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# taz.de -- Abschiebungen aus dem Kirchenasyl: Streit um Härtefall-Einschätzu…
> Niedersachsen möchte in Zukunft nicht mehr aus dem Kirchenasyl
> abschieben. Die Kirche und das Bamf sollen sich besser über Härtefälle
> verständigen.
Bild: Redebedarf nach Bruch eines Kirchenasyls: Landesbischof Ralf Meister und …
Hamburg taz | Als Polizisten und Mitarbeiter der Landesaufnahmebehörde
Niedersachsen am Abend des 12. Mai in Bienenbüttel bei Uelzen eine
vierköpfige russische Familie [1][aus den Räumen der Kirchengemeinde
herausholten], herrschte vielerorts [2][große Betroffenheit]. Die Familie –
deren männliche Mitglieder zudem Kriegsdienstverweigerer sind – wurde noch
in derselben Nacht nach Spanien abschoben. „Wir sind geschockt vom Vorgehen
der Landesaufnahmebehörde“, hatte Gemeindepastor Tobias Heyden erklärt. Die
Festnahme der Familie an einem Sonntag und die Missachtung des Kirchenasyls
„erschüttern und erschrecken uns zutiefst“.
[3][Niedersachsens Flüchtlingsrat] erinnerte daran, dass es in dem
Bundesland zuletzt im Jahr 1998 einen Fall von Räumung eines Kirchenasyls
mit anschließender Abschiebung gegeben hatte. Landesinnenministerin Daniela
Behrens (SPD) kündigte nach dem Vorfall ein „zeitnahes“ Gespräch mit der
Kirche an. Es fand am vergangenen Dienstag statt, auch Vertreter des
Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bamf) und der
Landesaufnahmebehörde nahmen daran teil.
Eingriffe ins [4][Kirchenasyl] solle es nach ihrem Willen in Niedersachsen
bis auf Weiteres nicht mehr geben, kündigte Behrens nach dem Treffen an:
„Für die niedersächsische Landesregierung und mein Haus ist klar, dass wir
das Kirchenasyl anerkennen und dass wir keine Rückführungen oder
Überstellungen aus dem Kirchenasyl durchführen wollen.“
Gleichzeitig unterstrich die Ministerin, dass das Land bei den
Entscheidungen über das Kirchenasyl nicht eingebunden sei. Es fungiere
lediglich als Vollzugshelfer und befinde sich in einer „Sandwich-Position“
zwischen den Kirchen und dem Bamf. Das Bundesamt erkenne nur in den
wenigsten Fällen an, dass es sich bei den Kirchenasylen um Härtefälle
handele: „Das bringt uns als Land in eine Situation, in der wir
Überstellungen, wie die der Familie aus Bienenbüttel nach Spanien, in
Vollzugshilfe für das Bamf trotz menschlicher Härten durchführen müssen“,
sagte Behrens.
Ihr sei deshalb sehr daran gelegen, „dass die Kirchen und das Bamf wieder
ein gemeinsames Verständnis davon entwickeln, wann ein Härtefall vorliegt“.
Ziel müsse ein gemeinsames Verständnis von „Härtefall“ und eine
Wiederauflage des 2015 zwischen Kirche und Bamf vereinbarten
Dossierverfahrens sein. Nach dieser Absprache kann die Kirche Dossiers über
besondere Härtefälle beim Bamf einreichen, um eine Anerkennung des Asyls zu
erwirken. Nach Auffassung des Bamf lag bei der aus Bienenbüttel
abgeschobenen russischen Familie, die in Deutschland Asyl beantragt hatte,
kein Härtefall vor. Die Eltern und ihre beiden Kinder wurden nach Barcelona
geflogen, weil sie über Spanien nach Westeuropa eingereist waren.
Der hannoversche Landesbischof Ralf Meister bezeichnete am Dienstag die
Beendigung des Bienenbütteler Kirchenasyls im Mai als „schmerzliche und
schockierende Erfahrung“. Ein solches Vorgehen ohne vorherige Absprachen
mit der Kirche bedeute für die geflüchteten Menschen eine große Härte und
sei auch für die betreuenden Personen in der Kirchengemeinde erschütternd.
„Kirchengemeinden werden auch in Zukunft nach sorgfältiger Prüfung und als
Gewissensentscheidung Kirchenasyl gewähren“, betonte Meister. „Aus
christlicher Sicht ist das dann der Fall, wenn für die schutzsuchenden
Menschen Härten für die Gesundheit, das Leben oder die Psyche bestehen.“
Kirchenasyle würden aus „christlicher und humaner Überzeugung“ gewährt,
sagte Meister. Der „Respekt vor den Sakralräumen der Kirchen“ sei eine hohe
Anerkennung des Selbstbestimmungsrechts der Religionsgemeinschaften. Kirche
und Bamf wollen die Gespräche bald fortsetzen.
## Zahl der Menschen im Kirchenasyl stark gestiegen
Die Zahl der Menschen im Kirchenasyl ist in den vergangenen Jahren stark
gestiegen. Allein in Niedersachsen waren es nach Zahlen des Bamf im
vergangenen Jahr 137 Fälle mit 159 Personen, im ersten Quartal 2024 gab es
demnach 34 Fälle von Kirchenasyl mit 39 Personen. 2022 waren es 65 Fälle
mit 82 Menschen gewesen.
Bundesweit wurde nach Angaben der Arbeitsgemeinschaft Asyl in der Kirche im
Jahr 2023 die bisherige Höchstzahl von rund 2.000 Kirchenasylen erreicht.
In etwa 95 Prozent der aktuellen Fälle geht es nicht um Abschiebungen in
die Heimat der Flüchtlinge, sondern um Überstellungen in ein anderes
europäisches Land im Sinne der [5][Dublin-Verordnungen.]
30 May 2024
## LINKS
[1] /Russische-Familie-abgeschoben/!6010751
[2] /Schutzraum-geraeumt/!6007697
[3] https://www.nds-fluerat.org/
[4] /Kirchenasyl/!t5018568
[5] /Dublin-System/!t5018567
## AUTOREN
Reimar Paul
## TAGS
Niedersachsen
Abschiebung
Kirchenasyl
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