# taz.de -- Die Kunst der Woche: Bilder Blühen, Bunker schrumpfen | |
> Anna Steinert erfasst in ihrer Malerei das pflanzliche Sein des Sommers. | |
> Andreas Mühes ergründet die Architektur und Geschichte europäischer | |
> Bunker. | |
Bild: Blick in Anna Steinerts Ausstellung „Was am Tiefsten in der Welt liegt�… | |
„Was am Tiefsten in der Welt liegt“, nennt Anna Steinert ihre zweite | |
Einzelausstellung bei [1][Tanja Wagner], und das lässt vermuten, dass nicht | |
das Alltägliche, Offensichtliche sie interessiert, sondern Grundlegendes. | |
In ihrem aktuellen Werkzyklus bezieht sie sich, wie sie sagt, auf den | |
italienischen Philosophen Emanuele Coccia, der Bäume und Pflanzen als | |
Pioniere sieht, die unsere Welt erschaffen haben. | |
Sie sind die großen Alchimisten unserer Welt, die mit Hilfe des | |
Sonnenlichts aus Wasser und Kohlenstoff nahrhaften Zucker gewinnen und | |
dabei Sauerstoff freisetzen. Als atmende Tiere sind wir ihre Geschöpfe. | |
Wenn wir uns also der Welt der Pflanzen mit neuem Respekt und neuem | |
Verständnis nähern wollen, dann müssen wir atmend eintauchen in „Die | |
Wurzeln der Welt“, wie Coccias Essay heißt, in dem er im Bild des | |
Eintauchens eines der Grundmerkmale pflanzlichen Seins festhält. | |
Es ist anzunehmen, dass Anna Steinert diesen Exerzitien gefolgt ist. Sie | |
ist eingetaucht, in das pflanzliche Sein des Sommers. Jedenfalls möchte man | |
das vermuten, wenn man sieht, in welcher Farbenpracht und -breite ihre | |
Bilder schwelgen. Abstraktionen, in denen sie wie in „Jene Natur, die wir | |
selbst sind III“, vorwiegend mit Ölkreide, hier und da aber auch mit | |
Ölfarbe, einfache weiße, gelbe, schwarze, orange und violette Kreise auf | |
blauen Grund setzt. Die vertikalen Bahnen mit Orangerot, die in „Ineinander | |
Leben I“ auf ein Grün stoßen, das dann ins Blaue übergeht, und die weiteren | |
abstrakten Formen in Blau, Gelb und Grün, vor allem aber die horizontalen | |
Farbverläufe am oberen Bildrand lassen dann eine Sommerlandschaft denken. | |
Da dies aber alles mit einfachen Formen und einem klaren, satten | |
Farbauftrag geschieht, ist der Bezug nicht der Impressionismus als | |
überlegene Oberflächenkunst. Vielmehr taucht Steinert in ihren Bildern | |
tatsächlich in das sommerliche Sein der Pflanzen ein. Ihre Bilder blühen. | |
Als phantastisch kostümierte, spirituelle Kunst-/Naturwesen tauchen dann | |
Steinert und ihre Künstlerkolleg*innen Monika Michalko, Nschotschi | |
Haslinger, Cora Saller, Katharina Duve, Hanna Matthes, Helena Ratka, Sophie | |
Labrey und Helena Wittman im 3-Kanal-Video „Erdemojies – Forscher*innen | |
der Mischung“ in die Natur- und Urkräfte der Erde hinab. Untermalt von | |
schamanistischen Trommelklängen und dunkel wabernden Elektrosounds bezeugen | |
sie die grundlegende „absolute Identität von Forschen und Spielen“, von der | |
Konrad Lorenz überzeugt war. Drei der großartigen Masken aus Baumrinde und | |
Ästen, die diese Fabelwesen tragen, sind in der Ausstellung zu sehen. Man | |
möchte sich sofort eine überstülpen. | |
## Atlantikküsten in Beton | |
Und wie es der Zufall so will, demonstriert auch die nächste Ausstellung | |
auf vertrackte Weise die Identität von Kunst, Forschung und Spiel. Schon im | |
Café des [2][Kunsthauses Dahlem], noch bevor man die große Halle mit | |
Andreas Mühes Ausstellung „Bunker. Realer Raum der Geschichte“ betritt, | |
stößt man auf zwei Vitrinen, in denen der als Fotograf, besonders von | |
Angela Merkel, bekannte Künstler sieben verschiedene Schutzräume als weich | |
gepolsterte, plüschtierähnliche Stoffspielzeugbunker mit Preisliste | |
präsentiert. | |
Diese erste skulpturale Arbeit Mühes ist hier natürlich eine genial | |
süffisante Geste. Schließlich war das Gebäude ursprünglich das Atelierhaus | |
von Arno Breker, der mit seinen monumentalen Skulpturen arischer Athleten | |
bekanntlich der Lieblingskünstler von Hitler und seiner Bunkerbau-Crew war. | |
In der Halle wird es dann doch gigantisch, denn Andreas Mühe flutet den | |
Raum mit Tausenden dieser grauschwarzen Spielzeugbunker, die von der Größe | |
eines Hockers bis zu einer kleinen Schachtel reichen. Seine Installation | |
erinnert an einen Spielplatz, ein Eindruck, den Mühe verstärkt, indem er in | |
das Bunkerfeld drei originalgetreue Nachgüsse der bunten Spielplatzkuppeln | |
aus Plaste stellt, an die sich der Künstler noch aus seinen Kitatagen in | |
der DDR erinnert: „Man konnte sich im Innern vor der Welt verstecken oder | |
wagemutig hinaufklettern und einen anderen Blick auf die Welt werfen“. Was | |
er damals als Kind nicht sah, beim Anblick der mintgrünen, blauen und rosa | |
Spielplatzelemente aber sofort klar wird: Die Dinger sind abstrahierte | |
Bunker. | |
Tatsächlich ähneln sie dem kleinen Betonbunker für drei Personen, den ein | |
unbekannter Fotograf Anfang Juni 1944 mit drei Mitarbeiterinnen der | |
Wäscherei „Edelweiß“ aufgenommen hat. Das Foto findet sich im hinteren | |
Raum, der Forschung und Dokumentation gewidmet ist. Was sehr für die | |
Ausstellung einnimmt: Andreas Mühe ist uneitel genug, anderen | |
künstlerischen und geschichtswissenschaftlichen Auseinandersetzungen mit | |
dem Bunker Raum zu geben, der die europäischen Atlantikküsten, angefangen | |
von der spanischen Grenze über Frankreich bis nach Norwegen, säumt und | |
dessen monumentaler und unverwüstlicher Beton noch heute in deutschen, | |
österreichischen und italienischen Städten zu finden ist. | |
Natürlich stößt man gleich auf die Fotografien, die Paul Virilio auf seinen | |
Streifzügen entlang des Atlantikwalls aufgenommen hat und die mit seiner | |
1975 veröffentlichten Untersuchung „Bunkerarchäologie“ berühmt wurden, d… | |
zusammen mit weiteren Büchern zum Thema in einer Vitrine ausgestellt ist. | |
„Das Ziel des Monoliths ist es nicht, den Jahrhunderten zu widerstehen“, | |
schreibt er darin, vielmehr deutet „die Dicke seiner Wände lediglich auf | |
die zu erwartende Gewalt des Einschlags im Augenblick des Angriffs hin.“ In | |
Zeiten des Ukrainekriegs haben wir leider wieder eine Ahnung davon. | |
Virilios Bunker aber halten nun bald ein Jahrhundert lang stand, weil sie | |
nach dem Durchbruch der Westallierten in der Normandie am 6. Juni 1944 | |
keine Rolle mehr spielten. Deshalb konnte der Fotograf Erasmus Schröter | |
Anfang der 1990er Jahre ihre unzerstörte reine architektonische Form | |
herausstellen, indem er sie knallig-bunt bestrahlt. | |
Der Fotograf Göksu Baysal besuchte die Bunkeranlagen auf türkischem | |
Territorium, die Istanbul und die Einfahrt zum Marmarameer verteidigen | |
sollten und heute kaum noch als solche zu erkennen sind, weil sie in Läden | |
oder Wohnungen umfunktioniert wurden. | |
Der Bildhauer Joachim Bandau setzt sich in Zeichnungen und Skulpturen mit | |
der Befestigungsanlage auseinander, und auch Andreas Mühe zeigt kleine | |
Bunkermodelle aus Holz und auf der Galerie im Großformat von 220 x 180 cm | |
fünf Farbaufnahmen der Serie „Bunkerbeschussplatte“ (2021), die auf einem | |
Truppenübungsplatz in Sachsen-Anhalt entstanden sind. Mit Scheinwerfern | |
schreckte Mühe die Bunkerbauten nächtens auf, an denen einst – der | |
Baumbewuchs auf den Bunkerresten legt es nahe – die Wehrmacht die | |
Durchschlagskraft von Artilleriegranaten testete. | |
6 Jul 2024 | |
## LINKS | |
[1] https://tanjawagner.com/ | |
[2] https://kunsthaus-dahlem.de | |
## AUTOREN | |
Brigitte Werneburg | |
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