# taz.de -- Die Kunst der Woche: Im Verhältnis der Bauten | |
> Kipppunkte der Un-/Sicherheit mit Tamuna Chabashvili und Sabine Hornig. | |
> Jean Molitor fotografiert die Architekturgeschichte der afrikanischen | |
> Moderne. | |
Bild: Blick in die Ausstellung „Patterns of (In)Security II“ von Tamuna Cha… | |
Das Zusammenspiel ist delikat. Harter Stahl und fließender Stoff treffen im | |
[1][Projektraum „Die Möglichkeit einer Insel“] aufeinander, zwei Räumen im | |
Erdgeschoss eines Plattenbaus in Berlin Mitte. Die Berliner Künstlerin | |
Sabine Hornig arbeitet mit Stahl, die in Tiflis und Amsterdam lebende | |
Tamuna Chabashvili mit bedruckten Stoffen und Seilen, die quer durch den | |
Raum gespannt sind oder einfach von den Wänden hängen. | |
Beide Künstlerinnen greifen in den Raum ein; ganz deutlich Sabine Hornig | |
mit ihrer Arbeit „Wahlkabine“, zwei identischen Metallkonstruktionen, die | |
der Bewegung im Raum Grenzen setzen. Denn der Projektraum kann nun nicht | |
mehr von innen, sondern nur noch von außen, von der der Straße her, | |
betreten werden. Die Metallarbeiten bilden die Fugen einer Ziegelmauer | |
nach, sind also weitgehend transparent und erinnern im Stil an teure, | |
geschmiedete Balkongitter, modernistisch im Muster und erst einmal | |
unbegreiflich in der Form. | |
Tatsächlich bilden sie eine Kabine, was aber durch die Transparenz zunächst | |
schwer zu erkennen ist. Bewegt man sich dann an den Gittern entlang, steht | |
man schließlich in der besagten Wahlkabine, vor sich – wie es sich gehört �… | |
ein kleiner Tisch, der allerdings ein Spiegel ist. Will man hier seine | |
Stimme abgeben? So von allen Seiten einsehbar und gespiegelt? | |
Wahrscheinlich stört dieses Kontrollregime qua Transparenz weniger Menschen | |
als man annehmen möchte. | |
Die berechtigte Sorge, mit der die Künstlerin auf die politische Landschaft | |
blickt, in der ihre Wahlkabine zum Einsatz kommt, zeigt sie in ihrer | |
Fotografie vom Eingang eines Bürogebäudes in Los Angeles. Dessen nicht ganz | |
bildfüllende Sandsteinfassade ziert der Schriftzug „National Center For the | |
Preservation of Democracy“, während am rechten Bildrand in der gläsernen | |
Eingangstür das Schild „Closed“ hängt. | |
Die Stofffahnen von Tamuna Chabashvili könnte man zur Seite schieben, um | |
den Weg freizumachen – sofern man sich traute. Es sind die Muster, die die | |
Stoffe zieren und den fließenden, leichten Stoff zur festen Barriere | |
machen. Die Muster machen die Stoffe zu Bildern, und vor Bildern hält man | |
inne. Bilder gebieten Achtung und Aufmerksamkeit, man schiebt sie nicht | |
einfach beiseite. | |
In [2][Chabashvilis Muster] meint man einmal Reifenspuren zu erkennen, ein | |
andermal das Schattenspiel eines Maschenzaundrahts, dann wieder möchte man | |
im regelmäßigen Raster ornamentaler Rossetten tatsächlich abstrahierte | |
Blüten sehen. Es drängt sich der Eindruck auf, die Textilbilder handelten, | |
wenn nicht vom Eingekreist sein, dann vom Eingesperrt sein. Verstärkt wird | |
dieser Eindruck durch die quer durch den Raum gespannten Seile. Dem | |
entgegen steht allerdings das Material der fast transparenten Stoffe, ihre | |
Leichtigkeit. | |
Auch [3][Sabine Hornig] hat gerne mit der Halbtransparenz des Drucks auf | |
Stoff oder Glas gearbeitet. Man erinnert sich an ihren Fotodruck der | |
Skyline von Manhattan im Terminal B des La Guardia Airports in New York. | |
Insofern ist die Paarung der Künstlerinnen in der Ausstellung „Patterns of | |
(In)Security II“, deren ersten Teil die Kunsthalle Tiflis im vergangenen | |
Jahr präsentierte, stimmig. | |
Wenn beide Künstlerinnen die Muster von Sicherheit und Schutzlosigkeit im | |
alltäglichen Raum untersuchen, so tut dies Tamuna Chabashvili nun mit eher | |
malerischen und Sabine Hornig [4][mit skulpturalen Mitteln]. Beide arbeiten | |
jedoch sehr genau und subtil die Kipppunkte heraus, an denen Sicherheit in | |
Unsicherheit und gefährliche Kontrolle umschlägt oder umgekehrt, das | |
vermeintlich Schwache, Weiche und Biegsame Schutz und Halt bietet. Dass und | |
wie ihre Konstruktionen neue Wege bahnen und alte verstellen, ist auch als | |
Kommentar und Kritik an den gegenwärtigen Verhältnissen zu verstehen. | |
## Bauten der Moderne | |
Die weltweite Dokumentation der Bauten der Moderne ist das große Projekt | |
von Jean Molitor. Damit verbunden ist die Anstrengung, die oft | |
leerstehenden Bauwerke vor dem Abriss zu bewahren und die Erinnerung an | |
ihre Geschichte wach zu halten. | |
Jetzt zeigt der Fotograf in en Ausstellungsräumen des [5][Freundeskreis | |
Willy-Brandt-Haus] seine Aufnahmen der modernistischen Architektur in | |
Afrika, genauer in den Ländern Äthiopien, Burundi, Ghana, Kenia, Kongo, | |
Marokko, Mosambik, Nigeria, Rwanda und Uganda. Die fotografierten Glas-, | |
Stahl- und Stahlbetongebäude des International Style entstanden in der Zeit | |
von 1930 bis 1970. Molitor nimmt sie in den frühen Morgenstunden auf, wenn | |
die Straßen und Plätze noch menschenleer sind und er rückt sie dann als | |
Solitäre wie Skulpturen ins Bild. | |
Bevölkert sich in den folgenden Stunden die Stadt, dann erweist sich Jean | |
Molitor als talentierter Street Photographer, der neugierig ist auf das, | |
was die Menschen bewegt, der sie in ihrem Alltag kennenlernen will und auf | |
diese Weise jahrzehntelange Freundschaften geschlossen hat. Und er zeigt | |
sich schließlich auch als nicht minder großartiger Porträtist, wie die | |
hinreißenden Aufnahmen der Schülerinnen und Schüler belegen, die er auf | |
seiner Reise mit den Bands Etran Finatawa und Mamane Barka durch | |
verschiedenen westafrikanische Staaten getroffen hat. | |
Molitor hat diese Reise auch gefilmt. Das Video ergänzt eine historische | |
Architekturdokumentation und die Schautafeln zu [6][Shared Heritage | |
Africa]. Im Rahmen dieses Forschungs-, Schreib- und Fotoprojekts haben neun | |
Stipendiat:innen aus Ghana, Nigeria und Uganda moderne Bauten aus der | |
Zeit zwischen 1950 und 1970 nicht nur dokumentiert, sondern auch ihre | |
politische und gesellschaftliche Bedeutung untersucht, zunächst als | |
kolonialer Import der Architekturmoderne und später als selbstbestimmter | |
Baustil in den vom britischen Empire unabhängig gewordenen Ländern. | |
Deshalb ist es auch wichtig, die Architekten der modernistischen Bauten | |
ausfindig zu machen. Wann kommen die lokalen Architekten ins Spiel? Welche | |
Geschichte erzählen die Bauhäusler, die in Afrika bauten? Welche die | |
italienischen Architekten des Razionalismo, die zur gleichen Zeit in Asmara | |
in Eritrea das neue Rom auferstehen lassen wollten? Was ist die Geschichte | |
von Hannah Schreckenbach, die in den 1970er Jahren in Ghana arbeitete und | |
als Expertin für den nachhaltigen Hausbau mit Lehm und | |
gemeinschaftsorientierte Architektur gilt? | |
Jean Molitor nennt seine Ausstellung „Auf Augenhöhe – Afrika und seine | |
Moderne“. Das Motto beansprucht zunächst Gültigkeit für seinen | |
künstlerischen Ansatz, nämlich mit den Afrikaner:innen ihre Moderne zu | |
sehen und zu verstehen, statt sie zu ästhetisieren und über sie zu | |
belehren. Dann aber ist das Motto auch eine Einladung an die Besucher, sich | |
auf dieses spannende Angebot einzulassen. | |
Nicht nur zu sehen, wie es Jean Molitor gelingt, bemerkenswerte | |
Architekturen in wunderbaren Fotografien festzuhalten, sondern auch zu | |
sehen, wie er sie überhaupt findet und wie das Entgegenkommen und die | |
Gastfreundschaft der Menschen in Accra, Lagos und all den anderen | |
Millionenstädten Afrikas, aber auch der gemeinnützigen [7][Organisation | |
DOCOMOMO], die das Project „Shared Heritage Africa“ fördert, dabei helfen | |
und dafür notwendig sind. | |
22 Jun 2024 | |
## LINKS | |
[1] https://www.moeglichkeit-einer-insel.de/ | |
[2] /Osteuropa-Workshop-in-Berlin/!vn5974861/ | |
[3] /!434958/ | |
[4] /!697782/ | |
[5] https://www.fkwbh.de/ausstellung/auf-augenhoehe-afrika-und-seine-moderne | |
[6] https://www.instagram.com/shared.heritage.africa/ | |
[7] /unterm-strich/!282566/ | |
## AUTOREN | |
Brigitte Werneburg | |
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