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# taz.de -- Medienwandel in den USA: Nur noch eine schwache Funzel
> Die „Washington Post“ war Leuchtturm der Demokratie. Zur Zeit aber ist
> sie von Leserschwund, einem umstrittenen CEO und anderen Skandalen
> geprägt.
Bild: Die Headquarter der Zeitung in Washington DC, 2013
„Democracy Dies in Darkness“ – die Demokratie stirbt in der Finsternis.
2017 war Donald Trumps Präsidentschaft gerade ein Monat alt, als die
Washington Post diese Worte zu ihrem Motto erklärte. In der 150-jährigen
Geschichte des renommierten US-amerikanischen Blatts hatte es noch nie
eines gegeben.
Der Spruch soll vom Watergate-Veteranen Bob Woodward stammen, der seit 1971
für die Post schreibt. Es liest sich daher wie eine Anspielung auf die
goldenen Jahre einer Zeitung, deren Investigativrecherchen zum Rücktritt
Präsident Richard Nixons führte.
Nicht alle waren vom neuen Motto begeistert: Ein Kritiker verglich es mit
Albumtiteln von Metalbands. Ein anderer meinte, es klinge wie der nächste
„Batman“-Film. In einem Leserbrief, den die Post kurz danach
veröffentlichte, schrieb eine beunruhigte Abonnentin, sie dachte, das
Redaktionssystem sei gehackt worden oder es handele sich um eine
„terroristische Bedrohung“.
Kurz vor der nächsten US-Wahl im November, bei der Trump den Umfragen
zufolge vorne liegt, wirkt der Slogan jedoch nicht mehr wie eine
überdramatisierte Parodie. Trump macht keinen Hehl aus seiner Ablehnung der
„Fake News Media“, die Washington Post hat er immer wieder direkt
angegriffen. Und eine zweite Amtszeit könnte tatsächlich der Anfang vom
Ende der US-amerikanischen Demokratie darstellen.
## Von den großen Plänen in den nächsten Skandal
Und die Washington Post, der selbsternannte journalistische Leuchtturm
dieser Demokratie? Sie stolpert von einem Skandal zum nächsten. Und in der
Redaktion kriselt es gewaltig.
Dabei hatte [1][der Amazon-Gründer Jeff Bezos], als er 2013 die Post für
250 Millionen Dollar kaufte, große Pläne für das traditionsreiche Blatt.
Der Tech-Milliardär investierte in digitale Infrastruktur, wollte die
Zeitung zu einer globalen machen und schwarze Zahlen schreiben. 2015 meinte
er ambitioniert: Er wolle die New York Times überholen und die Zeitung zum
neuen „Paper of Record“ machen. Doch aus dem Tagesgeschäft hielt sich Bezos
größtenteils raus.
Tatsächlich konnte die Post laut der Nachrichtenseite Axios ihre digitalen
Abos zwischen 2016 und 2020 fast verdreifachen – und ist in den USA
inzwischen die drittstärkste Zeitung nach Auflage. Zumindest 2015 überholte
die Post die New York Times mit Klickzahlen. Auch die Berichterstattung
wurde gelobt und ausgezeichnet.
## Nach den Trump-Jahren ging es bergab
„Die Washington Post befand sich während der Präsidentschaft Trumps in
einem Höhenflug, in dem sie sich als echter Konkurrent der New York Times
etablierte“, sagt Dan Kennedy der taz. Er ist Professor für Journalismus an
der Northeastern University und Autor eines Buches über Bezos und den
Boston Globe-Eigentümer John Henry.
Doch nach den Trump-Jahren ging es schnell bergab: 2023 verzeichnete die
Post Verluste von 77 Millionen Dollar, wie die Zeitung bekannt gab. Die
Zahl der Onlinebesucher*innen hat sich halbiert, seit dem Amtsantritt
Joe Bidens hat die Zeitung eine halbe Million Abonnent*innen verloren.
Einige renommierte, Pulitzer-Preis-gekrönte Reporter*innen wie Eli
Saslow, Robert Samuels oder Stephanie McCrummen verließen seit 2022 die
Zeitung. Redakteur*innen wie David Malitz, Steven Ginsberg oder Cameron
Barr folgten. Und im Oktober 2023 gab die Post bekannt, dass sie 240
Stellen streichen wird – zehn Prozent der Belegschaft.
## Redaktionsdrama mit mehreren Akten
Um die Post wieder auf Kurs zu bringen, setzte Bezos William Lewis im
Herbst 2023 auf den Spitzenposten der Zeitung. Lewis Ziel: „Die wichtigste
Nachrichtenorganisation für Menschen auf der ganzen Welt zu werden“, wie
Lewis Mitarbeiter*innen kurz nach Amtsantritt erklärte. Doch was
folgte, liest sich wie ein schwindelerregendes Redaktionsdrama in mehreren
Akten.
Kritik gab es zuerst, als herauskam, dass Lewis 2009 als
Telegraph-Redakteur einem Informanten 150.000 Pfund bezahlt haben soll, als
er zu den Spesen von Westminster-Abgeordneten recherchierte. Das ist im
US-Journalismus nicht nur eine verpönte Praxis, sondern auch gegen die
strengen Richtlinien der meisten Redaktionen.
Dann stand Lewis’ Rolle [2][im Abhörskandal bei Rupert Murdochs
Medienunternehmen News International auf dem Prüfstand]. Der Skandal, bei
dem die Mailboxen von zahlreichen Politiker*innen und Prominenten
illegal abgehört wurden, führte schließlich zum Aus der britischen
Boulevardzeitung News of the World, ein Produkt des News
International-Verlags. Lewis, der von 2010 bis 2011 [3][für Murdoch
arbeitete], wird in Gerichtsdokumenten vorgeworfen, eine Aufarbeitung
verhindert zu haben.
## Die Lösung: Vertuschen
Betroffene des Skandals sprechen von einer Vertuschung. Auch die Washington
Post berichtete im Juni 2024, dass er die Löschung von Millionen E-Mails
anordnete, die für die polizeilichen Ermittlungen in der Sache hätten
relevant sein können. Sogar der Ex-Premierminister Großbritanniens, Gordon
Brown, forderte, dass gegen Lewis ermittelt wird. Lewis sagte auf Anfrage
seiner eigenen Reporter*innen: Er habe nichts Falsches gemacht, die
Vorwürfe seien unwahr. Auf eine Anfrage der taz wollte Lewis die Vorwürfe
nicht weiter kommentieren.
Wegen solcher kritischen Berichterstattung sollen auch Lewis und die
Chefredakteurin Sally Buzbee vergangenen Mai aneinandergeraten sein,
berichtet die New York Times. Lewis soll gesagt haben, dass ein
Gerichtsprozess gegen die Boulevardzeitungen von News International, in dem
sein Name auftaucht, nicht berichtenswert sei. Buzbee soll auf seiner
Nennung bestanden haben.
Auch diesen Vorwurf weist Lewis auf Anfrage der Post-Redaktion als „falsch“
zurück. Eine Sprecherin der Post sagt zur taz: „Wir berichten über die
Washington Post unabhängig, rigoros und fair. Der Herausgeber hat keinen
Einfluss auf unsere Berichterstattung.“ Doch der Vorwurf ist kein
Einzelfall. Dem Radiosender NPR soll Lewis etwa ein Exklusivinterview
angeboten haben, damit sie im Gegenzug nicht über den Abhörskandal
berichten, so NPR.
Am 3. Juni trat überraschend Chefredakteurin Buzbee zurück, nach nur drei
Jahren im Amt. Sie war die erste Frau überhaupt in dieser Position. Einen
offiziellen Grund für die Kündigung nannte sie nicht, doch sowohl der
Konflikt mit Lewis als auch seine Pläne für die Umstrukturierung der
Redaktion dürften eine große Rolle gespielt haben.
## Jeff Bezos hält an Lewis fest
Der nächste Skandal ließ nicht lange auf sich warten: Lewis’ wollte ab
Herbst seinen Landsmann Robert Winnett als neuen Chefredakteur ins Boot
holen. Die beiden arbeiteten zusammen bei den britischen Zeitungen
Telegraph und The Sunday Times. Auch Winnett werden dubiose Methoden
vorgeworfen. „Der neue Post-Redakteur ist mit einem selbsternannten ‚Dieb‘
verbunden, der behauptet, dass er in seine Berichterstattung involviert
war“, so lautet die Überschrift eines Artikels der Post vom 16. Juni über
Winnett.
Eine Anfrage der taz ließ Winnett unbeantwortet. Und auch er wollte einen
Fragenkatalog der Post-Reporter*innen nicht beantworten. Am 21. Juni kam
schon der nächste Plot-Twist: Die Post vermeldete, dass Winnett doch nicht
neuer Chefredakteur und beim Telegraph bleiben wird.
Noch hält Eigentümer Jeff Bezos zum umstrittenen Post-CEO Lewis. „Die Frage
ist nun, ob Lewis als Verleger überleben wird, wenn man bedenkt, dass
während seiner Zeit in Großbritannien ernsthafte Bedenken hinsichtlich
seiner ethischen Grundsätze bestanden“, resümiert der
Journalismus-Professor Dan Kennedy der taz.
Die kritische Berichterstattung der Redaktion zu beiden Personalien zeigt
aber, dass das Blatt trotz diverser Krisen zumindest teilweise noch den
journalistischen Kampfgeist hat, den es einst zu einer der renommiertesten
Zeitungen der Welt machte. Wie ein Leuchtturm der Demokratie wirkt die Post
kurz vor der nächsten Präsidentschaftswahl jedoch nicht.
20 Jul 2024
## LINKS
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[3] /Falschaussagen-bei-Fox-News/!5915855
## AUTOREN
Nicholas Potter
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