# taz.de -- Konfrontation in Nahost: „Dieser Krieg muss beendet werden“ | |
> Die Attentate auf Hamas- und Hisbollah-Führer haben Verhandlungen fast | |
> unmöglich gemacht, sagt der israelische Friedensvermittler Gershon | |
> Baskin. | |
Bild: Benjamin Netanjahu, hier in Rafah, „ist zur Geisel seiner Koalition und… | |
taz: Herr Baskin, wie wirken sich die beiden [1][Attentate in Beirut und | |
Teheran] auf die Verhandlungen zwischen Israel und der Hamas aus? | |
Gershon Baskin: Das ist eine sehr schlechte Nachricht für die Geiseln. Im | |
Moment finden keine Verhandlungen statt. | |
taz: Weil mit Hamas-Politbürochef Ismael Hanijeh ein Verhandlungspartner | |
fehlt? | |
Baskin: [2][Hanijeh] saß nicht am Verhandlungstisch – das ist eine | |
Falschinformation, die um die Welt ging. Sein Stellvertreter Chalil | |
al-Hayya leitete das Verhandlungsteam. Aber die Hamas trifft Entscheidungen | |
im Konsens. Und Hanijeh vertrat die Leute im Politbüro, die auf eine | |
Einigung drängen. Sie wehrten sich gegen den Führer des militärischen | |
Flügels, Jahia Sinwar, der viel härtere Forderungen stellte. | |
taz: Die Verhandlungen stocken schon lange. Warum? | |
Baskin: Zuletzt konzentrierten sich die [3][Verhandlungen] mehrere Monate | |
lang auf das, was US-Präsident Biden als Netanjahu-Plan vorstellte: den | |
ursprünglichen ägyptischen Vorschlag, der drei Phasen vorsah. Vor etwa | |
einem Monat gab die Hamas ihre Forderung auf, dass Israel sich verpflichten | |
sollte, den Krieg nach der ersten Sechs-Wochen-Phase vollständig zu | |
beenden. Alle dachten, das wäre die Chance auf eine Einigung. Doch dann | |
legte Netanjahu zusätzliche Bedingungen auf den Tisch – etwa, dass Israel | |
die Kontrolle über die 14 Kilometer lange Grenze zwischen dem Gazastreifen | |
und dem Sinai, wo die Israelis Schmuggeltunnel entdeckt haben, behalten | |
sollte. Netanjahu will an dieser Linie festhalten. Außerdem möchte Israel | |
die Kontrolle über den Neztarim-Korridor, der den Gazastreifen quasi in | |
Nord und Süd teilt, behalten, um die Bewegungen von Menschen aus dem Süden | |
in den Norden zu überwachen. | |
taz: Netanjahu weigert sich, den Krieg zu beenden? | |
Baskin: Ja. Israel möchte von den USA die Zusage, dass es den Krieg | |
jederzeit wieder aufnehmen kann, wenn es der Meinung ist, dass die Hamas | |
gegen das Abkommen verstößt. Zuletzt forderte es eine Liste aller Geiseln, | |
die vor Beginn des Waffenstillstands freigelassen werden sollen. Außerdem | |
verlangte es bei der Auswahl der freizulassenden palästinensischen | |
Gefangenen ein Vetorecht. Die Hamas hat all diese Forderungen abgelehnt. Es | |
gibt also viele Differenzen zwischen den beiden Parteien, und sie sind | |
einer Einigung überhaupt nicht nahe. | |
taz: Wie könnte eine Einigung aussehen? | |
Baskin: Die Verhandlungsführer, die Ägypter und Kataris, sollten mit Blick | |
auf die Maximalpositionen beider Seiten ein Abkommen auf den Tisch legen | |
und dann zu Israel und der Hamas sagen: Nehmt es an oder lasst es bleiben. | |
Dann ist es das Ende unserer Rolle als Vermittler. Wie lange kann dieses | |
Spiel noch weitergehen? Dieser Krieg muss offensichtlich beendet werden. | |
Die Geiseln müssen nach Hause kommen. Es muss ein Abkommen geben. | |
taz: Warum ist das noch nicht passiert? | |
Baskin: Ich denke, Ägypten und Katar haben Angst, den Amerikanern zu sagen: | |
Wir sind raus aus dem Spiel. Die USA drängen auf eine Verhandlungslösung | |
und wollen, dass sie vermitteln. Die USA unterhalten allen Vorbehalten zum | |
Trotz enge Beziehungen mit Katar. Der größte US-Militärstützpunkt im Nahen | |
Osten befindet sich dort. Die USA haben Katar unter anderem benutzt, um mit | |
den Taliban zu verhandeln. Und Ägyptens Militär ist von den USA abhängig | |
taz: Wie könnte ein Kompromiss aussehen? | |
Baskin: Ich habe den Vermittlern einen Vorschlag geschickt. Nach sechs | |
Wochen sollte der Krieg enden und Israel sich aus dem Gazastreifen | |
zurückziehen. Die USA sollten die Kontrolle über den Philadelphia-Korridor | |
und, zusammen mit Ägypten, über die Grenze nach Gaza übernehmen, um | |
sicherzustellen, dass dort kein Schmuggel mehr erfolgt. Die Hamas würde | |
innerhalb von sechs Wochen alle 115 +Geiseln freilassen, ob tot oder | |
lebendig – im Austausch für über 4.000 Palästinenser, die Israel gefangen | |
hält. Für jede Geisel wären das 35 palästinensische Gefangene – die Hälf… | |
davon mit lebenslangen Haftstrafen. Die Gefangenen sollten nicht deportiert | |
und nicht nach Gaza geschickt, sondern in ihre Heimat entlassen werden. | |
taz: Haben Sie eine Antwort erhalten? | |
Baskin: Ich erwarte keine Antwort. Ich habe dem ägyptischen Geheimdienst | |
und einem hohen Beamten in Katar meinen Vorschlag geschickt und wiederholt | |
nachgehakt. Ich bin eine kleine Nervensäge. | |
taz: Auf der einen Seite rüsten die USA Israel massiv auf, damit es den | |
Krieg fortsetzen kann. Auf der anderen Seite warnen sie Benjamin Netanjahu | |
davor, den Krieg auszuweiten, etwa im Libanon. Ist diese Haltung nicht sehr | |
widersprüchlich? | |
Baskin: So war das schon immer. Die USA sind keine neutralen Vermittler. | |
Sie stehen auf der Seite Israels, und selbst nach den beiden Anschlägen, | |
die Israel jetzt mutmaßlich verübt hat, haben sie Israels Recht auf | |
Selbstverteidigung bekräftigt. Sie schicken Kriegsschiffe in die Region, | |
und sollte der Iran Israel erneut angreifen, werden sie zur Stelle sein, um | |
Raketen oder Drohnen abzuschießen, die auf Israel abgefeuert werden. Das | |
hat zum Teil mit gemeinsamen Werten zu tun und zum Teil mit der Macht der | |
Fundamentalisten unter den evangelikalen Christen in den USA und der | |
proisraelischen Lobby in Washington. Die USA nehmen die Welt traditionell | |
so wahr, dass es eine Achse des Bösen gibt, die vom Iran angeführt wird, | |
und mit der Hisbollah, der Hamas und den Huthis als deren Stellvertretern, | |
während der Iran Amerika als den großen Teufel und Israel als kleinen | |
Teufel darstellt. Es gibt hier also definitiv zwei Seiten. | |
taz: An der libanesisch-israelischen Grenze gibt es eine | |
UN-Friedensmission, und mit Amos Hochstein hat Joe Biden einen US-Gesandten | |
in die Region entsandt, der vermitteln soll. Gibt es Chancen, wenigstens an | |
dieser Grenze Frieden zu schaffen? | |
Baskin: Der Konflikt zwischen Israel und der Hisbollah wird erst dann | |
enden, wenn der Krieg in Gaza endet – das eine ist mit dem anderen | |
verbunden. Im Moment müssen wir uns auf eine Reaktion der Hisbollah, der | |
Hamas und des Iran einstellen. Sollte sich diese Reaktion in Grenzen halten | |
oder es nur minimale Verluste und Schäden geben, könnte Amos Hochstein | |
wieder vermitteln. Wenn der Krieg in Gaza zu Ende ist, müssen sich die | |
Amerikaner, Franzosen und Briten intensiv für ein Abkommen zwischen Israel | |
und dem Libanon einsetzen. Der Konflikt ist lösbar, aber auf beiden Seiten | |
fehlt derzeit der politische Willen dafür. Das alles bringt uns zurück zum | |
Kern des Nahostkonflikts, dem israelisch-palästinensischen Konflikt. Der | |
muss gelöst werden. Dies muss wirklich der letzte | |
israelisch-palästinensische Krieg sein. | |
taz: Manche meinen, mit den beiden gezielten Attentaten in Beirut und | |
Teheran könnte Netanjahu sagen, er habe seine Kriegsziele erreicht, und den | |
Krieg beenden. Was halten Sie davon? | |
Baskin: Nein, das glaube ich nicht. Das Attentat auf Hanijeh war eine | |
Botschaft an Iran und dessen [4][neuen Präsidenten]. Netanjahu hat nicht | |
die Absicht, den Krieg zu beenden – zumindest nicht, solange Jahia Sinwar | |
lebt. | |
taz: Warum riskiert Netanjahu eine Eskalation? | |
Baskin: Weil der Iran für Israel eine echte Bedrohung darstellt. Und es | |
gibt Leute in Netanjahus Kabinett, die eine Eskalation wollen. Sie wollen, | |
dass Israel in den Libanon einmarschiert und die Hisbollah aus dem | |
Grenzgebiet vertreibt. Der Angriff auf Beirut sollte zeigen, dass Israel in | |
der Lage ist, den Libanon in die Steinzeit zurückzubomben, wie es schon im | |
letzten Krieg 2006 hieß. | |
taz: Beim letzten Mal haben Hisbollah und Iran verhalten reagiert und | |
Raketen geschickt, die leicht abgewehrt werden konnten. Das war nach dem | |
israelischen Luftangriff auf das iranische Konsulat in Damaskus und der | |
gezielten Tötung von Hamas-Kommandant Saleh al-Aruri in Beirut. Warum | |
riskiert Israel jetzt eine erneut eine Eskalation? | |
Baskin: Israel hat am 7. Oktober seine gesamte Abschreckungskraft verloren. | |
Die extreme Zerstörung des Gazastreifens und die anderen Reaktionen sollen | |
allen potenziellen Feinden die Botschaft vermitteln: Legt euch nicht mit | |
uns an. Wir haben es am 7. Oktober vermasselt, aber wir werden es nicht | |
noch einmal vermasseln. | |
taz: Was könnte den Krieg beenden? | |
Baskin: Ich glaube nicht, dass die Lösung aus Israel kommen wird. Netanjahu | |
hat freie Hand zum Handeln. Die Mehrheit der Israelis scheint zu wollen, | |
dass Israel noch härter zuschlägt. Netanjahu ist zur Geisel seiner | |
Koalition aus rechtsgerichteten fanatischen Verrückten und seiner eigenen | |
politischen Probleme geworden. Möglich ist, dass er den Krieg beendet, | |
sobald sie Sinwar finden und töten. Das wäre ein Grund für Netanjahu, zu | |
sagen: Wir haben unseren totalen Sieg errungen. Eine andere Möglichkeit | |
wäre, dass die Vermittler ein Abkommen auf den Tisch legen und Druck | |
aufbauen, das Abkommen zu akzeptieren. Das Militär und der Geheimdienst in | |
Israel sind müde. Sie wollen den Krieg nicht fortsetzen. Aber die Regierung | |
entscheidet darüber, nicht sie. Die Hamas im Gazastreifen wird nicht | |
aufgeben. Viele glauben, dass es ihr Gebot ist, als Märtyrer zu sterben. | |
Das gilt auch für die Hisbollah. Man kann jeden Hisbollah-Kommandeur | |
umbringen. Es gibt immer jemanden, der ihn ersetzt. | |
taz: Und wenn die USA und ihre Verbündeten Israel androhen, keine Waffen | |
mehr zu liefern? | |
Baskin: Das ist nicht sehr wahrscheinlich. Die Briten bewegen sich in diese | |
Richtung. Aber die israelische Armee hat gerade einen Vertrag mit Elbit | |
abgeschlossen, einem israelischen Unternehmen, das seine eigene | |
Waffenproduktion erhöhen wird. Israel wird also viel mehr selbst | |
produzieren – und weniger von den USA und anderen Staaten abhängig sein, | |
was die Bomben angeht, die auf Gaza abgeworfen werden. | |
taz: In Deutschland und den USA gibt es Proteste, um die Waffenlieferungen | |
zu stoppen. | |
Baskin: Ja. In Israel denkt man, dass diese Demonstrationen alle | |
antisemitisch seien. Aber es ist nichts falsch daran zu fordern, dass | |
Palästina vom Fluss bis zum Meer frei sein soll – wenn man damit meint, | |
dass Juden und Araber dort als Gleiche in einem demokratischen Staat leben | |
sollten. | |
taz: Was gibt Ihnen die Hoffnung, dass der Konflikt jemals gelöst wird? | |
Baskin: Wir haben keine andere Wahl. Zwischen dem Jordan und dem Mittelmeer | |
leben sieben Millionen Israelis und sieben Millionen Palästinenser, und sie | |
werden nirgendwohin gehen. Wir müssen akzeptieren, dass jeder, der hier | |
lebt, das gleiche Recht auf die gleichen Rechte hat. Selbst wenn beide | |
Seite glauben, dass Gott ihnen dieses Land gegeben hat, müssen sie das | |
gegenseitige Recht der anderen auf eine selbstbestimmte Existenz | |
anerkennen. Wir wissen, wie eine Lösung aussehen und wie wir sie | |
vorantreiben könnten. Aber dazu müssen wir unsere aktuellen Führungen | |
loswerden. Wir brauchen Menschen, die nach vorne schauen und nicht zurück. | |
4 Aug 2024 | |
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Julia Neumann | |
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