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# taz.de -- Volkswirt Tobias Börger: „Verteidigung ist öffentliches Gut“
> Steuererhöhungen für Militärausgaben? Die Bevölkerung wäre dem gar nicht
> abgeneigt, sagt Volkswirt Tobias Börger basierend auf einer Untersuchung.
Bild: Neuer Dienstwagen? Verteidigungsminister Boris Pistorius auf einem Kampfp…
taz: Herr Börger, [1][Sie haben in einer repräsentativen Studie errechnet,]
dass die Bevölkerung in Deutschland jährlich etwa 11,5 Milliarden Euro mehr
für Verteidigung ausgeben würde, das würde einem Anstieg des Wehrbudgets um
20 Prozent entsprechen. Der Regierungsentwurf für den kommenden Haushalt
sieht vor, dass der Wehretat um etwa 2,5 Prozent steigen soll. Könnte man
sagen, was den Rückhalt in der Bevölkerung betrifft, wäre durchaus mehr
Geld drin?
Tobias Börger: Wenn man unsere Ergebnisse ganz weit auslegen würde, dann
könnte man das sagen. Doch die Beispiele in unserer Studie, mit denen wir
die Zahlungsbereitschaften der Menschen erhoben haben, entsprechen nicht
den Maßnahmen, die im Verteidigungsministerium gerade diskutiert werden.
Wie meinen Sie das?
Die Grundidee unserer Studie war: Was ist nationale Sicherheit Menschen
wert? Das Problem ist nur, dass man diese Frage schwer bemessen kann. 2
Prozent mehr nationale Sicherheit oder 5 Prozent, das kann man auf einer
Skala überhaupt nicht ausdrücken. Also haben wir konkrete Politikmaßnahmen
identifiziert, mit denen die Bundesrepublik sicherer gegen Angriffe von
außen wäre. Wir haben Menschen befragt, wie ihre Zahlungsbereitschaft für
vier Maßnahmen wäre: eine Erhöhung der Truppenstärke der Bundeswehr, der
Aufbau einer europäischen Armee, [2][die mögliche Wiederaktivierung der
Wehrpflicht] oder Schutzschirme gegen Angriffe aus der Luft. Und für diese
konkreten Maßnahmen haben wir letztendlich Zahlungsbereitschaften
ermittelt.
Und für diese Maßnahmen würden die Menschen in Deutschland gerne mehr Geld
bezahlen?
Die 11,5 Milliarden Euro an zusätzlichen Investitionen in unserer Studie
beziehen sich auf die vier von uns genannten Maßnahmen.
Zahlungsbereitschaften bei ökonomischen Studien messen letztlich die
Wertschätzung für ein bestimmtes Mittel. Was man anhand unserer Erhebung
sagen kann, ist, dass die Bevölkerung bereit wäre, mehr Steuern zu zahlen,
um Verteidigungsausgaben zu finanzieren.
[3][Mit dem Sonderprogramm für die Bundeswehr] werden Militärausgaben in
Deutschland aktuell massiv über Schulden finanziert. Die Leute wären aber
auch bereit, direkt belastet zu werden für diese Wehrausgaben?
Absolut. In unserer Studie ist die Zahlungsbereitschaft immer ausgedrückt
über Steuererhöhungen für die Befragten selbst. Da steht eine gewisse
Methodik dahinter, in der es darum geht, die Belastungen der Befragten
konkret zu erfassen: Ist es für mich, mit meinem Einkommen, in meiner
Lebenssituation, mit meiner Familie, ist es mir gerade 150 Euro wert, dass
die Truppenstärke der Bundeswehr erhöht wird oder nicht?
Sie haben die Zahlungsbereitschaft der Befragten auch nach
Parteienpräferenz geordnet: Wähler*innen von SPD, Union, FDP und Grünen
würden jeweils etwa 100 Euro mehr im Jahr bezahlen, wenn die Bundeswehr
dafür um 25 Prozent größer wäre. Große Unterschiede gibt es je nach
Parteianhängerschaft aber bei der Wiedereinführung der Wehrpflicht. Vor
allem Grünen-Wähler*innen sind dagegen. Ist das nicht ein Widerspruch?
Das könnte durchaus sein. Natürlich müsste die Erhöhung der Truppenstärke
durch eine Anzahl von Männern und Frauen geleistet werden, und das könnten
zum Beispiel Wehrpflichtige sein.
Man könnte bei den Anhänger*innen der Grünen also pointiert sagen: Geld
ja, Einsatz nein?
Das haben wir nicht näher untersucht. Es könnte ja auch eine Altersfrage
sein. Wenn man im wehrfähigen Alter ist, dann wird die Frage viel
persönlicher. Was wir sehen, ist, dass Ablehnung gegenüber der Wehrpflicht
viel stärker ist bei jüngeren Befragten, und das durch alle Parteien.
Können Sie denn anhand der Studiendaten sagen, bei welchen Wähler*innen
die Zahlungsbereitschaft für die Erhöhung der Truppenstärke am größten
wäre?
Nein, bei den Grünen, der CDU und der SPD ist das mehr oder weniger gleich.
Wir haben hier kleine Unterschiede festgestellt, aber die sind statistisch
nicht bedeutsam. Hinzu kommt: Unsere Studie beruht auf der Sonntagsfrage,
da sind die Anhänger der einzelnen Parteien in unterschiedlichen Stärken
vertreten. Das ist auch ein Grund dafür, warum wir zu den Wählern der
Linken nur vage Aussagen treffen können, weil ihre Zahl zum Datum der
Erhebung so klein war.
Ihre Studie zeigt auch, dass es bei AfD-Wähler*innen die niedrigste
Bereitschaft gibt, für eine Erhöhung der Truppenstärke der Bundeswehr mehr
Geld auszugeben. Hat Sie das überrascht?
Die Untersuchungen zum Zusammenhang zwischen Parteipräferenzen und der
Zahlungsbereitschaft für einzelne Maßnahmen waren in dieser Studie rein
explorativ, wir hatten keine Erwartungen für den Zusammenhang zwischen
diesen beiden Antworten. Für zukünftige Studien wäre eine genauere
Untersuchung jedoch eine wichtige Aufgabe.
Gibt es historische Studien, anhand derer Sie feststellen können, ob die
Zahlungsbereitschaft der Bevölkerung in Deutschland für
Verteidigungsausgaben gestiegen ist? Zum Beispiel wegen Russlands Krieg in
der Ukraine?
Nein, dazu gibt es leider nichts. Der Grund dafür, warum wir diese Studie
aufgesetzt haben, ist, dass es diese Art von Untersuchungen bisher
eigentlich weltweit nicht gibt: also die Bewertung der
Verteidigungsbereitschaft in ökonomischen Einheiten, in Euros und Cents.
Aber man muss dazu sagen, dass so eine Methodik, wie wir sie gewählt haben,
unter anderen Ökonominnen und Ökonomen auch kritisch gesehen wird.
Warum?
Wir haben hypothetische Fragen gestellt: Wir haben den Studienteilnehmern
zwar alles möglichst realistisch vorgestellt und sie darum gebeten, gut zu
überlegen und die Fragen ernst zu nehmen. Trotz dieses ganzen Aufwands
wissen wir final natürlich nicht, ob ein Befragter, der sagt, er würde für
die Erhöhung der Truppenstärke 140 Euro mehr zahlen, das auch wirklich tun
würde. Unsere Methodik kommt aus dem Bereich der Umwelt- und der
Gesundheitsökonomik. Wenn es um Klimaschutz geht oder die Verbesserung der
Luftqualität in Städten, wird diese Art von Studien sehr routinemäßig
angewendet, es geht dabei um die Bewertung so genannter öffentlicher Güter.
Unsere Studie ist, soweit wir das überblicken können, die erste, die dieses
Konzept auf die Verteidigungspolitik anwendet.
Was hat denn die Luftqualität mit Verteidigungsausgaben zu tun?
Darum geht es nicht. Aber es ist sinnvoll, Verteidigungsmaßnahmen als ein
öffentliches Gut zu betrachten. Wenn man innerhalb der deutschen Grenzen
lebt und es einen gewissen Verteidigungsschutz gibt, dann kommt der allen
zugute, die sich hier aufhalten. Die Frage ist dann: Was ist uns das wert?
Wir reden gerade wegen des Regierungsentwurfs für den Haushalt viel über
die Kosten. Aber aus einer Wohlfahrtsperspektive muss man auch erkennen,
dass die Ausgaben einen Nutzen produzieren. Und um die Quantifizierung
dieses Nutzens geht es.
Aber in der Praxis geht es dann doch häufig um eine Abwägung zwischen
mehreren öffentlichen Gütern, etwa Gesundheitsversorgung und Verteidigung:
Wäre ich etwa bereit, auf eine bessere Sozialversorgung zugunsten einer
stärkeren Bundeswehr zu verzichten. Wenn Einschnitte in anderen Bereichen
spürbar werden, sieht man die eigene Zahlungsbereitschaft nochmal etwas
kritischer, oder?
Diese Überlegungen gibt es auf jeden Fall, und das ist auch eine absolut
spannende Forschungsfrage. Methodisch würde man hier versuchen, Präferenzen
der Bevölkerung für die einzelnen Budgetposten im Haushalt zu erfahren.
Dann kann man diese Zielkonflikte betrachten, die es natürlich gibt: Wenn
also ein Verteidigungshaushalt steigen soll, dann muss vielleicht ein
Sozialhaushalt dementsprechend kleiner ausfallen. Meines Wissens gibt es
Fragestellungen wie diese in der Literatur bereits schon, und wir im Team
überlegen, ob wir das in Zukunft auch nochmal erforschen
21 Jul 2024
## LINKS
[1] https://www.wirtschaftsdienst.eu/inhalt/jahr/2023/heft/6/beitrag/der-wert-v…
[2] /Pistorius-Plaene-zur-Wehrpflicht/!6015160
[3] /Sondervermoegen-fuer-Bundeswehr/!5855322
## AUTOREN
Cem-Odos Güler
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