# taz.de -- Ukrainische Geflüchtete in Deutschland: Beim Putzen lernt man kaum… | |
> Geflüchtete Ukrainer:innen sollen schnell in irgendeine Beschäftigung | |
> und dann „on the job“ Deutsch lernen. Das weckt Ängste vor | |
> Dequalifizierung. Denn viele Betroffene haben einen akademischen | |
> Abschluss. | |
Bild: Wie sinnvoll ist die Schnellintegration in Hilfsjobs, wenn man ganz an… | |
BERLIN taz | Kataryna Z. ist vor fast zwei Jahren aus Charkiw nach | |
Deutschland geflüchtet und lebt in Hamburg. Die 28-jährige ist | |
Musikwissenschaftlerin, Sängerin, spielt mehrere Instrumente und schreibt | |
an einer Dissertation über traditionelle ukrainische Musik für eine | |
Universität im Heimatland. „Ich will in Deutschland als Musiklehrerin | |
arbeiten“, sagt sie, die bereits eine Deutschprüfung auf dem sogenannten | |
B1-Level schaffte. Vor einigen Wochen flatterte vom Jobcenter ein | |
Stellenangebot herein, an einer Schule. Aber leider nicht als Lehrerin, | |
sondern als Reinigungskraft. | |
„Ich habe das Angebot abgelehnt“, sagt Kataryna Z., „in der Ukraine hatte | |
ich schon zehn Jahre lang Musikunterricht gegeben.“ Über den Tipp eines | |
Freundes hat sie jetzt einen Job an einer Sekundarschule in Hamburg | |
gefunden und erteilt in einer neunten Klasse vier Wochenstunden | |
Musikunterricht. „Wenn ich die Deutschprüfung für das B2-Niveau geschafft | |
habe, gebe ich vielleicht Vollzeitunterricht“, sagt Z. im Gespräch mit der | |
taz. | |
Z. ist eine von rund 1,1 Millionen geflüchteten Ukrainer:innen. Nur 21 | |
Prozent der Geflüchteten sind berufstätig. Über [1][die Hälfte von diesen | |
habe eine Tätigkeit im Helferbereich aufgenommen,] errechnete unlängst die | |
Bundesagentur für Arbeit. Der Prozentanteil der Beschäftigten liegt | |
deutlich niedriger als etwa in den Niederlanden und erst recht in Polen. | |
Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) hat deshalb den „Job-Turbo“ | |
ausgerufen, laut dem die Ukrainer:innen schon nach dem ersten sechs- bis | |
achtmonatigen Integrations- und Sprachkurs in Arbeit kommen und sich „on | |
the job“ weiterbilden sollen. Die Frage ist nur: Wie sinnvoll ist die | |
Schnellintegration in Hilfsjobs, wenn man ganz andere Qualifikationen hat? | |
## Amt verweigert weiterführende Sprachkurse | |
„Die Frauen kriegen vermehrt Angst, die fühlen sich vom Jobcenter | |
gedrillt“, sagt Anastasija Au von der Beratungsstelle [2][Infopoint] des | |
Vereins „Schöneberg hilft“ in Berlin. Das Netzwerk Integration durch | |
Qualifizierung (IQ) weist in einem neuen [3][Bericht] auf die Ängste von | |
Ukrainer:innen hin, die aufgrund des politisch verkündeten Jobturbos | |
jetzt in den Jobcentern Absagen bekommen, wenn sie einen weiterführenden | |
Sprachkurs für das B2-Level machen wollen. „Ich habe heute einen Anruf | |
erhalten und mir wurde gesagt, dass das Jobcenter keine Deutschkurse auf | |
B2-Niveau mehr finanziert, dass dies eine neue Regierungsentscheidung ist“, | |
so eine Ukrainerin laut dem Bericht. | |
„Manche Ukrainerinnen bekommen vom Jobcenter den B2-Kurs nicht bewilligt“, | |
erzählt auch Florina Malso, Beraterin beim Verein „Feine Ukraine“ in | |
Hamburg, „da sagt das Jobcenter: geh arbeiten“. Dabei müsse man doch in | |
qualifizierten Berufen über viel längere Zeit als die vorgesehenen sechs | |
bis acht Monate eines Integrationssprachkurses die Sprache lernen. | |
In der Facebook-Gruppe „Brücke. Hilfe für ukrainische Geflüchtete“ tausc… | |
sich 70.000 Geflüchtete aus. Deutsche Mitleser:innen können die Texte | |
durch die automatische Übersetzung mitverfolgen. Y. F. schreibt: „Oh, meine | |
Situation gerade! Mein ganzes Leben lang war ich als Redakteurin in einem | |
Filmstudio sowie als Journalistin und Übersetzerin tätig. Aber das | |
Jobcenter besteht darauf, dass ich in einem Pflegeheim oder als | |
Hotelzimmermädchen arbeite.“ | |
Worauf M. M. entgegnet: „Meine Eltern und ich sind Ende der 90er Jahre | |
hergekommen. Mein Vater hatte an der Universität unterrichtet, meine Mutter | |
war Lehrerin. Papa war dann Fahrer, Mutter hat als Packerin gearbeitet. An | |
der Arbeit ist keine Schande. Einheimische sind zunehmend unzufrieden mit | |
Eliteflüchtlingen.“ Worauf L. F. antwortet: „Das Jobcenter bietet alle | |
offenen Stellen an. Sowohl nach deiner Qualifikation als auch als | |
unqualifizierte Hilfskraft. Letzteres ist viel häufiger.“ | |
## Überdurchschnittlich hoher Bildungsgrad | |
Die Qualifikationsfrage ist deswegen so heikel, weil Geflüchtete aus der | |
Ukraine in der Regel ein hohes Bildungsniveau aufweisen, und zwar sogar | |
höher, als es im Durchschnitt der Bevölkerung in der Ukraine der Fall ist. | |
[4][72 Prozent] der in Deutschland lebenden Geflüchteten aus der Ukraine | |
haben einen Hoch- oder Fachhochschulabschluss. 80 Prozent der Geflüchteten | |
sind Frauen, viele davon haben Kinder, was auch Probleme der | |
Kinderbetreuung aufwirft. | |
Die Frauen haben in der Heimat als Lehrerinnen, Managerinnen, | |
Sachbearbeiterinnen im Büro gearbeitet, erzählen Beraterinnen. Das sind | |
Tätigkeiten, die kontaktintensiv sind und daher gute Sprachkenntnisse | |
erfordern. Und das ist die Hürde. | |
Nataliia Apukhtina, 50 Jahre alt, hat ein Diplom als Architektin und | |
arbeitete nach ihrem Hochschulabschluss als Personalmanagerin in großen | |
Firmen in der Ukraine. Vor zwei Jahren flüchtete Apukhtina mit ihrer | |
zwölfjährigen Tochter aus Charkiw nach Berlin. Sie begann den Integrations- | |
und Sprachkurs für das B1-Level. B1, das bedeutet laut dem [5][europäischen | |
Referenzrahmen] die „Fortgeschrittene Sprachverwendung“. „Man kann die | |
Hauptpunkte verstehen, wenn klare Standardsprache verwendet wird.“ | |
Apukhtina schaffte die B1-Prüfung im ersten Anlauf nicht und im zweiten | |
auch nicht. In den Prüfungen wurde beispielsweise die Lieferung einer | |
Waschmaschine geschildert, die sich als defekt herausstellt. Die Kandidatin | |
sollte alles verstehen und mit qualifizierten Antworten die Situation | |
meistern. „In der Prüfung musste man viel Gesprochenes hören und | |
verstehen, aber im Kurs hatten wir leider nur wenig gesprochen“, sagt | |
Apukhtina. Im dritten Anlauf klappte es dann mit der Prüfung. | |
Apukhtina selbst möchte jetzt einen B2-Kurs besuchen und hofft darauf, dass | |
ihr das Jobcenter den Kurs gewährt. „Mit B2 könnte ich im Juli eine | |
Ausbildung zur Erzieherin beginnen, in Kombination mit einer praktischen | |
Tätigkeit in einer Kita“, erzählt sie. B2, das heißt, man beherrscht die | |
„selbstständige Sprachverwendung“, man „kann die Hauptinhalte komplexer | |
Texte zu konkreten und abstrakten Themen verstehen; versteht im eigenen | |
Spezialgebiet auch Fachdiskussionen“, so die Definition im europäischen | |
Referenzrahmen. Das ist anspruchsvoll. | |
## Ausgebildete Lehrerin putzt Böden | |
Apukthina hat sich auch bei Ikea beworben, das mit der Unternehmensberatung | |
„socialbee“ ein Anlernprogramm samt Sprachkurs für geflüchtete Frauen | |
anbietet. Zum Einstieg reicht ein relativ niedriges Sprachniveau von A2. | |
„Auf einer Jobmesse haben sie die Flyer verteilt“, sagt sie. Das Programm | |
läuft über zwei Monate, die Teilnehmer:innen müssen bereit sein, neben | |
dem Deutschkurs und anderen Qualifikationen im Verkauf, in der Küche und im | |
Kundenservice bei Ikea mitzuarbeiten. Bei Erfolg bietet das Möbelkaufhaus | |
eine Festanstellung an. Eine Fachkraft ist man damit aber noch nicht. | |
Grundsätzlich sei es zwar ein guter Gedanke, „on the job“ Deutsch zu | |
lernen, sagen die Berater:innen. Aber es kommt eben darauf an, ob es sich | |
um eine Tätigkeit handelt, bei der man überhaupt mit Kolleg:innen auf | |
Deutsch kommuniziert und mit der man sich weiterentwickeln kann in Richtung | |
zu einer qualifizierten Tätigkeit. „Sonst hast du womöglich eine voll | |
ausgebildete Lehrerin und sie putzt die Böden, weil sie nicht die | |
Möglichkeit hat, sich ihren Beruf anerkennen zu lassen und die Sprache zu | |
lernen“, meint Au. Mit Putzlappen und im Versandlager kann man keine | |
deutsche Sprache üben und ist am Abend auch zu kaputt, um noch einen | |
B2-Sprachkurs zu besuchen. | |
Einfacher kann es sein, wenn in einem Unternehmen auch Englisch als | |
Betriebssprache gilt. Maksym S., 45, Diplomingenieur, ist mit seiner | |
Familie vor zwei Jahren aus einer Gegend nahe Kyjiw geflüchtet und lebt mit | |
Frau und vier Kindern in einer Wohnung in Hamburg. | |
Schon nach einem Monat hatte er in Deutschland eine Arbeit gefunden, auch | |
ohne nennenswerte Deutschkenntnisse. Er arbeitet in Vollzeit als | |
Produktionsmitarbeiter in einem High-Tech-Metall-Unternehmen, in dem er | |
sich mit seinem Englisch gut verständigen kann. „Man muss bei meiner Arbeit | |
nicht viel reden“, sagt er im Gespräch mit der taz. Sein Job, mit dem er | |
3.500 Euro brutto verdient, ist keine akademische Tätigkeit, aber „meine | |
Ingenieursausbildung ist schon hilfreich, weil ich ein Verständnis für | |
Maschinen habe“, schildert er. | |
In den Niederlanden, in denen die Beschäftigungsquote von Ukrainer:innen | |
viel höher ist als in Deutschland, kommt man mit Englisch in den meisten | |
Betrieben viel besser durch als hierzulande, das betont auch Daniel | |
Terzenbach, Sonderbeauftragter der Bundesregierung für die Integration von | |
Geflüchteten. | |
In Polen mit einer ebenfalls hohen Beschäftigungsquote profitieren die | |
Geflüchteten von der Ähnlichkeit zwischen polnischer und ukrainischer | |
Sprache, eine Sprachbarriere wie in Deutschland existiert dort praktisch | |
nicht. Es gibt weitere Unterschiede, auch in der Bürokratie, die die | |
international unterschiedlichen [6][Beschäftigungsquoten] mit erklären | |
können. | |
Die Union mutmaßt, das angeblich zu hohe Bürgergeld verleite | |
Ukrainer:innen zum Nichtstun und sei mitverantwortlich für die | |
vergleichsweise niedrige Beschäftigungsquote. Es mag Geflüchtete aus der | |
Ukraine geben, die sich mit dem Bürgergeld einrichten, sagen die | |
Berater:innen. Aber solche Bürgergeldempfänger:innen gebe es bei den | |
Deutschen auch. Au sagt: „Die meisten Geflüchteten wollen arbeiten.“ | |
22 Feb 2024 | |
## LINKS | |
[1] https://statistik.arbeitsagentur.de/DE/Statischer-Content/Statistiken/Theme… | |
[2] https://schoeneberg-hilft.de/ehrenamtsprojekte/ | |
[3] https://minor-kontor.de/gefluechtet-um-zu-bleiben/ | |
[4] https://mediendienst-integration.de/migration/flucht-asyl/ukrainische-fluec… | |
[5] https://www.europaeischer-referenzrahmen.de/sprachniveau.php | |
[6] ttps://www.fes.de/themenportal-flucht-migration-integration/artikelseite-fl… | |
## AUTOREN | |
Barbara Dribbusch | |
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