# taz.de -- Auslieferung von Maja T. nach Ungarn: Ein krankes System | |
> Maja T.s Auslieferung nach Ungarn ist ein Beweis für den fehlenden | |
> Rechtsschutz in der EU. Schlimmer noch: Dieser ist von Deutschland so | |
> gewollt. | |
Bild: Ein polnischer Grenzschutzbeamter am tschechisch-polnischen Grenzübergan… | |
Maja T. wird am 28. Juni in heller Nacht vom Dresdner Knast außer Landes | |
verschleppt, befindet sich um 6.50 Uhr angeblich schon in Österreich und um | |
10.00 Uhr in Ungarn. Genehmigt hat es am Vortag des Berliner Kammergericht | |
und den Anwälten von Maja T. nach Feierabend per Fax mitgeteilt. | |
Das Bundesverfassungsgericht hat kein elektronisches Postfach. Das Telefax | |
der Anwälte mit dem Ersuchen um Schutz geht um 7.38 Uhr ein. Die gegen 8.00 | |
Uhr an die Generalstaatsanwaltschaft Berlin fernmündlich gerichtete | |
Halteaufforderung und der um 10 Uhr abgesetzte Schutzbeschluss des Gerichts | |
laufen ins Leere. Maja ist weg. | |
Der Fall macht nicht nur die Niedertracht der Berliner Justizbeteiligten | |
deutlich. Er zeigt auch die strukturellen Mängel des Rechtsschutzes bei | |
grenzüberschreitender Strafverfolgung in der EU: Wer aufgrund eines | |
europäischen Haftbefehls oder einer europäischen Ermittlungsanordnung | |
festgenommen oder untersucht wird, findet dort keinen Rechtsschutz. Er hat | |
sich an das ersuchende Land zu wenden. Und wenn es dort keine unabhängige | |
Justiz gibt, hat er Pech gehabt. So auch Maja T. | |
Maja T. soll einer Veranstaltung in Budapest im letzten Jahr | |
entgegengetreten sein – unter Anwendung von Gewalt. Seit 1997 versammeln | |
sich in Ungarn Rechtsradikale zum Gedenken der verbrecherischen SS, | |
ungestört von den dortigen Behörden. In Deutschland wäre das verboten. | |
## Dreifach gefesselt mit Bärenleine | |
[1][Weil Maja T. mit Gewalt Widerstand geleistet haben soll, wurde Maja T. | |
ausgeliefert.] Gegen Maja T. ermittelte deshalb auch die Staatsanwaltschaft | |
in Dresden, erwirkt einen Haftbefehl und sperrt Maja T. im Dezember letzten | |
Jahres ein. Die Sachsen hätten mit einer Anklage die Auslieferung | |
verhindern können. Machten sie aber nicht. | |
Um die Justiz in Ungarn steht es schlecht. Am 18. Januar 2024 hat das | |
EU-Parlament mit überwältigender Mehrheit die große Besorgnis über die | |
Rechtsstaatlichkeit und die Grundrechte in Ungarn beschlossen. Noch am 28. | |
Juni sagt der grüne Europaabgeordnete Daniel Freund: „Es gibt in Ungarn | |
schlicht keine unabhängige Justiz mehr.“ Und die Europäische Kommission | |
verklagt Ungarn vor dem Gerichtshof der Europäischen Union. | |
Wes Geistes Kind ungarische Strafverfolger sind, zeigt das Schicksal der | |
dort [2][seit über einem Jahr inhaftierten italienischen Lehrerin „Sali“], | |
der das Gleiche vorgeworfen wird wie Maja T. Sie soll 11 Jahre Haft | |
erhalten und wurde im Februar wie ein Tier vor Gericht geführt, dreifach | |
gefesselt und an einer Bärenleine. | |
## Konstruierte Vorwürfe | |
Das Berliner Kammergericht sieht gleichwohl kein Abschiebehindernis: Es | |
ließ sich von den Angehörigen der ungarischen Justiz versichern, dass | |
Verfahren und Haft für Maja T. ordentlich sein werden, und erlaubte die | |
Auslieferung. | |
[3][Ähnliches geschah damals um die Ibiza-Affäre:] Die österreichischen | |
Behörden verlangten seinerzeit, dass der Ibiza-Videograf, der den | |
österreichischen FPÖ-Vizekanzler in ein aufgezeichnetes Gespräch über | |
Korruption verstrickt hat, nach Österreich ausgeliefert würde. Als Grund | |
nannten sie neben der heimlichen Videoaufzeichnung einen nicht plausibel | |
konstruierten Vorwurf des Drogenhandels. | |
Weder in Ibiza noch in Deutschland war das Video strafbar. Das | |
Kammergericht hat daher den Mann allein wegen des BTM-Vergehens | |
ausgeliefert, dafür wurde er dann von der österreichischen Justiz auch | |
verurteilt, unter Dehnung der schlüpfrigen Beweismittel. | |
## Wie du mir so ich dir | |
Die Generalstaatsanwaltschaft Berlin und das Kammergericht verweigerten die | |
Sichtung der Beweise dafür, dass der Drogenhandelsvorwurf nur eine | |
Racheaktion wegen des Ibiza-Videos sei, und verwiesen auf den Grundsatz des | |
gegenseitigen Vertrauens zwischen EU-Behörden. Die österreichische Justiz | |
weigerte sich, das Rechtsmittel zu prüfen, solange der Mann nicht | |
ausgeliefert wurde. | |
Wir haben damals die Justizministerin des Bundes auf diese | |
Rechtschutzlosigkeit in Deutschland hingewiesen. Die Antwort: Das sei so | |
beabsichtigt. Die deutsche Justiz wolle im Falle eines | |
Auslieferungsbegehrens an Ungarn – etwa einen Nazi betreffend – auch keine | |
Möglichkeit schaffen, dass die ungarische Justiz ein Auslieferungsbegehren | |
zurückweise. | |
Dass europäische Staaten auf dem Gebiete des Strafrechts zusammenarbeiten, | |
ist das Ergebnis der Arbeit starker Lobbygruppen aus Sicherheitsbehörden, | |
Staatsanwaltschaften und Gerichten. Menschenrechtsverteidiger sind in diese | |
Gesetzgebungsstrukturen nicht eingebunden. Die gegenwärtige Rechtslage | |
liefert die Europäer einer potenziell rechtsstaatswidrigen Strafverfolgung | |
durch ein EU-Mitglied aus, ohne dass sie sich dagegen wehren können. | |
## Kein Asyl gegen ungarische Strafverfolgung | |
Sollten [4][orbánartige Potentaten in Frankreich], der Slowakei, Österreich | |
oder sonst wo die Justiz verheeren und politisch instrumentalisieren, wird | |
uns die Berliner Generalstaatsanwältin so wenig vor deren Zugriff schützen | |
wie die verlorenen Richterseelen im Kammergericht. | |
Nicht nur das Bundesverfassungsgericht muss resilient gegen den Zugriff | |
durch rechtsradikale Politiker gemacht werden. Auch der Rechtsschutz der | |
Europäer gegen vom Ausland getriggerte Ermittlungsmaßnahmen in Deutschland | |
bedarf massiver Stärkung. Asyl gegen eine ungarische Strafverfolgung gibt | |
es in Deutschland nämlich nicht. | |
Hinweis der Redaktion: Johannes Eisenberg, Anwalt in Berlin, versuchte | |
seinerzeit, den Ibizavideografen im Auslieferungsverfahren zu schützen, und | |
vertritt auch die taz in presserechtlichen Fällen vor Gericht. | |
2 Jul 2024 | |
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## AUTOREN | |
Johannes Eisenberg | |
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