# taz.de -- EU-Ratsvorsitz Ungarn: „Orbán will die EU trollen“ | |
> Luca Soltész vom Thinktank Visegrad Insight glaubt, dass die EU mit ihrer | |
> Strategie wenig bei Orbán ausrichten kann – und ihr Spielraum klein ist. | |
Bild: Beklatscht sich selber – wenn es die anderen schon nicht tun | |
taz: Frau Soltész, zum Treffen der Innen- und Justizminister der EU in | |
Budapest [1][haben einige Mitgliedsländer nur hohe Beamte anstelle ihrer | |
Minister geschickt.] Sie wollen damit ihren Unmut über die Führung des | |
ungarischen Ratsvorsitzes zeigen. Josep Borrell, der scheidende | |
EU-Außenbevollmächtigte, will nun gar ein informelles Außenministertreffen | |
nach Brüssel verlegen. Beeindruckt das den ungarischen Premier Viktor | |
Orbán? | |
Luca Flóra Soltész: Orbáns Fidesz versteht es, die Kritik für sich zu | |
nutzen. „Wir sind die eigentlichen Guten, während uns die liberalen | |
Kriegstreiber aus Brüssel nur blockieren“, lautet die Botschaft. Orbán wird | |
sich von diesen Reaktionen nicht beirren lassen. | |
Orbán hat die ganze EU brüskiert, indem er den ungarischen Ratsvorsitz | |
[2][mit Besuchen bei Wladimir Putin, Xi Jinping und Donald Trump | |
einläutete]. Hätten die EU-Spitzen und Staatschefs nicht schon im Vorfeld | |
mit derartigen Aktionen rechnen müssen? | |
Viele Staatschefs dachten, Orbán werde den Vorsitz pragmatisch und | |
kompromissbereit anlegen – um zu zeigen, dass er trotz aller Kritik von | |
Seiten der EU in Bezug auf Korruption und fehlende Rechtsstaatlichkeit in | |
Ungarn zu einer einwandfreien Vorsitzführung imstande ist. Wie sich nun | |
herausstellte, wollte er die EU von Anfang an trollen. Vielleicht zeigt er | |
so auch seinen Unmut darüber, dass die Kommissions-Spitzenposten aus Orbáns | |
Sicht an die falschen Leute gingen. | |
Orbán hat die eben erst [3][wiedergewählte EU-Kommissionspräsidentin Ursula | |
von der Leyen] heftig für die vergangenen fünf Jahre kritisiert. Zum | |
Boykott hat er sich jedoch noch nicht geäußert. | |
Er wartet vermutlich ab, was weiter passieren wird. Es war ja noch nicht | |
klar, welche Staaten sich am Boykott beteiligen werden. Offen ist, ob sich | |
noch weitere anschließen werden. | |
Die Frage nach einem Boykott spaltet die EU-Mitglieder. Hat Orbán diese | |
Spaltung bewusst bezweckt oder ist sie ein Kollateralschaden, den er gern | |
in Kauf nimmt? | |
Das ist wohl Absicht. Orbáns Fidesz wurde ja 2021 aus der Europäischen | |
Volkspartei ausgeschlossen und ist nun Teil einer eigenen Fraktion | |
(Patrioten für Europa, Anm. d. Red.). Orbán will weiter an seinem Netzwerk | |
bauen und schauen, welche Staaten ihm die Treue halten, wie weit er gehen | |
kann. Vielleicht will er damit auch Russland gefallen. | |
Verfängt das bei den Ungarinnen und Ungarn? | |
Seine vermeintliche „Friedensmission“ war reine PR, weil er bei den | |
Europawahlen in Ungarn und den ungarischen Kommunalwahlen schlechter | |
abgeschnitten hat als erhofft. Die Inflation in Ungarn ist hoch, die | |
wirtschaftliche Situation düster. Orbán will zeigen, dass er politisches | |
Gewicht hat, dass er im Alleingang diese Führungsfiguren treffen kann. | |
Seine Wähler finden das gut, die anderen sind ihm ohnehin egal. Er will | |
seine Basis bei der Stange halten. | |
Werden die Boykotte etwas verändern? | |
Ich denke nicht, dass er sein Verhalten ändern wird. Er wird es nur | |
langsamer angehen lassen, denn er kann nicht jede Woche Putin oder Xi | |
Jinping treffen. Ich wäre nicht überrascht, wenn er etwa Belarus besucht, | |
das sich jetzt gegenüber der EU ein wenig öffnen will. | |
Wie könnte die EU jenseits des Boykotts dieser informellen Treffen gegen | |
Orbáns Vorsitzführung tun? | |
Sie kann formelle Treffen absagen oder boykottieren, was teilweise ja schon | |
geschieht. Sonst gibt es aber nicht viel Spielraum. Es ist | |
unwahrscheinlich, dass Ungarn die Stimmrechte entzogen werden oder dass die | |
Präsidentschaft vorzeitig beendet wird. | |
Warum? | |
Es könnte für die EU nach hinten losgehen. Ungarn ist nicht allein in | |
seinem „Kampf“; die Patrioten für Europa sind drittstärkste Kraft im | |
EU-Parlament. Außerdem könnten die Beziehungen zu einer möglichen nächsten | |
Trump-Regierung und zu China beeinträchtigt werden, wenn die EU Orbán zu | |
hart sanktioniert. Orbán hat viel mehr Einfluss als früher. | |
Handelt Orbán überhaupt rational? Er ist schließlich weiterhin auf gute | |
Beziehungen zur EU angewiesen. Noch immer hält die EU Gelder für Ungarn in | |
Milliardenhöhe zurück. Wahlen stehen auch keine an. | |
Vielleicht hat er aufgegeben, an die Gelder zu kommen und greift die EU | |
deshalb frontal an. Ungarn müsste vorher erst Reformen umsetzen. Auch wenn | |
er durch seine Unterstützung eines Ukraine-Hilfspakets Aufschub bekam: Die | |
Zeit dafür wird knapp. Es sei denn, er arbeitet wieder mit | |
Erpressungstaktiken. | |
24 Jul 2024 | |
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## AUTOREN | |
Florian Bayer | |
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