
Kanzleramts gerüttelt, als ich dabei war … | |
… „Ich will da rein!“ … | |
… und hat sich geärgert, dass ich nicht darüber geschrieben habe. Ich habe | |
das immer als Privatsache empfunden. Erst als es geschrieben war, hat er | |
damit aufgehört. Er wollte nur, dass es endlich jemand schreibt. So ist er. | |
Er hat das mehrmals gemacht? | |
Ein paar Mal. Am Morgen seiner Wahl saßen wir im Bundestagsrestaurant. | |
Schröder ging unruhig auf und ab, er war ja noch nicht gewählt. Und dann | |
kam er zu mir und sagte: „Wollen wir noch mal rütteln gehen?“ Ich sagte: | |
„Nee, musste nicht mehr, du bist ja gleich drin!“ | |
Wann hast du die Bonner Welt hinter dir gelassen und bist nach Berlin? | |
Kurz vor der Wende, aber Mitte der Neunziger bin ich wieder nach Bonn | |
zurück. | |
Warum? | |
Ich dachte, die bleiben noch ein bisschen länger als bis 99. Ich habe nicht | |
dran geglaubt, dass die den Umzug schaffen. Es war ein Fehler. Ich wäre | |
besser in Berlin geblieben, sage ich mir heute. Aber ich war auch im | |
Rheinland verwurzelt, meine Frau arbeitete hier, die war Schulleiterin in | |
Hennef. Dann zogen die 1999 weg, und ich habe zugesehen, dass ich dabei | |
war, dass ich wenigstens in Berlin noch ein Büro hatte. | |
Beim Spiegel hatten sie mir gesagt, mach doch in Bonn den Rest für uns. Da | |
ist nichts mehr los, habe ich gesagt, aber Stefan Aust, der damals | |
Chefredakteur war, hat mir in meinem Haus, das ich da gemietet hatte, eine | |
Etage dazu bezahlt. Ich war ab Montag trotzdem immer in Berlin und konnte | |
mich jederzeit nach Bonn zurückziehen. Das war das Tolle am Spiegel, die | |
haben mir das erlaubt. Ich war der, der immer zwischen Bonn und Berlin | |
pendelte. | |
2006 hast du aufgehört. Wie war das für dich? | |
Da wurde ich 65 und habe noch bis zum Jahresende gearbeitet. Anfang 2007 | |
haben der Kollege Jürgen Leinemann und ich unseren Ausstand gegeben. Das | |
war ein sagenhaftes Fest. Da trafen das ganze alte Bonn und das ganze neue | |
Berlin zusammen. Das war damals das einzige Mal, dass Angela Merkel und | |
Gerhard Schröder überhaupt noch mal zusammenkamen. | |
19 Sep 2022 | |
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Felix Zimmermann | |
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