# taz.de -- Verschärfte Sanktionen im Bürgergeld: „Zurück im alten Hartz-I… | |
> Bürgergeldempfänger müssen mit schärferen Sanktionen rechnen. Nicht | |
> sinnvoll, findet SPD-Abgeordnete Annika Klose und kündigt Widerstand an. | |
Bild: Die Jobcenter sollen Bürgergeldempfänger:innen bald wieder stärker san… | |
taz: Frau Klose, [1][Olaf Scholz hat die geplanten Verschärfungen von | |
Sanktionen] und Meldepflichten für Bürgergeldempfänger:innen in der | |
Sommerpressekonferenz verteidigt. Man müsse die Leute eben „ermuntern“, | |
Arbeit anzunehmen. Wie finden Sie das? | |
Annika Klose: Ich habe Verständnis dafür, dass der Kanzler das verteidigt, | |
denn er muss die Regierungseinigung verteidigen. Aus fachlicher Sicht finde | |
ich diese Verschärfungen aber überhaupt nicht sinnvoll. | |
taz: Warum nicht? | |
Klose: Wenn man sich die Studienlage anschaut, dann stimmt es zwar, dass | |
Arbeitslose mit schärferen Sanktionen schneller einen Job annehmen. Aber es | |
zeigt sich eben auch, dass es nachhaltig negative Auswirkungen auf das | |
Lohnniveau hat. Und im Hartz-IV-System haben wir gesehen, dass sich ein | |
Dreh-Tür-Effekt eingestellt hat, wenn die Leute Jobs angenommen haben, die | |
nicht zu ihnen passen. Und deshalb glaube ich, dass der Weg zum Bürgergeld, | |
wie wir ihn ursprünglich geplant haben, der sinnvollere ist. | |
taz: Auch SPD-Wähler:innen, sehen das anders. Das Bürgergeld gilt | |
mittlerweile als „bedingungsloses Grundeinkommen“, Leute, die wenig | |
verdienen, haben demnach kaum mehr Geld in der Tasche als Leute, die nicht | |
arbeiten. | |
Klose: Definitiv hat das Bürgergeld ein Imageproblem. Was aber auch daran | |
liegt, dass es andauernde Hetzkampagnen von rechts dagegen gibt. Dabei wird | |
auch mit Missinformationen gearbeitet. | |
taz: Zum Beispiel? | |
Klose: Das Bürgergeld ist eben kein bedingungsloses Grundeinkommen. Es gab | |
und gibt die ganze Zeit Mitwirkungspflichten. Es gibt auch jetzt | |
Sanktionen. Unser Ansatz ist aber, die Menschen besser zu beraten, zu | |
unterstützen und zu qualifizieren, damit sie in einen Job kommen, der zu | |
ihnen passt. Das ist nach wie vor sinnvoll und ich glaube, dafür gäbe es | |
auch gesellschaftliche Zustimmung. | |
taz: Aber warum dringen Sie damit nicht durch? | |
Klose: Das Problem ist, dass die vielen sinnvollen Instrumente, die wir | |
eingeführt haben, daran scheitern, dass den Jobcentern das nötige Geld | |
nicht zur Verfügung steht. Und sie sind zum anderen personell sehr stark | |
mit der Unterstützung der Ukrainerinnen und Ukrainer gebunden. | |
taz: Es gibt Kritik daran, dass geflüchtete Ukrainer:innen sofort Zugang | |
zum Bürgergeld hatten, [2][die Beschäftigungsrate aber nach wie vor mit 27 | |
Prozent] sehr niedrig ist. Schmälert also das Bürgergeld den Anreiz | |
arbeiten zu gehen? | |
Klose: Sicher sind 27 Prozent noch nicht zufriedenstellend. Aber | |
Deutschland hat eben den Weg gewählt, den Leuten [3][zunächst Gelegenheit | |
zu geben, Deutsch zu lernen], damit sie langfristig eine Perspektive haben. | |
Das finde ich genau richtig. Denn wir sehen ja, dass Arbeitgeberinnen und | |
Arbeitgeber sehr häufig gute Deutschkenntnisse erwarten. Andere Länder sind | |
da im Vorteil. In den Niederlanden kommt man beispielsweise mit Englisch | |
sehr viel weiter, in Polen ist die Sprachbarriere nicht so hoch. Mit dem | |
Jobturbo setzen wir jetzt darauf, dass die Menschen anfangen zu arbeiten | |
und nebenher weiter Deutsch lernen. Und zudem entlastet es auch die | |
Kommunen finanziell und organisatorisch, wenn geflüchtete Ukrainer:innen | |
nicht übers Asylbewerberleistungsgesetz von ihnen betreut werden müssen. | |
Für Bürgergeldempfänger:innen sind die Jobcenter und damit der Bund | |
zuständig, der auch finanziell einen höheren Anteil übernimmt. | |
taz: Wie viel ist vom ursprünglichen Bürgergeld-Gedanken noch übrig, | |
weniger zu gängeln? Die nun geplanten Verschärfungen erinnern sehr an das | |
alte Hartz-IV-Prinzip: Fordern und fördern. | |
Klose: Wenn die Sanktionen so kommen, wie der Regierungsentwurf es | |
vorsieht, dann wären wir in diesem Punkt zurück im alten Hartz-IV-System. | |
Und mit den verschärften Sanktionen sogar einen Schritt weiter. Eine | |
vollständige Streichung des Regelsatzes gab es zuletzt nicht einmal bei | |
Hartz IV. Aber es gibt auch noch wichtige Bestandteile des Bürgergeldes, | |
die bleiben: der Kooperationsplan für individuelle Unterstützung. Auch die | |
Abschaffung des Vermittlungsvorrangs bleibt, Menschen sollen eben nicht in | |
die nächstbeste Arbeit vermittelt werden, sondern Qualifizierung wird | |
gleichrangig gefördert. Auch Coaching und der soziale Arbeitsmarkt sind | |
weiterhin wichtige Instrumente, die allerdings alle vom Etat der Jobcenter | |
abhängen. Und die aktuelle Haushaltseinigung sieht für die Eingliederungs- | |
und Verwaltungstitel der Jobcenter weniger Geld vor. Das heißt also: Das | |
Gesetz kann so gut sein, wie es will, es muss auch umgesetzt werden. | |
taz: Falls nicht, ist man also zurück bei Hartz IV. Stemmt sich die SPD | |
dagegen oder knickt sie ein? | |
Klose: Da regt sich Widerstand. Auch unser Fraktionsvorsitzender Rolf | |
Mützenich hat angekündigt, dass man sich das im parlamentarischen Verfahren | |
sehr genau anschauen wird. Das höre ich auch von vielen Fachkolleginnen und | |
-kollegen. Wir werden sehr genau prüfen, was sinnvoll ist und was nicht. | |
25 Jul 2024 | |
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## AUTOREN | |
Anna Lehmann | |
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