# taz.de -- Ukraine-Flüchtlinge und der Arbeitsmarkt: „Sprache oft die grö�… | |
> Ukrainische Flüchtlinge haben einen Sonderstatuts. Das hat Vor- und | |
> Nachteile. Ein Gespräch mit Andreas Peikert vom Jobcenter | |
> Marzahn-Hellersdorf. | |
Bild: Zentrale Fragen für geflüchtete Menschen in ihrer neuen Heimat (hier au… | |
taz: Herr Peikert, etwa 20 Prozent der Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine | |
haben Arbeit. Manche sagen, das sei zu wenig. Warum ist das so? | |
Andreas Peikert: Aus meiner Sicht ist die Einschätzung, dass es mehr sein | |
könnten, durchaus richtig. Die Ukrainer unterscheiden sich von anderen | |
Flüchtlingsgruppen insofern, als sie einerseits besser qualifiziert sind, | |
weil sie öfter eine Berufsausbildung haben. Andererseits sprechen sie | |
schlechter Deutsch als der Durchschnitt. Dann sind es überwiegend Frauen | |
mit Kindern – und wir haben zu wenig Kita- und Schulplätze. Wenn eine | |
Mutter nicht weiß, wo sie ihr Kind vernünftig betreuen lassen kann, sucht | |
sie nicht nach Arbeit. | |
In den Integrations- und Sprachkurs kann sie dann auch nicht gehen. | |
Es gibt schon Integrationskurse mit Kinderbetreuung in der Zwischenzeit. | |
Aber sie haben völlig Recht, das ist eine Hürde. Das zweite große Problem | |
ist der mangelnde Wohnraum. Diese Diskussion haben wir in Deutschland | |
überall, aber in Berlin ist es ganz massiv. Und unsere Erfahrung ist: Wer | |
nicht weiß, wo er und seine Lieben untergebracht werden, wer beim Wohnen | |
keine Stabilität hat, hat Schwierigkeiten, sich mit dem Thema Arbeit | |
auseinanderzusetzen. Das ist bei Deutschen genauso wie bei Ausländern. | |
Ist denn die Beschäftigungsquote bei Ukrainern schlechter als bei – sagen | |
wir – Syrern und Afghanen, die es in Ihrem Bezirk auch viel gibt? | |
Die Konstellation ist einfach eine andere. Die Ukrainer haben das Privileg, | |
direkt ins Jobcenter zu kommen, sie dürfen sofort arbeiten, bekommen | |
Bürgergeld, die anderen haben den Umweg über die Asylbewerberleistungen. | |
Das heißt: Wenn die Syrer und Afghanen zu uns kommen, nachdem ihr Asyl | |
anerkannt wurde, sind sie schon eine Weile hier und haben die Deutschkurse | |
oft schon gemacht. Sie sind also viel weiter und es ist leichter, sie zu | |
fördern. Ukrainer, die fließend Englisch oder Deutsch sprechen, haben | |
vielleicht auch gleich einen Job gefunden und sind gar nicht bei uns | |
aufgetaucht. Von denen wissen wir nicht. | |
Aber die Ukrainer, die Bürgergeld bekommen, werden in einen | |
Integrationskurs gesteckt und können also gar nicht arbeiten gehen? | |
Viele Arbeitgeber sagen uns, sie brauchen einfach Leute, die sich im Team | |
verständigen können und denen man die Arbeitsschutzvorschriften | |
verständlich machen kann. Die Sprachkenntnisse sind oft die größte Hürde. | |
Es gibt ja in Berlin kaum noch einfache Produktion, wo man kein oder kaum | |
Deutsch können muss zum Arbeiten. Jetzt haben wir viel | |
Dienstleistungsgewerbe – da muss man eben etwas die Sprache beherrschen, ob | |
in der Gastronomie oder im Einzelhandel. Darum haben wir Jobcenter, und da | |
nehme ich auch die Bundesagentur für Arbeit gleich mit, gesagt, in der | |
ersten Phase müssen die Ukrainer, die kein Deutsch oder mit | |
Englischkenntnissen arbeiten können, erst mal Deutsch lernen. | |
Manche fühlen sich dadurch benachteiligt, wollen nicht im Kurs festhängen. | |
Sie müssen den Kurs nicht machen! Aber wenn sie Bürgergeld haben möchten, | |
müssen sie normalerweise fähig sein, mindestens drei Stunden am Tag zu | |
arbeiten. Oder eben einen Sprachkurs zu machen. Wenn sie nicht bereit sind, | |
diesen Weg einzuschlagen, dann muss man gucken, was wollen sie dann? Für | |
viele die Ukrainer ist es sehr schwierig, das uns gegenüber zu artikulieren | |
ohne Übersetzer. Aber die Community macht da sehr viel Eigendynamik. | |
Was meinen Sie? | |
Wir stellen immer mehr fest, dass die Leute sehr gut informiert sind, wenn | |
es darum geht, was sie kriegen können. Wir bekommen massenweise Anträge für | |
die Erstausstattung oder für Zusatzbedarfe, etwa für Schwangerschaft, oder | |
für Arzneimittel oder andere Sachen. Da funktioniert die Community | |
hervorragend. In anderen Fällen ist das Aufhalten in gleichsprachlichen | |
Gruppen nicht förderlich. Wir haben leider die Erfahrung machen müssen, | |
dass Ukrainer in Sprachkursen, wo sie weitgehend unter sich waren, oft | |
nicht so gut Deutsch gelernt haben. | |
Was ist mit der Anerkennung von ausländischen Berufsabschlüssen? Man hört | |
immer, das sei so langwierig? | |
Das dauert schon ein paar Monate, betrifft aber nur eine kleine Gruppe. Sie | |
müssen ja unterscheiden zwischen staatlich anerkannten Ausbildungen wie | |
Erziehern, Krankenpflegern, Ärzten, wo die Anerkennung zwingend notwendig | |
ist, weil der Beruf staatlich organisiert ist, und allen anderen Berufen. | |
Im handwerklichen Bereich, im industriellen Bereich, bei den meisten | |
Dienstleistungen kann der Arbeitgeber selbst entscheiden, ob er jemanden | |
einstellt. Die Schwierigkeit für uns ist vor allem: rauszukriegen, was | |
jemand eigentlich kann. Entspricht das dem, was der Arbeitgeber bei uns | |
erwartet? Das müssen wir versuchen zu klären, etwa über Probearbeiten oder | |
eine Schulung. So etwas fördern wir auch, etwa indem wir in der Probezeit | |
weiter Bürgergeld zahlen, oder einen Eingliederungszuschuss. Da gibt es | |
viele Möglichkeiten. | |
Seit kurzem auch den „Job-Turbo“. Was ist das? | |
Das ist ein Förderprogramm für geflüchtete Absolventen der | |
Integrationskurse, die Bürgergeld bekommen. Bei den Ukrainern intensivieren | |
wir jetzt die Kontakte, alle sechs Wochen wollen wir sie sehen. | |
Bringt das was? | |
Ja schon. Man kann Rückkoppeln, schauen, was seit dem letzten Treffen | |
geschehen ist, wo man vielleicht helfen kann. Ich würde mir das eigentlich | |
für alle unsere Kunden wünschen, aber wir haben auch nur begrenzte | |
Ressourcen. Wenn ich die eine Gruppe öfter sehe, sehe ich andere nicht ganz | |
so häufig. Aber die erste Hälfte 2024 ist jetzt die Ukraine dran. Dann geht | |
hoffentlich auch die Beschäftigungsquote rauf. Denn ich muss sagen, als von | |
diesen 20 Prozent gehört habe, hat mich das nachdenklich gestimmt. | |
Warum? | |
Wenn wir hier im Jobcenter eine gute Integrationsquote haben, also Menschen | |
in Arbeit gebracht, dann liegt die vielleicht bei 25 bis 30 Prozent. | |
Deutsche, Ausländer, alle zusammen. Die Ukrainer haben die erwähnten Vor- | |
und Nachteile, von daher muss man sehen, ob wir diesen Schnitt bei ihnen | |
schaffen. Eine richtig gute Quote wäre für uns wären 30 Prozent. Aber wir | |
können nie von der Integrationsquote direkt auf die Beschäftigungsquote | |
aller schließen, die wird dann hoffentlich noch deutlich größer werden. | |
23 Feb 2024 | |
## AUTOREN | |
Susanne Memarnia | |
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