# taz.de -- Neue Doppelspitze der Berliner SPD: Ins Ziel geschleppt | |
> Die Hauptstadt-SPD wählt die Parteirechten Martin Hikel und Nicola | |
> Böcker-Giannini mit magerer Zustimmung zu ihren neuen Landesvorsitzenden. | |
Bild: „Richtig Lust, die SPD in die Zukunft zu führen“: Die neuen Berliner… | |
BERLIN taz | Berlins vor allem gegen sich selbst kämpfende SPD hat eine | |
neue Landesspitze. Martin Hikel, 37, Bezirksbürgermeister von Neukölln, und | |
Nicola Böcker-Giannini, 49, Staatsekretärin im einstweiligen Ruhestand, | |
sollen die Sozialdemokrat:innen der Hauptstadt aus dem Tal der | |
Tränen führen. | |
Ihre Wahl auf einem SPD-Landesparteitag am Samstag galt zwar eher als | |
Formsache. Schließlich hatte sich zuvor schon die SPD-Basis per | |
Mitgliederbefragung zum künftigen Landesvorsitz [1][mehrheitlich für das | |
Duo entschieden], das dem rechten Parteiflügel zugerechnet wird. | |
Das Problem: Die Delegierten auf Berliner SPD-Parteitagen ticken zu | |
überwiegenden Teilen linker als die Basis und damit auch linker als ihre | |
neuen Chef:innen. Sie hätten es in der Hand, „ob von diesem Parteitag ein | |
Signal des Zusammenhalts oder ein Signal der Spaltung ausgeht“, hatte | |
Böcker-Giannini in dem Tagungshotel im Bezirk Lichtenberg vor ihrer Wahl um | |
Zustimmung geworben. Tatsächlich folgte ein Weder-noch. Kein Triumph, aber | |
auch keine Klatsche. | |
Hikel schleppte sich mit 66 Prozent ins Ziel, Böcker-Giannini kam auf 68 | |
Prozent, rund ein Drittel der über 260 Delegierten stimmten gegen die | |
beiden. Einige hatten sogar mit einem schlechteren Ausgang gerechnet. Es | |
sei „ein ehrliches Ergebnis“, kommentierte Böcker-Giannini das Votum im | |
Anschluss. Hikel dankte für die „kritische Diskussion“. Der Funke wollte | |
nicht richtig überspringen. | |
## „Inhaltlich ziemlich tot“ | |
Besagte Diskussion kam dabei immer wieder auf einen Punkt: ein Interview, | |
das die promovierte Sportwissenschaftlerin und der ausgebildete | |
Mathematiklehrer kurz vor dem Parteitag der Boulevardzeitung B.Z. gegeben | |
hatten. Besonders auf die Palme brachte etliche Delegierte die Aussage | |
Hikels, die Partei sei „inhaltlich ziemlich tot“. Verstanden wurde es als | |
Missachtung der Arbeit der Ehrenamtler:innen in den Kreis- und | |
Ortsverbänden. | |
Basisbefragung hin oder her, Teile der Parteilinken machten in ihren Reden | |
dann auch keinen Hehl daraus, dass sie Martin Hikel und Nicola | |
Böcker-Giannini nur bedingt zutrauen, den Laden adäquat zu führen. Eine | |
Delegierte aus Neukölln sagte: „Uns zu unterstellen, dass wir abgekoppelt | |
sind von der Realität der Berliner:innen, das verletzt mich, das macht mir | |
keinen Spaß.“ | |
Das neue Führungsduo löst Franziska Giffey und Raed Saleh ab, die seit 2020 | |
an der Spitze der Landespartei standen. Die einstige | |
Bundesfamilienministerin, spätere Berliner Regierungschefin und heutige | |
Wirtschaftssenatorin Giffey hatte Anfang des Jahres bekannt gegeben, | |
[2][sich vom Parteivorsitz zurückzuziehen]. | |
Bei Saleh, seit über 12 Jahren zudem SPD-Fraktionschef im Berliner | |
Abgeordnetenhaus, [3][ging der Abschied vom Parteiamt nicht ganz so elegant | |
über die Bühne]. Er flog in der ersten Runde der Mitgliederbefragung mit | |
unter 16 Prozent der abgegebenen Stimmen raus. | |
## Absturz einer Regierungspartei | |
Sowohl Franziska Giffey als auch Raed Saleh wird das miserable Abschneiden | |
der SPD bei der Wahl zum Abgeordnetenhaus 2023 angelastet. Die Partei, die | |
über 20 Jahre die Regierenden Bürgermeister:innen gestellt hatte, | |
rauschte auf gut 18 Prozent ab. Anschließend wechselte die Partei nach über | |
6 Jahren Koalition mit Grünen und Linken als Juniorpartner in ein Bündnis | |
mit dem Wahlgewinner CDU. | |
„Die Stimmung ist schlecht bei uns, der SPD geht es nicht gut“, fasste am | |
Samstag Michael Biel die Lage zusammen. Zusammen mit Berlins | |
Sozialsenatorin Cansel Kiziltepe leitet er ein Gremium mit dem | |
SPD-typischen Übererklär-Namen | |
„Wahlen-wieder-gewinnen-und-Parteiorganisation-Kommission“. | |
Die Kommission hatte eine Analyse der letzten Wahlschlappen in Auftrag | |
gegeben. Der Bericht zeigt insbesondere eines: Der Frust in der Landes-SPD | |
sitzt tief. Giffey und Saleh hätten aus der SPD [4][eine | |
Top-down-Veranstaltung gemacht], es gebe keine Räume für Debatten, die | |
Partei sei tief zerrissen, die Außenwirkung katastrophal. „Wir gelten immer | |
als die Irren. Das war schon immer so“, wird ein Parteimitglied mit Blick | |
auf die Wahrnehmung der Berliner:innen durch die Bundespartei zitiert. | |
Umso größer war am Samstag eben eigentlich der Aufruf zur Einigkeit und | |
Geschlossenheit. „Wenn die Strömungen in der Partei weiter das Trennende | |
betonen und nicht das Verbindende in den Vordergrund stellen, dann wird die | |
SPD nicht mehr stärkste Kraft“, sagte etwa Franziska Giffey. Auch | |
SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert warf sich in die Bresche und beschwor den | |
„gemeinsamen Willen, sich aus dem Keller herauszuarbeiten“. Das gelang | |
leidlich. | |
## Offene Rechnungen | |
Wie im Vorfeld des Parteitags wurden die Parteirechten Hikel und | |
Böcker-Giannini auch am Samstag scharf dafür kritisiert, dass sie im Kampf | |
um die Stimmen der SPD-Mitglieder [5][die generelle Gebührenfreiheit von | |
Kita und Schule infrage gestellt haben]. Insbesondere Raed Saleh schreibt | |
es sich als Verdienst zu, diese Politik in Berlin durchgesetzt zu haben. | |
Böcker-Giannini versicherte jetzt zwar: „Wir wollen die kostenfreie Bildung | |
nicht abschaffen.“ Hikel stellte zugleich klar: „Wir müssen aber auch | |
Glaubenssätze hinterfragen.“ | |
Spannend wird nun, wie die neuen Parteichef:innen mit der weiterhin von | |
Saleh geführten SPD-Abgeordnetenhausfraktion und den sozialdemokratischen | |
Senator:innen in der schwarz-roten Landesregierung zusammenarbeiten. In | |
dem umstrittenen B.Z.-Interview erklärten die beiden sinngemäß, die eigenen | |
Regierungsmitglieder müssten jetzt mal liefern, anderenfalls könnten sie | |
sich schon mal Gedanken um ihre Zukunft machen. | |
Nicht ganz irrelevant ist in diesem Zusammenhang der Umstand, dass die | |
ehemalige Sportstaatsekretärin Nicola Böcker-Giannini im Oktober | |
vergangenen Jahres von ihrer Dienstherrin, Innen- und Sportsenatorin Iris | |
Spranger, [6][auf recht unhöfliche Weise gefeuert] wurde. Die Beziehung der | |
beiden SPD-Frauen galt seit längerem als belastet. Böcker-Giannini reichte | |
gegen ihre Zwangsversetzung in den Ruhestand Klage ein. Und wohlgemerkt: | |
Die Klage gegen Spranger und ihre Verwaltung ist immer noch anhängig. | |
Auf taz-Nachfrage erklärte Böcker-Giannini, dass es gegenüber der Innen- | |
und Sportsenatorin „von unserer Seite keine Vorbehalte“ gebe. Sie und Hikel | |
bauten auf eine „gute“, eine „sachliche“, eine „professionelle“ | |
Zusammenarbeit. „Persönliche Animositäten“ spielten für sie keine Rolle, | |
ergänzte Hikel. Kein Wort glaube er davon, sagte ein mit den Vorgängen | |
vertrauter Delegierter am Rande des Parteitags zur taz. | |
„Wir beide haben richtig Lust, die SPD in die Zukunft zu führen“, rief | |
Böcker-Giannini den Delegierten in ihrer Rede zu. Dazu noch die Warnung: | |
Sollten die Sozialdemokrat:innen in den kommenden Jahren nicht | |
„solidarisch sein“, drohe der Landesverband „für lange Zeit ins Abseits … | |
geraten“. In Umfragen dümpelt die Partei derzeit bei trostlosen 15 Prozent | |
vor sich hin, weit abgeschlagen hinter CDU und Grünen. | |
26 May 2024 | |
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## AUTOREN | |
Rainer Rutz | |
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